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»Wir wollten einfach in eine andere Richtung gehen«

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Die Intendantin der Deutschen Bühne Ungarn, Ildikó Frank, im Gespräch mit Katharina Kellig

 

Seit wann sind Sie Intendantin der Deutschen Bühne Ungarn?

Ich bin seit Januar 2004, also seit elf Jahren, Intendantin an der Deutschen Bühne Ungarn.

Ildikó Frank, Intendantin der deutschen Bühne ungarn in Sechshard (ung. Szekszárd)

Ildikó Frank, Intendantin der deutschen Bühne Ungarn in Sechshard (ung. Szekszárd)

Da haben Sie diese Position ja recht jung übernommen!

Ja, damals war ich 27 Jahre alt. Seit 2000 war ich hier als Schauspielerin angestellt. Der vorherige Intendant wollte sich erneut wählen lassen, und wir Schauspieler waren der Meinung, dass das keine so gute Lösung wäre, wenn er erneut gewählt würde. Ich ließ mich also dazu überreden, obwohl uns, die wir ihm unangenehm waren, gekündigt worden war. Ich dachte mir einfach: Ich habe nichts zu verlieren.

 

Was war Ihre erste Aufgabe als Intendantin?

Die erste Vorstellung war eine Art Revue, die innerhalb eines Monats auf die Beine gestellt wurde. Wir hatten kein Repertoire, aus dem wir hätten schöpfen können, denn die Stücke, die wir gespielt hatten, waren meiner Meinung nach nicht für das Theater geeignet. Das hatte keine persönlichen Gründe, wir wollten einfach in eine andere Richtung gehen.

 

Wie viele Schauspieler hatte das Ensemble zu dieser Zeit?

Außer mir waren noch drei Schauspieler angestellt. Wir haben also ein größeres Casting gemacht. Ich habe dadurch viele gute Leute gefunden.

 

Ist es allgemein schwer für Sie, Schauspieler zu finden, die nicht nur gut spielen, sondern auch sehr gut Deutsch sprechen?

Ja, das ist keine einfache Aufgabe. Die letzte Spielzeit wurde im Prinzip für drei Schauspieler konzipiert. Wir haben leider keine großzügigen finanziellen Möglichkeiten, um viele Gastspieler zu engagieren, aber letztes Jahr hatten wir zum Beispiel das Glück, Gastspieler aus Rumänien und Österreich bei einem Stück dabei zu haben. Allerdings ist auch diese Situation recht kompliziert, denn man muss die eigene Spielzeit auf die anderen Projekte der Gastspieler abstimmen. Ich mag es deshalb, ein festes Ensemble zu haben, auch wenn es klein ist, aber so kann man die verschiedenen Stücke besser realisieren.

 

Wie erreichen Sie die Schauspieler in Deutschland und Österreich? Machen Sie Ausschreibungen?

Es gibt eine Organisation, die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV), die unsere Ausschreibungen veröffentlicht. Ich habe dann Kontakt zu den Schauspielern, die an einer Arbeit im Ausland interessiert sind. Natürlich sind die finanziellen Bedingungen so, wie sie sind, aber junge Leute sind meist auch an dem Sammeln von Erfahrungen interessiert, und so ein kleines, buntes, internationales Ensemble in einem anderen Land hat natürlich seinen Reiz. Was wir bieten können, ist Arbeit, denn die bieten wir für eine ganze Spielzeit, und eine Wohnung stellen wir ebenfalls. Abwechslung ist bei uns alltäglich, da wir von Stücken für Babys bis hin zu Dramen oder Komödien alles spielen. Mittlerweile ist es sogar so, dass sich die Deutsche Bühne als Arbeitsplatz herumgesprochen hat und die Mundpropaganda vor allem in Deutschland sehr erfolgreich ist. Die Leute, die bei uns waren, berichten positiv von der Arbeit in Ungarn und vom Theater, und jetzt haben wir zum Beispiel eine neue Schauspielerin aus Deutschland, Paula Donner, die tatsächlich von anderen Kollegen davon gehört hat, dass man sich hier bewerben kann.

 

Die Zusammensetzung des Ensembles ändert sich also mit jeder Spielzeit. Was ist der längste Zeitraum, den ein Schauspieler bei Ihnen angestellt war?

Am längsten bin wohl ich an der Deutschen Bühne. Kata Lotz ist seit 2006 bei uns. Tom Pilath, ein Schauspieler aus Deutschland, war drei Jahre lang Mitglied des Ensembles. Er hat die Arbeit sehr genossen und seinen Vertrag zweimal verlängert. Melissa Hartmann ist letzten Sommer zu uns gestoßen und wollte ein Jahr bleiben, aber dann hat sie von den Projekten für die nächste Spielzeit gehört und sich dazu entschieden, ein Jahr länger zu bleiben. Über so etwas freue ich mich besonders, weil man sich innerhalb eines Jahres gut kennenlernt und das dann im nächsten Jahr nutzen und in neue Projekte investieren kann.

