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Mariana Hausleitner: Selbstbehauptung gegen staatliche Zwangsmaßnahmen | Rezension

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Mariana Hausleitner: Selbstbehauptung gegen staatliche Zwangsmaßnahmen. Juden und Deutsche in Rumänien seit 1830. Berlin: Frank & Timme 2020. 338 S.

Von Andrei Corbea-Hoisie

Das neueste Buch der Historikerin Mariana Hausleitner schöpft offensichtlich aus einer ganzen Reihe ihrer langjährigen Forschungen im Bereich der rumänischen und südosteuropäischen Geschichte, von denen manche wichtige Beiträge zu Themen bilden, die aus verschiedenen Gründen in Rumänien bis weit in die 1990er-Jahre eher am Rande behandelt wurden. Als Meilenstein für den Versuch, eine Typologie des staatlichen Verhaltens gegenüber den Minderheiten nach der territorialen Erweiterung Rumäniens infolge des Ersten Weltkriegs festzulegen, galt die 2001 (bei Oldenbourg in München) veröffentlichte Habilitationsschrift Die Rumänisierung der Bukowina: eine umfangreiche Studie des aus heutiger Sicht problematischen Integrationsprozesses des ehemaligen habsburgischen Kronlandes in Großrumänien, der mit den Ereignissen der Jahre 1940–1944 katastrophal endete. Seitdem konnte die Autorin ihren Ruf, in ihren Ausführungen immer ,Klartext zu reden‘, das heißt die Fakten und die Zusammenhänge, so unbequem für jedwelche ideologische Nachinterpretationen sie auch seien, ohne opportunistische Vorbehalte darzustellen, weiter stärken. Ein gutes Beispiel dafür bietet ihr Buch über die Umsiedlungsaktion der Deutschen aus der Nord- und Südbukowina ins Dritte Reich („Viel Mischmasch mitgenommen“. Die Umsiedlungen aus der Bukowina 1940, Berlin 2018), wodurch die politische Indoktrinierung „auslandsdeutscher“ Gruppen zugunsten egoistischer Kriegspläne des Hitler-Regimes instrumentalisiert wurde, mit der Folge eines riesigen Dramas auf kollektiver und individueller Ebene; das wissenschaftlich tadellose Buch hat der Faktenverschleierung durch die verzerrte, von den Funktionären der Landsmannschaften in die Welt gebrachte Version der ganzen Geschichte ein definitives Ende gesetzt. Ebenso deutlich im Diskurs und dokumentarisch überzeugend wurden von der Autorin auch die Schicksale der deutschstämmigen und jüdischen Bewohner Bessarabiens (Deutsche und Juden in Bessarabien 1814–1941. Zur Minderheitenpolitik Russlands und Großrumäniens, München 2005) oder der schwäbischen Kolonisten und ihrer Nachkommen im Banat (Die Donauschwaben 1868–1948. Ihre Rolle im rumänischen und serbischen Banat, Stuttgart 2014) rekonstruiert.

