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Auf den Spuren von Adam Guld: Ein Beitrag zur Musikforschung im Ersten Weltkrieg

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Von Vesna Ivkov, Akademie der Künste der Universität Novi Sad

Die Deutschen in der Vojvodina

Wegen des Reichtums an natürlichen Ressourcen, des günstigen Klimas und der überwiegend flachen Gegend war das Gebiet der heutigen Vojvodina schon immer ein Schauplatz zahlreicher Migrationen und eines der Ziele der Strategien zur Bevölkerungswanderung. Die habsburgische Kolonisierung des südlichen Teils Ungarns erfolgte im 18. und 19. Jahrhundert in mehreren Hauptetappen. „Zahlreiche Nationen beteiligten sich an der Kolonisierung Südungarns, und den Kolonisten wurden dabei unterschiedliche Rollen zugewiesen, entsprechend ihren eigenen wirtschaftlichen, kulturellen und technologischen Errungenschaften, die sie aus ihrer Umgebung mitbrachten“, schreibt Aleksandar Krel. Die bedeutendsten Phasen der Kolonisierung Südungarns fanden im 17. und 18. Jahrhundert statt, als zahlreiche Bauern, Handwerker, Militärveteranen und Beamte aus den damaligen deutschen Fürstentümern, angelockt von versprochenen Vorteilen, sich auf den Weg in die Pannonische Tiefebene machten. Im 19. Jahrhundert kam es zu einer internen Kolonisierung, also zur Umverteilung eines Teils der Bevölkerung. So fand zum Beispiel in der Batschka eine interne Kolonisierung statt, bei der ein Teil der deutschen Bevölkerung aus überbevölkerten Gebieten abwanderte. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts gab es im Banat zwar noch Ansiedlungen der deutschen Bevölkerung durch den ungarischen Adel, diese waren jedoch kleiner im Vergleich zu den früheren Wanderungen des 18. Jahrhunderts. