Antonina Roitburd unter Mitarbeit von Gundel Große: Rumänische Literatur im deutschsprachigen Raum seit 1990. Ziele, Entwicklungen und Erfolge des Kulturtransfers. Berlin, Frank & Timme 2020. 130 S.
Von Anke Pfeifer
Die Leipziger Buchmesse 2018, die Rumänien als Gastland präsentierte, gab Antonina Roitburd die Anregung für das Thema ihrer Masterarbeit, die sie für die vorliegende Publikation unter fachkundiger Mitarbeit der Rumänistin Gundel Große gründlich überarbeitet hat. Aus der Neugierde heraus zu erkunden, welche Themen rumänischsprachige Schriftsteller und Schriftstellerinnen bewegen und inwiefern ihre Literatur für ein deutschsprachiges Publikum von Interesse ist, stellte sie sich für die Studienabschlussarbeit die Aufgabe, „die rumänische Literatur aus Perspektive des deutschsprachigen Buchmarktes und Lesepublikums zu analysieren und somit die Funktionsweise rumänisch-deutscher Literaturkontakte zu verstehen“. (S. 8)
Forschungsleitend fragt sie danach, welche Autoren und Autorinnen nach 1990 in den Blick genommen wurden, welche Werke von wem übersetzt wurden und wie diese Übersetzungen rezipiert wurden, um so „ein Panorama der rumänisch-deutschen Kulturbeziehungen“ (S. 8) zu entwerfen. Dabei orientiert sie sich an der Theorie der Interkulturellen Kommunikation von Hans-Jürgen Lüsebrink, der verschiedene Vermittlungsformen zwischen Kulturen unter dem Begriff des Kulturtransfers zusammenfasst. Anhand der einzelnen Kriterien, die spezifische Vermittlungsinstanzen und -prozesse umfassen, beschreibt sie strukturiert den rumänisch-deutschen Kulturtransfer zwischen 1990 und 2018, das heißt den durch verschiedene Mittlergruppen betriebenen Aneignungsprozess rumänischer Literatur im deutschen Sprachraum.
Einen Schwerpunkt bilden die kulturvermittelnden Akteure: Zu den personalen Vermittlern gehören die Literaturübersetzer und -übersetzerinnen. Dabei hebt sie die besondere Rolle jener rumäniendeutschen Schriftsteller und Kulturmittler wie zum Beispiel Gerhardt Csejka, Ernest Wichner, Georg Aescht hervor, die nach Deutschland emigrierten. Sie beherrschen sowohl die rumänische als auch die deutsche Sprache hervorragend und kennen sich in beiden Kulturen bestens aus. Sie treten nicht nur durch rege Übersetzungstätigkeit in Erscheinung, sondern werben für die Übersetzung von Werken, da Verlage im deutschsprachigen Raum aus Kostengründen eher zurückhaltend sind bezüglich der Aufnahme rumänischer Literatur in ihr Programm. Häufig werden auch Autoren und Autorinnen selbst aktiv, um ihre Werke in Deutschland zu vermarkten, wobei persönliche Kontakte zu Übersetzern und Übersetzerinnen oder Verlagen eine große Rolle spielen. Einige bedeutende Verlage wie Zsolnay in Wien, Wieser in Klagenfurt, Residenz Verlag St. Pölten/Salzburg oder Die Andere Bibliothek Berlin haben Mircea Cărtărescu, Gabriela Adameşteanu oder Dan Lungu bekannt gemacht. Aber auch etliche kleine Verlage wie Klak, Edition AVRA, mikrotext, Transit und insbesondere der Pop Verlag veröffentlichen rumänische Werke in deutscher Übertragung. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Förderung von Übersetzungen durch deren Finanzierung. Die rumänische Kulturpolitik in Gestalt des Institutul Cultural Român in Bukarest hatte seit Mitte der 2000er-Jahre wirksame Maßnahmen ergriffen, um rumänische Literatur im Ausland bekannt zu machen. Auch in Deutschland, unter anderem durch den DAAD, den Deutschen Übersetzerfonds und durch das europäische Netzwerk traduki, wurden (und werden) verschiedene Förderinstrumente wie die finanzielle Unterstützung von Übersetzungen oder Aufenthaltsstipendien für Schriftsteller und Schriftstellerinnen mit Erfolg eingesetzt. Roitburd zeigt, dass mediale Mittlerinstanzen wie die Leipziger Buchmesse von 2008, insbesondere aber dann die Messe von 2018 in beeindruckendem Umfang und mit beachtlichem Erfolg eine Vielzahl von Büchern präsentierten und dadurch eine große Rolle bei der Sichtbarmachung rumänischer Literatur spielten. Auch auf die zunehmende Bedeutung der sozialen Medien geht die Verfasserin ein. Leider beschränkt sie sich dann bei der Auswertung von Buchbesprechungen in den von ihr gewählten Beispielen vorrangig auf die FAZ und die Süddeutsche Zeitung. Eine umfangreiche Sichtung von Rezensionen wäre in diesem Rahmen zwar nicht leistbar gewesen, aber neben Zeitungen, TV und Radio hätten Fachzeitschriften (zum Beispiel Spiegelungen, Deutsch-Rumänische Hefte), die zahlreiche Besprechungen veröffentlichen, allerdings nur einen kleinen Wirkungskreis haben, und Internet-Publikationen wie etwa literaturkritik.de Erwähnung finden können.
In den drei folgenden Kapiteln wird jeweils eine der Dekaden ab 1990 hinsichtlich übersetzter Werke aus dem Rumänischen eher in quantitativer Hinsicht untersucht. Manches ist sehr knapp, eher thesenhaft gehalten, wie das Kapitel 3.3 zur Lyrik, das zudem abrupt mit einer Anmerkung zum Prosaautor Mihail Sebastian endet. Mitunter bleibt es bei der kommentierten Aufzählung von Autoren und ihrer Werke. Zusammenhänge werden angedeutet, wenn etwa auf den Begriff des Hooligans in Werken von Eliade, Sebastian und Manea als Auseinandersetzung mit jüdischer Identität beziehungsweise Antisemitismus eingegangen und auf das besondere Interesse für diesen Themenkomplex in Deutschland verwiesen wird. In einem Unterkapitel, aber dennoch kurz beschreibt die Autorin die problematische rumänische Rezeption von America de peste pogrom [Oxenberg & Bernstein, 2018], ein im lockeren Stil verfasster Roman von Cătălin Mihuleac über den Pogrom in Iaşi 1941, und seine positive Aufnahme in Deutschland. Einigen anderen Autoren widmet Roitburd ebenfalls je ein Unterkapitel, so Carmen Francesca Banciu und der widersprüchlichen Rezeption von Ein Land voller Helden in Deutschland sowie Mircea Cărtărescu als wichtigstem Repräsentanten der rumänischen Gegenwartsliteratur.
Auf die Kriterien, nach denen die Auswahl literarischer Texte zur Übersetzung erfolgte und wie sie dann rezipiert wurden, geht die Verfasserin nur teilweise ein. Rumänische Literatur wurde im deutschsprachigen Raum vor allem in den ersten Jahren nach 1990 häufig danach befragt, inwieweit sie Auskunft geben kann über Diktaturerfahrungen und die gesellschaftlichen Verhältnisse in Rumänien vor und nach 1990. Dem entsprechen zum Beispiel die Romane von Adameşteanu, die ein Gesellschaftspanorama Rumäniens nach 1945 entwerfen, wie Roitburd richtig erwähnt. Manches hätte ausführlicher dargelegt werden können, aber vermutlich sind die Gründe, die „affektiven Faktoren“ für die Wahl eines bestimmten Werkes auch nicht immer zu ermitteln. In weiteren Kapiteln wird auf die Übersetzung von Klassikern sowie auf die Theaterlandschaft in Rumänien und Moldau eingegangen.
