Sie schreibt, malt, fotografiert, arbeitet mit Collagen, Übermalungen, Überschreibungen, Grafiken, Papierkreationen, hat immer neue Ideen und eine unerschöpfliche Kreativität.
Ilse Hehn wurde am 15. Mai 1943 in Lowrin/Lovrin im Banat, Rumänien geboren. Nach dem Abitur an einem deutschen humanistischen Gymnasium in Temeswar/ Timișoara studierte sie Bildende Kunst an der West-Universität Temeswar und unterrichtete von 1965 bis 1992 Kunstgeschichte in Mediasch/Mediaș in Siebenbürgen.
1973 debütierte sie mit dem Gedichtband So weit der Weg nach Ninive (Kriterion Verlag, Bukarest). Heute kann die Autorin auf ein umfangreiches und vielfältiges Werk zurückblicken. 22 Bücher als Einzeltitel sind es bereits, dazu noch Künstlerbücher und zahlreiche Arbeiten in Anthologien und Literaturzeitschriften. Zuletzt erschienen die Prosabände Roms Flair in flagranti (2020) und Diese Tage ohne Datum (2022), beide im Pop Verlag Ludwigsburg.
Ilse Hehn ist Mitglied im Rumänischen Schriftstellerverband, in der Europäischen Autorenvereinigung DIE KOGGE, im European Writers’ Council, in der Künstlergilde Esslingen und im Exil-P.E.N. – Sektion deutschsprachige Länder, dessen Vizepräsidentin sie von 2011 bis 2022 war. Alle Auszeichnungen, die sie im Laufe der Jahre erhielt, hier aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen, dennoch sollen wenigstens drei bedeutende Auszeichnungen erwähnt werden: 2006 erhielt sie ein Ehrendiplom des Rumänischen Schriftstellerverbandes, 2014 einen Literaturpreis des rumänischen Schriftstellerverbandes und 2017 den Donauschwäbischen Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg.
Ich durfte Ilse Hehn persönlich über die Begegnungen im Exil-P.E.N. kennenlernen. Ihr Weg war kein leichter. Heimatlosigkeit wurde ihr bereits in die Wiege gelegt, 1944 flüchtete die Familie vor der Roten Armee nach Österreich. Bei der Rückkehr nach dem Krieg war nichts mehr wie vorher, die kommunistische Diktatur machte aus Rumänien ein großes Gefängnis. Der geliebte Kindergarten in Triebswetter/ Tomnatic, wo Nonnen die Kinder in französischer Sprache, der Sprache von Ilse Hehns Vorfahren mütterlicherseits, unterrichteten, wurde bald verboten. Verbote gab es viele, wer schrieb und publizierte, war der Geheimpolizei Securitate schon deshalb verdächtig, umso mehr, wenn man einer Autorenvereinigung aus dem Ausland angehörte. Als Ilse Hehn für die KOGGE einen Beitrag zur Anthologie Das verfolgte Wort schreiben sollte, legte die Securitate ein »Dossier der informativen Verfolgung« gegen sie an. 1984 starb ihr Ehemann Constantin Guzun plötzlich. Erst 1992 konnte sie mit Sohn Alexander Constantin ausreisen und fand eine neue Heimat in Ulm. Hier besuchte sie erneut die Schule, um schließlich als Dozentin für Kunst an der Ulmer Katholischen Fachhochschule für Sozialpädagogik zu unterrichten.
Bereits in jungen Jahren in Rumänien war Ilse Hehn eine bekannte Künstlerin, sowohl durch ihre Arbeiten im Bereich der bildenden Künste als auch durch ihre Gedichte und Kinderbücher. Als Dichterin fiel sie durch eine Lyrik auf, die thematisch wie formal neu war, subtile Probleme und Ängste zwischen den Zeilen ansprechend, frei in der Form, sprachlich faszinierend, kritisch, berührend. Vielsagend ist diesbezüglich das Gedicht Erfroren aus dem Jahr 1973: »Sandkälte / zersingt die / Horizontale / des Ufers / an das die Flut sein / großes / Schweigen warf — / muschel- grau kantig / erfroren / die Lippe des Meeres«.1Ilse Hehn: So weit der Weg nach Ninive. Bukarest 1973, S. 14.