 

Wie sieht die nächste Spielzeit aus? Was planen Sie?

Es wird sehr spannend! Wir haben bereits eine Premiere mit dem Musik-Stück »Berlin« gehabt. Als nächstes spielen wir das Kinderstück »Emil und die Detektive« als eine Art Stummfilm, was auch für Erwachsene interessant sein könnte. Darauf folgt ein ganz anderes Projekt: Wir bringen die Theateradaption von Paulo Coelhos »Veronika beschließt zu sterben« auf die Bühne. Anfang Dezember spielen wir den »Lebkuchenmann« – neu gefasst als Weihnachtsmärchen, der vor ein paar Jahren schon einmal Kinder bezauberte. Das Jahr 2016 beginnt mit »Fräulein Julie« von August Strindberg, das ein serbischer Regisseur anleiten wird. Die letzte Premiere wird im Februar stattfinden, in deren Rahmen werden wir Alfred Hitchcocks »39 Stufen« zeigen. Es ist eigentlich zufällig, dass sowohl die Regisseure als auch die Stücke ganz unterschiedlich sind, und dennoch muss ich sagen, dass so eine bunte Spielzeit eine fantastische Herausforderung ist und auch dem Publikum alles bietet, was Theater bieten kann. »Beatles on Board« und »Minenblumen«, die noch aus der vergangenen Saison stammen, werden ebenfalls dieses Jahr zu sehen sein. Natürlich bleiben auch die Babybühne und die »Märchen aus dem Koffer« Teil der diesjährigen Spielzeit.

 

Sie haben nicht nur eine schauspielerische Aufgabe, sondern Sie tragen auch zur Vermittlung der ungarndeutschen Kultur bei. Sie haben begonnen, sich ernsthaft damit zu beschäftigen, Kindern die Arbeit auf der Bühne und das Theaterleben an sich zu zeigen und natürlich auch die deutsche Sprache als Kulturgut zu vermitteln. Was denken Sie, was nehmen die Kinder nach einem Besuch in der Deutschen Bühne mit nach Hause?

Sie nehmen bestimmt einiges von hier mit nach Hause. Die Babybühne zum Beispiel ist ein gutes Projekt, denn die Kinder sind aktiv auf der Bühne zugange, sie können die Requisiten berühren und Theater ganz hautnah erfahren. Sie sind keine passiven Zuschauer, sondern nehmen aktiv an den Angeboten teil. Sie verstehen nicht alles, aber durch Bewegungen und Bilder erschließt sich die Bedeutung der Geschehnisse, wodurch sie sensibel für Sprache werden. Genauso verhält es sich mit den »Märchen aus dem Koffer«, die wir in verschiedenen Kindereinrichtungen anbieten. Ein bisschen Theater, ein bisschen Interaktivität – das ist meiner Meinung nach das Ausschlaggebende für ein späteres Interesse an der deutschen Sprache und am Theater.

 

Wie sieht Ihr Publikum aus? Haben Sie viele Gäste, die regelmäßig zu den Vorstellungen kommen?

Zum einen haben wir regelmäßig Schulklassen zu Besuch. Die Vorstellungen können sehr gut in den Unterrichtsstoff integriert werden. Zum anderen gibt es verschiedene Personenkreise, die uns regelmäßig besuchen. Manchmal haben wir Gäste aus Weißbrunn (ung. Veszprém), Moor (Mór) oder Stuhlweißenburg (Székesfehérvár), und aus den Komitaten Tolnau (Tolna) und Branau (Baranya) haben wir ebenfalls wiederkehrende Gäste im Publikum sitzen. In Lantschuk (Lánycsók) zum Beispiel ist die ungarndeutsche Kultur noch sehr aktiv. Bis heute ist es die wichtigste Werbung für uns, dass die Menschen einander von der Deutschen Bühne erzählen und von jemandem hören, dass es uns gibt und dass man bei uns Theater erleben kann.

 

Wie oft spielen Sie ein Stück in der Regel?

Mindestens zwanzigmal spielen wir ein Stück. Bei Kinderstücken liegt die Zahl natürlich höher. Unser musikalisches Stück »Beatles on Board« wird nun zum vierzigsten Mal gespielt, da es leicht transportierbar ist und gut bei den Leuten ankommt. Vielleicht kommt es zu einer fünfzigsten Vorstellung, dann gibt es eine Torte, denn das hat es bei uns noch nicht gegeben.

(Lacht.)

 

Wie vielen Menschen bietet Ihre Spielstätte Platz?

Im Saal finden 80 Gäste Platz, und mit zusätzlichen Stühlen können wir bis zu 100 Zuschauer empfangen.

