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Gedichte von Gerlinde Roth

Von Gerlinde Roth

 

HÄRESIE DER IRIS

Wenn er alle Himmel
wie eine Decke
über sich gezogen hat,
schweigen, kann er sich auf seine Korallenaugen
verlassen,

um auf einem geflügelten Ross
so lange im Krei zu reiten,
bis er selbst Flügel geworden sein wird,

jene Winkel
bei den Möwen erreichend, wo
der Weinberg beginnt.

Als Essenz aller Meere, nur
blauer, grüner,
wird er in Transsylvanien
die Trauben
des Algenibs finden, den Atem
der Kerne hörend

 

KONSTANZA

Im Aquarium von Konstanz
schreien die Fische nach entflammter Rede

Eine Sichel wölbt sich
über dem Lapislazuli-Auge

“Weh, wenn Purpurroten dich trifft
vom Fittich, dem feuchten!*

Uns hatte der Abendstern getrunken,
bevor er ein Sonnenblumenfeld umarmte.

*Ovids Liebeskunst

 

ALALIE

Silberbeschuht
ging der Herbst
durch die Mitte
der Dinge,
ein Lispeln,
ein Rascheln
wie Maiskolbenblätter:
Alalie

 

DER PFEIL

Wie ein Tunnel, der in einen
anderen Tunnel mündet, ist der endlose
Korridor in Schwarz
gekleideter Frauen.

Mauern, Geruchslosigkeit, ein Pfeil
an der Decke, Weißes,
auf keinen Fall eine Blume.

Ein Gedanke an glatte,
wie Elfenbein blitzende
Unterarme leuchten kurz auf,
das Begehren nach Broschen,
die sich von Frauenhälsen lösen
lassen, durchzuckt
einen matten Strahl.

 

DIE MAGD

Unbeschuht steht sie auf der Schwelle,
ganz Tochter von Rausch und Wahn,
ganz Magd des Todes.
Jetzt ist sie hier.
Die Räume der Nacht zu vermessen,
sei ihr Begehren. Mit Knochenmehl
beladen, um ihr als Marke und Seil zu dienen,
sei sie aus dem Nichts entstiegen, habe
Jahrtausend um Jahrtausend erklommen,
gelobt sei die Natter.

 

LABSAL

Herbstkuss:

Im Mandelkern
entwischt sich
das Labsal
des Vergessens.

 

WÜSTE

Warum verschweigt der Sand die Karawanen?
Es war vielleicht eine Art kleid, groß genug für uns beide,
gewoben aus Mittag und Tränen.

von blauen Rändern
gleiten die Schatten.

Sind Schatten geschmolzene Gedanken?
Ist die Wüste das Meer?
Zusammengerollt zum Augenblick
sucht sich die Hülle den Anfang,
ein Gehäuse vielleicht.

 

GESCHICHTEN

In jedem Sandkorn verloren,
aber vergessen sind sie nie.
Quittenmund, Sonnenbruder,
wer wird sie erzählen?

 

HAAR

Sie tötet das Mondlicht
mit einem starren Blick,
sie leckt das Gold
von jedem Traum,
verfolgt vom Schweigen
der Scheren,
sie, die wandelnde Tür,
in fremdes Haus gekleidet.

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