Diesmal widmet sich Mariana Hausleitner einer sowohl langen als auch komplizierten Zeitspanne in der modernen Existenz staatlicher Gebilde mit ausdrücklich beanspruchter rumänischer ,Identität‘: von 1830 bis 1859 in Bezug auf die Donaufürstentümer Moldau und Walachei und danach bis zum Ende des Ersten Weltkrieges auf das aus deren Vereinigung resultierende ,Altreich‘ (offiziell Königreich erst seit 1881), 1918–1940 auf das sogenannte, aufgrund der Anschlüsse Bessarabiens, der Bukowina, Siebenbürgens und des Banats entstandene, Großrumänien mit all den nachfolgenden Vorkommnissen bis 1947, schließlich auf die kommunistische und postkommunistische Republik. Der Spiegel, vor dem diese Auseinandersetzung mit der Vergangenheit betrieben wird und in dessen Perspektive ihre Eigenartigkeit liegt, ist jener der parallelen Schicksalsprüfung zweier Bevölkerungsgemeinschaften, die eng an der Gestaltung moderner Entwicklungen in diesem geografischen Raum beteiligt waren und gleichzeitig von ihren Missbildungen fatal betroffen wurden. Die Assoziierung der in der Gegend zusammen mit Rumänen, Ungarn, Ukrainern usw. lebenden Juden und Deutschen ist keinesfalls zufällig, denn die Vergleichbarkeit ihres wechselhaften Verhältnisses zu den hiesigen Staatsstrukturen lässt sich auch mit einer gesonderten, in den lokalen Zuständen tief eingebetteten Historie ihrer gegenseitigen, von Kontakt und Konflikt gezeichneten Beziehung ergänzen. Darüber wurde allerdings schon geforscht und veröffentlicht: siehe das wertvolle Buch von Hildrun Glass Zerbrochene Nachbarschaft. Das deutsch-jüdische Verhältnis in Rumänien (1918–1938), München 1996, sowie auch den oben erwähnten Titel von Mariana Hausleitner in Bezug auf Bessarabien. Der gemeinsame Nenner der „Selbstbehauptung gegen staatliche Zwangsmaßnahmen“, der laut Titel die konfrontative Begegnung zwischen einer jungen, an der Kreuzung verschiedener Interessen situierten Staatsmacht, die gewillt war, sich mit allen Mitteln durchzusetzen, und festen, in ihren identitären Bekenntnissen wesentlich unterschiedlichen, jedoch in ihrem Widerstand gegenüber einer konstanten Homogenisierungspolitik ähnlich reaktiven Alteritäten, verweist letztendlich auch auf ein Scheitern: Heute bilden die Juden und die Deutschen zahlenmäßig irrelevante Minderheiten in Rumänien, nachdem jenseits der direkten Folgen des Zweiten Weltkriegs ihre Umsiedlung nach Israel und Deutschland jahrzehntelang im (finanziellen) Einvernehmen mit dem kommunistischen, sozial und national homogenisierend wirkenden Regime in Bukarest mit Erfolg durchgeführt wurde. In dem Sinne wird die doppelgleisige Beschäftigung mit dem Geschehen, das dazu geführt hatte, zu einer Art Lackmustest für ein im Laufe des gräuelhaften 20. Jahrhunderts fortlaufend raffinierter werdendes Verhaltensmuster national gefärbter (in diesem Fall rumänischer) Politik in Europa – und nicht nur.

Mariana Hausleitner versteht offensichtlich ihr diesmaliges Vorhaben, das nach eigenen Angaben auf „sieben vorangegangenen Büchern“ fußt, vorwiegend im Hinblick auf ein deutsches Publikum, das eigentlich nicht in die Verwicklungen der rumänischen Geschichte letzter Jahrhunderte eingeweiht ist. Auch deswegen bemüht sich die Autorin, stets den allgemeinen Rahmen zu berücksichtigen, in den die gruppenbezogenen Zeitläufte faktisch eingegliedert sind – übrigens ein methodologisches Signal für die konzeptionelle Einstellung, laut der die Historiografie die Wege ersuchen und finden muss, die Illusion separater, national (oder konfessionell) existenter ,Lebenswelten‘ zu überwinden und somit die entsprechende diachrone Projektion in ihren zahlreichen und komplexen Verflechtungen darzustellen. Die Einteilung der Materie kann ebenso als Reflex dieser effektplanenden Zielsetzung angesehen werden: Von dem etwa 300 Seiten starken Band wird eine Hälfte (150 Seiten) der zeitlich näheren und von vielen Lesern noch erlebten Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg gewidmet, in der sich gerade das endgültige Abschmelzen der zwei Sprach-, Kultur- und letztendlich Schicksalsgemeinschaften der auf dem rumänischen Territorium lebenden Juden beziehungsweise Deutschen abgespielt hatte. Die Gewichte der historischen Rekonstruktion liegen unterschiedlich, je nachdem wie die kollektive Präsenz der als „fremd“ wahrgenommenen Menschen von den staatlichen Institutionen zum sozialen und politischen Problem des Gemeinwesens registriert und erklärt wurde. So steht die jüdische „Frage“ erstmal im Mittelpunkt, denn die wachsende Anwesenheit der Juden im städtischen und ländlichen Umfeld (besonders in der Moldau) Mitte des 19. Jahrhunderts wurde zu einem sehr früh internationalisierten Konfliktherd, während die bis zum Ersten Weltkrieg zahlenmäßig wenigen Deutschen nur gelegentlich – positiv oder negativ, jedenfalls in Verbindung mit der Einsetzung 1866 der Dynastie von Hohenzollern-Sigmaringen – auffallen. Sie kommen erst nach 1918 in Betracht, als parallel zum Zuwachs der deutschsprachigen Bevölkerung innerhalb der neuen Staatsgrenzen Rumäniens auch ihre ökonomische und politische Bedeutung rasant steigt. Sonst werden die Zeitabschnitte in der Behandlung des Stoffes erwartungsgemäß bestimmt: ein großer Bogen von 1830 bis 1918 (ungefähr 50 Seiten) wie auch eine klar differenzierte Einteilung der Zwischenkriegszeit am Schwellenjahr 1933, das nicht nur bei Juden und Deutschen, sondern in die ganze rumänische Gesellschaft sich nachhaltig durch die brutalen Konsequenzen der politischen und militärischen Umwälzungen nach 1940 einprägte – darunter die vom Staat gelenkte Judenverfolgung und -vernichtung beziehungsweise die volle Zwangseingliederung der Deutschen in das NS-kontrollierte System der „Volksgruppe“, gefolgt von ihrer kollektiven Entrechtung in den ersten Nachkriegsjahren.