Als gelungenes Beispiel für interkulturelle Adaptation, die das Zielpublikum in verschiedenen Rezeptionsräumen visuell ansprechen soll, sei ihre vergleichende Interpretation der Buchcover der rumänischen Ausgabe des Romans Tema pentru acasă [Die Hausaufgabe, 2018] von Nicolae Dabija sowie der deutschen, italienischen und französischen Übersetzung angeführt. Das Buch wird als kulturspezifisches Gesamtkunstwerk betrachtet, wozu auch die Gestaltung des Buchumschlags gehört, die sich je nach Land, in dem die Übersetzung in der Landessprache erschien, unterscheidet.
Grundlage für die Monografie ist die von Roitburd auf Basis des Online-Katalogs der Deutschen Nationalbibliothek erstellte Bibliografie (S. 105‒130), die in Form einer Tabelle mit chronologisch nach Erscheinungsjahr angeordneten Titeln übersetzter Literatur aus dem Rumänischen ins Deutsche im Zeitraum von 1990‒2018 sehr übersichtlich Aufschluss über Titel, Autoren und Autorinnen, Verlage sowie Übersetzer und Übersetzerinnen gibt. Damit setzt sie frühere Bibliografien, zusammengestellt von Georg Stadtmüller in Basil Munteanus Literaturgeschichte, von Anneli Ute Gabanyi, Ion Acsan und Daniela Olărescu zeitlich fort.
Die Arbeit von Roitburd belegt damit deutlich die über besagten Zeitraum gewachsene Zahl an Übersetzungen rumänischer Literatur in Deutschland, die beachtliche Zahl an Übersetzern und Übersetzerinnen sowie Verlagen, die sich für die Verbreitung rumänischer Literatur eingesetzt haben. Das große Verdienst der Arbeit liegt darin, dass sie neben der umfangreichen Präsentation von Datenmaterial auf viele Facetten von Literaturvermittlung und auf Leerstellen verweist, woraus sich Anknüpfungspunkte für zukünftige weiterführende Forschungen zur Geschichte der Rumänistik, Verlagspolitik, Rezeption etc. ergeben. Wenn Roitburd im Schlusskapitel schreibt, dass bezüglich der DDR „überlegt werden [könnte], ob es nicht auch hier ein gewisses kulturelles Interesse an Rumänien und seiner Literatur gab“ (S. 88), offenbart sich hier und auch in ihrer kritischen Auseinandersetzung mit Olărescus Die Rezeption der rumänischen Literatur in Deutschland zwischen 1945 und 1989 eine gewisse Unsicherheit beziehungsweise ein Mangel an Wissen sowie das Weiterwirken klischeehafter Vorstellungen bezüglich des rumänisch-deutschen Kulturtransfers vor 1990. So würde es sich lohnen, wie Roitburd sehr zu Recht anmerkt, Untersuchungen zu den heute weitgehend unbekannten Übersetzern und Übersetzerinnen, die bis 1989 Literatur aus dem Rumänischen übertrugen, auf ihre Herkunft, Bildung, Präferenzen und übersetzerischen Kompetenzen anzustellen. Sie regt zum Beispiel auch an, einen Vergleich der beiden Übersetzungen des Romans Pădurea spânzuraţilor [Der Wald der Gehenkten] von Liviu Rebreanu, die Fassung von Valentin Lupescu aus dem Jahre 1966 und die Neuübersetzung von Georg Aescht 2018, vorzunehmen.
Einige kleine Nachlässigkeiten seien angemerkt: Schreibfehler bei den Herausgebernamen (Pfeiffer statt Pfeifer und Valerie statt Valeriu, S. 109) und dem Titel Das Leben wie ein Tortenboden (nicht: Das Leben als Tortenboden, S. 33). Gerhardt Csejka arbeitete zunächst beim Neuen Weg, der aber eine Tageszeitung für die deutsche Minderheit war und keine Literaturzeitschrift, anders als die Bukarester Zeitschrift Neue Literatur (nicht: Neue Literaturen, S. 32), bei der er später tätig war. Mitunter fällt die Verwendung von Umgangssprache auf: Nicht Cărtărescu wird herausgegeben, sondern seine Bücher. (S. 78)
Eine Übersicht über die rumänischen Gäste des Berliner Künstlerprogramms von 1971 bis 2019 ergänzt diesen nützlichen Band.
Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2024), Jg. 19, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 129-132.