Die prädominanten Themen bei Ilse Hehn bleiben Heimatlosigkeit, Diktatur, Identitätssuche, Freiheit, aber auch die Schönheit dieser Welt, die sie in vielen Facetten und Nuancen in ihr Werk einbringt. Als Ilse Hehn ihre von der Securitate angelegte Akte einsehen konnte, verarbeitete sie den ganzen Horror der Bespitzelung in dem Buch Irrlichter. Kopfpolizei Securitate. Im Gedicht Nomaden wir heißt es: »Im Raum der Nachtweite / suchst du die Nachrichten ab / nach Spuren des Tages / nach zornigen Farben / den überlebenswichtigen, kratzigen Decken«.2Ilse Hehn: Irrlichter. Kopfpolizei Securitate, Collagen, Gedichte, Notate/Lumini înșelătoare. Poliția minții Securitatea. Poezii, însemnări, colaje, pictură. Ulm 2013, S. 35.
Ilse Hehn findet einen Fluchtweg in die Freiheit durch die Kunst und später, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, konkret durch Reisen. Es entstehen Bücher mit wunderbar poetischen Reiseberichten, die alle Sinne ansprechen. Herbert Bockel schreibt im Klappentext zum Band Diese Tage ohne Datum: »[…] ein Gesamtkunstwerk, das die Vielfalt von Reiseerfahrungen in all ihren sinnlichen, gedanklichen und ästhetischen Facetten erfasst […]«. Die Autorin nimmt ihre Leserinnen und Leser mit in die entlegensten Gebiete, in das eisige Lappland, zu den Pyramiden in Ägypten oder quer durch ganz Europa, immer auch mit dem Blick der Fotografin, Malerin, bildenden Künstlerin und Kunstdozentin, aber auch mit jenem des kritischen Menschen, der früh gelernt hat, wachsam zu sein für politische und soziale Ungerechtigkeit.
Ilse Hehn hat nie ihre Heimat vergessen und ist immer wieder bestrebt, das Andenken daran aufrecht zu erhalten. 2013 entstand in der Reihe Heimat zum Anfassen der Bildband Das Gedächtnis der Dinge. Ilse Hehn hat darin Fotografien von einstigen Alltagsgegenständen aus dem Leben der Banater Schwaben mit Texten Banater Autoren verbunden.
Dass sie eine starke Frau ist, nie aufgibt und trotz aller Hindernisse immer ihren Mut und ihr sonniges Gemüt bewahrt hat, bestätigt wohl jeder, der Ilse Hehn kennt. In ihrem Buch Sandhimmel, in welchem sie Frauen aus bekannten Bildern, von ihr übermalt, in Versen sprechen lässt, sagt Esther aus Lucian Freuds Bild: »denn dir gehört etwas mir alles / vor allem der Weg zu mir.«3Ilse Hehn: Sandhimmel. Lyrik & Übermalungen. Ulm 2017, S. 32.
Angesprochen auf die 80 Jahre Lebensweg sagte mir Ilse Hehn: »Jetzt erst recht!«
Herzlichen Glückwunsch, liebe Ilse!
Eva Filip
Eva Filip, geboren in Arad, Rumänien, hat Germanistik und Rumänistik an der West-Universität Temeswar/Timișoara studiert. Danach war sie als Deutschlehrerin in Lugosch/Lugoj tätig. Seit ihrer Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland 1989 ist sie als freiberufliche Schriftstellerin tätig. Sie hat zahlreiche Erzählungen, Gedichte, Reportagen, Berichte und Rezensionen veröffentlicht und mehrere Preise für ihre Werke erhalten.
Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2023), Jg. 18, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 241–243.