Die Autorin besitzt die bewundernswerte Gabe, eine riesige Anzahl von Daten und Fakten ,erzählerisch‘ synthetisieren zu können, mit anderen Worten auch triftige Kausalitätsketten glaubwürdig zu entwerfen. Auch wenn dabei das Risiko der Komplexitätsreduktion besteht, kann der Gewinn an Transparenz den Nachvollzug historischer Prozesse seitens heutiger Leser nur fördern und erleichtern. So werden etwa die langfristigen sozialen Auswirkungen momentaner und konjunktureller politischer Entscheidungen wie jene hervorgehoben, die 1866 zur Durchsetzung des berüchtigten Artikels 7 in der neuen rumänischen Verfassung führten, laut dem die Nicht-Christen (vor allem die Juden) von der Erlangung der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen wurden: Das Nachgeben der ,Verfassungsväter‘ vor dem Druck gelegentlicher, mit antijudaistischen Klischees behafteter Proteste radikaler Agitatoren, das sich dann doktrinär in dem national-liberalen Projekt der Schaffung und Unterstützung eines vorsätzlich rumänisch-nationalen Mittelstandes untermauern ließ, schwächte auf lange Sicht die Fähigkeit der bürgerlichen Kräfte, zu denen das urbane Judentum ,Altrumäniens‘ jedoch objektiv gehörte, eine strukturelle Modernisierung des Landes in allen Bereichen richtig anzupacken, mit entsprechend nachteiligen Folgen in der Wirtschaft und in der Gesellschaft. Ebenso einleuchtend wird – um ein anderes treffendes Beispiel zu nennen – der zeitweilige Erfolg der nationalkommunistischen Wende in der rumänischen Politik dargestellt, die Anfang der 1960er-Jahre initiiert wurde und in den aberrierenden Überspitzungen des letzten Jahrzehnts vor 1989 gipfelte: Die Tatsache, dass laut Autorin jene „aus der Bauernschaft aufgestiegenen Schichten“, die, wie Nicolae Ceaușescu selbst, den Marxismus „nur aus den kurzen Lehrgängen mit den Schriften von Stalin“ kannten, über keine Praxiserfahrung inhaltlicher Debatten über ideologische Richtlinien verfügten, soll den Weg für die offizielle Uminterpretation der rumänischen Geschichte im Sinne der Aufwertung eines vermeintlichen „sozialistischen Patriotismus“ (anstelle der bisher heraufbeschworenen „Klassenkämpfe“) geebnet haben – der symbolische Kurs der wirtschaftlichen und politischen Abgrenzung von der Sowjetunion sollte aber nicht nur eine neue Legitimierung des Regimes, sondern auch ausgerechnet desselben Machtapparats erlangen, der nach 1948 kontinuierlich die Kommunistische Partei und den Staat kontrollierte.

