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Editorial 1/2017

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Übersetzerinnen und Übersetzer werden gerne als Brückenbauer bezeichnet, als Vermittler zwischen verschiedenen Sprachen, Literaturen, Welten. Zweifellos sind sie das. Sie darauf zu beschränken, kommt jedoch einem Missverständnis gleich – vielmehr sind sie Akteure eines komplexen schöpferischen Prozesses, deren Beitrag weit darüber hinausgeht, Informationen aus einer Kultur in die andere zu übertragen. Was es heißt, in einem Echoraum der vielen Stimmen genau das richtige Wort zu treffen und festzuhalten, um den Leser einer »Zielkultur« zu erreichen, haben wir bereits in den vergangenen Ausgaben praktisch erkundet. Die auf Deutsch und Ungarisch schreibende Lyrikerin, aktuelle Peter-Huchel-Preisträgerin und Spiegelungen-Autorin Orsolya Kalász sei hier stellvertretend für die vielen Kollegen, Schriftsteller, Lektoren und eben Übersetzer genannt. Nur mithilfe dieser Akteure – der Sprachwissenschaftler und Soziologe Anthony Pym sieht jeden einzelnen Übersetzer als »minimal interculture« – können wir das Beste und Interessanteste aus den verschiedenen Sprach- und Lebenswelten abbilden.

Darum haben wir die vorliegende Ausgabe genau diesem Thema gewidmet. Gemeinsam mit einer Reihe hochkarätiger Wissenschaftler und Werkmeister der Übersetzung schreiten wir unter der fachlichen Leitung unserer Mitarbeiterin Dr. Enikő Dácz »Kontaktzonen literarischer Übersetzung« von der Ukraine bis nach Israel ab. Wir haben uns dabei auf praktische Fragestellungen konzentriert, von aktuellen Analysen zum »Übersetzungsmarkt« bis hin zu tiefen Einblicken in Meisterwerkstätten wie jene von Jurko Prochasko, Georg Aescht, Enikő Szenkovics und Nora Iuga. Wer ihre Werke zur Hand nimmt, spürt in jeder Zeile, dass das Übersetzen einer doppelten – intellektuellen wie handwerklichen – Leistung bedarf: Sie müssen das Wort beherrschen, nur um es im selben Moment auch schon wieder loszulassen.

Vom Vertrautsein mit und manchmal auch Zuhausesein in mehreren Lebenswelten – oft gleichzeitig, öfter durch biografische Zäsuren diachron getrennt – lesen wir auch in den Texten unseres zweiten und feuilletonistischen Schwerpunkts, der sich der Aktionsgruppe Banat widmet. Einmal mehr ist es Nora Iuga, die mit uns einen erfrischenden und nichtsdestoweniger analytisch präzisen Blick auf diese »deutschen Dichter aus Rumänien« und insbesondere Rolf Bossert wagt. Richard Wagner wiederum wird vielstimmig zu seinem Geburtstag gratuliert – man wünscht sich, dass »Richards Mühle« noch lange »vom Rand zur Mitte« mahle, wie Gerhardt Csejka uns verbildlicht. Johann Lippet und Carmen Elisabeth Puchianu haben uns literarische Texte zur Verfügung gestellt, Liviu Rebreanus »Wald der Gehenkten« ist auszugsweise in neuer deutscher Übersetzung – Georg Aescht, wer sonst? – zu lesen. Der in Klausenburg/Cluj-Napoca geborene, in den USA wirkende Maler und Kunstdozent Armin Mühsam hat für den Literaturteil fünf »Porträts« mit Feder und Tusche angefertigt.

Kontrastreich wirkt Eginald Schlattners autobiografischer Aufsatz in das Ensemble aus persönlichem Text und mitteleuropäischem Kontext hinein. Mira Miladinović Zalaznik stellt uns einen weiteren, einst in Deutschland sehr erfolgreichen Autor vor, dessen Muttersprache das Slowenische war und für den man sich in seinem Heimatland etwas mehr Rezeption wünschen würde: »Igor Šentjurc, ein begnadeter Fabulierer«.

Die deutschsprachigen Stimmen im literarischen Echoraum zwischen Mittel- und Südosteuropa sind jedoch, mag dies die eher retrospektive Ausrichtung vieler Beiträge im Kulturteil auch suggerieren, keineswegs am verstummen. Sie klingen nur ein wenig anders heute, wie das Beispiel des in Siebenbürgen geborenen und in Wien lebenden Autors Thomas Perle zeigt, den wir in dieser Ausgabe vorstellen. Neue Impulse erwarten wir auch vom Spiegelungen-Preis für Lyrik, der für 2017 erstmals ausgeschrieben wurde. 259 Einsendungen haben uns nach unserem Aufruf zur lyrischen Auseinandersetzung mit dem Donau-Karpaten-Raum erreicht. Bereits in der nächsten Ausgabe werden wir die Preisträger vorstellen. All dies wird von unserem neuen Redaktionsmitglied, dem Germanisten und Literaturkritiker Dr. Klaus Hübner, koordiniert – herzlich willkommen im Team!

Viel Vergnügen mit unseren wissenschaftlichen, literarischen und kulturellen Grenzgängen wünscht Ihre Spiegelungen-Redaktion. Erfahren Sie hier mehr über dieses Heft.

 

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2017), Jg. 12 (66), Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 7–8.

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