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Horst Glassl (1934–2022)

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Von Harald Roth

Wer sich an Horst Glassl erinnert, wird das wohl jederzeit mit einem leichten Schmunzeln tun, denn der stets gutgelaunte, positiv denkende Osteuropahistoriker lässt einem gar keine andere Wahl. Als er am 1. Januar 1934 im böhmischen Silberbach (tsch. Stříbrná)  im westlichen Erzgebirge, nahe der Grenze zu Sachsen, zur Welt kam, war dieser Ort eine stattliche Gemeinde im Karlsbader (tsch. Karlovy Vary) Kreis, später Landkreis Graslitz (tsch. Kraslice). Die Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Heimat nach Niederbayern erlebte er bewusst mit; diese Erfahrung sollte ihn nachhaltig prägen, so dass sein Interesse an der Geschichte des östlichen Europas und im Besonderen an jener der vormals habsburgischen Länder gut nachvollziehbar ist.

Er studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München fürs Lehramt, blieb aber nach der Promotion bei Prof. Georg Stadtmüller mit der Arbeit Der Mährische Ausgleich (Diss. phil. 1965, publ. 1967, Kurzfassungen 1977, 2005) in der Wissenschaft und wurde 1973 mit der Schrift Das österreichische Einrichtungswerk in Galizien (1772–1790) in München habilitiert (publ. 1975). Damit war die Grundlage für eine überaus erfolgreiche akademische Lehrtätigkeit gelegt, denn Horst Glassl konnte das, was vielen Wissenschaftlern an den Hochschulen heute oft fehlt: Er konnte hervorragend unterrichten, er konnte für seine Themen begeistern und seine Studenten und Studentinnen auf spannende Reisen durch die Jahrhunderte und durch Länder und Regionen des östlichen Europa mitnehmen. Modisches theoretisches Geschwurbel war ihm fremd, da er um dessen sehr begrenzte Gültigkeitsdauer wusste, er unterrichtete vielmehr umfassendes, quellenkritisches historisches Wissen, auf dem seine Schüler in unterschiedlichsten Berufslaufbahnen aufbauen und aus dem sie langfristig schöpfen konnten.

Zunächst wirkte Glassl als Privatdozent an der Münchener Hochschule für Politik, bis er 1980 außerplanmäßiger Professor am Institut für Geschichte Osteuropas und Südosteuropas an der LMU wurde. Aber nicht nur hier, sondern auch am Ungarischen Institut (UIM) trat er in die Fußstapfen seines akademischen Lehrers Stadtmüller, zunächst als stellvertretender Direktor und ab 1980 für mehr als zwei Jahrzehnte als dessen Direktor. Das UIM war zwar eigenständig und verfügte über erhebliche Bestände, blieb über ihn aber auch in den universitären Betrieb eingebunden.

Erstaunlich war Glassls vielfältiges und intensives ehrenamtliches Engagement außerhalb des akademischen Lehrbetriebs – und selbst nach Jahren entdecken jene, die seinerzeit verschiedentlich darin eingebunden waren, noch weitere seiner langfristig und erfolgreich wahrgenommenen Aufgaben. Da ist etwa das Münchener Haus der Begegnung e. V. zu nennen, dessen Vorsitzender er war, aber auch im Newman-Verein nahm er diese Funktion lange Jahre wahr, des Trägervereins eines Münchener katholischen Studentenheims. Er hatte darüber hinaus noch Zeit, sich seit Studienzeiten in unterschiedlichsten Kontexten der Ackermann-Gemeinde zu engagieren, deren Vorsitz er schließlich in den Jahren 2006–2018 übernahm, aber er wirkte auch mit im Kuratorium des Osteuropa-Instituts München, im Beirat des Instituts für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte, als Mitglied in der Historischen Kommission für die böhmischen Länder, im Collegium Carolinum, und er war sich auch nicht zu schade, als Kassenprüfer beim Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas lange Jahre zum laufenden Betrieb beizutragen. Auch eine Stipendiatengruppe der Hanns-Seidel-Stiftung, wo er als Vertrauensdozent tätig war, erfreute sich seiner regelmäßigen Betreuung. Zu erwähnen wäre noch seine vielfältige redaktionelle Tätigkeit für Zeitschriften wie für Schriftenreihen seit Beginn der 1960er-Jahre bis in die Zeiten des Ruhestands. Diesen verbrachte er durchaus aktiv, ausgelastet mit Ehrenämtern wie auch mit wissenschaftlicher Arbeit.

Im Frühjahr 2019 fand anlässlich seines 85. Geburtstags und zweier weiterer gleichaltriger Jubilare ein Symposium in Bad Niedernau statt, das sich mit dem Thema „Ausgleich“ als Basis für Verständigung und Versöhnung befasste – alle drei hatten sich große Verdienste um die Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen erworben. In der letzten Zeit war Horst Glassl allerdings von Krankheit gezeichnet. Er verstarb am 13. März 2022 an seinem langjährigen Wohnort Putzbrunn bei München und wurde am dortigen Kirchfriedhof beigesetzt. Die Erinnerung an ihn im Kreise seiner Schüler wie auch der zahlreichen Einrichtungen, in denen er engagiert wirkte, wird lebendig bleiben – und seine positive Energie wird über das Schmunzeln jener, die sich seiner erinnern, lange nachwirken.

Harald Roth hat osteuropäische und neuere Geschichte sowie evangelische Theologie in München, Freiburg im Breisgau, Heidelberg und Seattle, Washington, studiert. 1994 wurde er unter Horst Glassl promoviert. Seit 2013 ist er Direktor des Deutschen Kulturforums östliches Europa (DKF) in Potsdam.

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2022), Jg. 17, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 241–242.