Mariana Hausleitner pflegt durchgehend diesen nüchtern-kritischen Blick, der ihr einerseits erlaubt, die richtigen Dimensionen von vielen in der „nationalen“ Geschichtsschreibung propagandistisch aufgebauschten Ereignissen (wie etwa die „Revolution“ in der Walachei des Jahres 1821, in der sie lediglich einen antiosmanischen „Aufstand“ einiger Griechen aus Odessa sieht) ,entzaubernd‘ wieder herzustellen, und sich andererseits verzwickten und manchmal ,delikaten‘ Angelegenheiten im Ablauf der Vorgänge souverän anzunähern. Sie dokumentiert beispielsweise sehr genau die Auseinandersetzungen um eine eventuelle Umsiedlung/Vertreibung aller Deutschen aus Rumänien, die nach dem Umsturz des Antonescu-Regimes und dem Eintritt Rumäniens an der Seite der Alliierten in den Krieg gegen Deutschland in den hohen politischen Kreisen in Bukarest stattfanden: Die Befürworter einer solchen Maßnahme, für die verschiedene Argumente (von den politischen, die sich auf die nazistische Indoktrinierung der deutschen Bevölkerung bezogen, bis zu den erwarteten ökonomischen Vorteilen, einschließlich bezüglich der geplanten Agrarreform, infolge der Nationalisierung des Eigentums der „Deutschen Volksgruppe“ und der Enteignung jener, die an den Kriegshandlungen in der Waffen-SS- oder Wehrmachtsuniform teilgenommen haben) neben den Beispielen der Tschechoslowakei und Polens ins Gespräch gebracht wurden, gehörten zu allen politischen Richtungen, von den Vertretern der bürgerlichen Parteien bis zu den Sozialdemokraten und Kommunisten; eine definitive Ablehnung des Projekts kam dennoch seitens der sowjetischen Führung und anscheinend von Stalin persönlich, die aus bestimmten Gründen an einem derartigen „Bevölkerungstransfer“ oder „Austausch“ (eventuell gegen Rumänen aus Bessarabien oder der Bukowina) nicht interessiert waren und eher die Deportation von deutschstämmigen Arbeitskräften in die Sowjetunion bevorzugten. Sehr offen thematisiert die Autorin auch u. a. die angebliche, in der rumänischen Historiografie umstrittene „Überrepräsentation“ von Juden in der Kommunistischen Partei, ebenso in den staatlichen Verwaltungsorganen, im Propagandaapparat und im Sicherheitsdienst nach 1948 – ein Tatbestand, der die rumänische Parteiführung stets beschäftigte und den Mariana Hausleitner jenseits jedwelcher Emotionen zu erklären versucht: die Flut gegenseitiger Vorwürfe und Denunziationen der Kollaboration mit den Nazis seitens ehemaliger konservativer kirchlicher und politischer Würdenträger der Siebenbürger Sachsen in den Jahren nach 1944, die Indienstnahme von Oberrabbiner Moses Rosen für die Rechtfertigung der Minderheitenpolitik des kommunistischen Regimes in den USA und Israel, wogegen er das Ziel der Emigration der in Rumänien verbliebenen Juden hartnäckig verfolgte u. a. Polemische Töne kommen zusätzlich vor, wenn es sich um die systematische, lange ausgeübte Taktik der Landsmannschaften der aus Rumänien in die Bundesrepublik übersiedelten Deutschen handelt, belästigende Aspekte ihrer Geschichte zwischen 1933 und 1945 zu verschweigen oder selbst zu verdrehen.

Nicht unerwähnt sei hier ein eigentlich in solchen Werken nicht sehr üblicher Rekurs auf die Kurzbiografien vieler einzelner Akteure, die in diesem angehäuften Faktenwissen auftauchen. Sie werden an bestimmten Stellen im Text eingefügt und helfen mehrmals zum besseren Verständnis der Gegebenheiten – ein Hinweis auf die Überzeugung der Historikerin, dass die Geschichte nicht bloß von einer gesellschaftlichen Mechanik, sondern von lebendigen Menschen getragen wird, die öfters im Strudel der von anderen Handelnden von nah und fern angezettelten Ereignisse untergegangen sind. Das kollektive Geschick der Juden und Deutschen in Rumänien kann ebenso in dem Sinne als exemplarisch angeführt werden.

 

This work was supported by a grant of the Romanian National Authority for Scientific Research, CNCS-UEFISCDI, project number PN-III–P-4-ID-PCCF-2016-0131.

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2021), Jg. 16, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 127–131.

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