 

Wie sieht die nahe Zukunft des Theaters aus?

Wir beenden die Spielzeit deswegen so zeitig, weil das Theater umgebaut und renoviert wird. Von außen ist es wirklich nicht mehr so schön. Auch energetisch gesehen soll es modernisiert werden. Vielleicht bekommen wir auch Solarzellen. Im Publikumssaal werden die Stühle ausgetauscht, und der gesamte Bereich soll moderner gestaltet werden.

 

In welcher Beziehung stehen Sie zur deutschen Minderheitenselbstverwaltung? Wer unterstützt Sie, und von woher erhalten Sie finanzielle Hilfe?

Unser Träger ist seit vier Jahren offiziell die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, die wiederum aus dem Ministerium für Humanressourcen ihre Finanzspritzen erhält. Wir erhalten Geld aus der nationalen Theaterfinanzierung, was bedeutet, dass wir jedes Jahr eine bestimmte Summe für unsere Ausgaben zugeteilt bekommen. Dazu gibt es noch Ergänzungen durch die Selbstverwaltung der Ungarndeutschen, und wir nehmen natürlich an diversen Fördermittelausschreibungen teil.

 

Ich frage deshalb, weil man als Außenstehender der Meinung sein könnte, dass dieser kulturelle Schatz finanziell kräftig unterstützt wird, sowohl aus Deutschland als auch aus Ungarn.

Leider ist das nicht der Fall … Aus Deutschland zum Beispiel erhalten wir keinerlei finanzielle Mittel.

 

Was ist Ihr persönliches Zukunftsbild als Intendantin? Was sind Ihre Wünsche und Ziele für die Deutsche Bühne?

Mein Mandat als Intendantin läuft 2017 ab. Ehrlich gesagt, jede Spielzeit ist eine neue Herausforderung, und ich habe immer das Glück, etwas ganz Neues realisieren zu können. Mit meiner Position und meinen Aufgaben bin ich sehr glücklich, auch wenn es keine großen Ziele sind, kann ich Schritt für Schritt etwas dazu beitragen, das Theater lebendig zu halten. Das Schönste ist, wenn etwas Neues entsteht, wenn wir eine Idee in die Wirklichkeit umsetzen. Auch wenn das plakativ klingt: Für mich ist es das schönste Gefühl, wenn ein Stück beim Publikum ankommt. In solchen Momenten fühle ich, dass ich etwas beitrage, was den Menschen Freude macht.

 

Ich hoffe sehr, dass Sie noch lange hier schauspielern und die deutsche Kultur in dieser Form weitergeben können. Wenn alle schweigen würden, hätte die deutsche Sprache keine Zukunft. Sie geben ihr eine Bühne – und leisten einen großen Beitrag zu ihrem Erhalt. Danke für Ihre Zeit und Ihr Engagement.

Danke ebenfalls!

 

Deutsche Bühne Ungarn (DBU)

Die Deutsche Bühne, die 1983 in Sechshard (ung. Szekszárd) gegründet wurde, ist das einzige deutsche Theater Ungarns. Seit nunmehr über 30 Jahren arbeitet das Ensemble an klassischen und modernen Theaterstücken sowie an Projekten für Kinder und Jugendliche. Neben der Theaterrolle nimmt die DBU eine wichtige Funktion bei der Vermittlung und Bewahrung der ungarndeutschen Kultur in Ungarn ein. Die Aufführungen können nicht nur in Sechshard, dem Komitatssitz von Tolnau (ung. Tolna), sondern auch bei landesweiten Vorstellungen in anderen Theatern und Einrichtungen besucht werden. Neben dem Ensemble agiert auch eine junge Laientheatergruppe als »Junge DBU« am Theater. Wichtigstes Ziel der DBU ist es, ein deutliches und wahrnehmbares kulturelles Zentrum für deutsche Sprache und Kultur zu bleiben. Weitere Informationen sind unter www.dbu.hu zu finden.

Die Intendantin

Ildikó Frank wurde am 25. August 1976 in Szeged geboren. In ihrer Jugend lernte sie am Lajos-Nagy-Gymnasium Fünfkirchen (ung. Pécs). Nach einem Studium an der deutschsprachigen Fakultät der Schauspielakademie in Temeswar spielte sie zuerst von 1997 bis 2002 am Deutschen Staatstheater und anschließend ein Jahr lang am Nationaltheater in Temeswar. 2008 erhielt sie den Preis für die beste Darstellerin beim Theatertreffen der Schauspielhochschulen Rumäniens in Hermannstadt. An der DBU ist sie seit 2000 als Schauspielerin und seit 2004 als Intendantin engagiert. Ildikó Frank spricht fließend Ungarisch, Deutsch, Englisch und Rumänisch. Sie lebt heute mit ihren zwei Kindern in Sechshard.

 

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2015), Jg. 10 (64), Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 223–227.

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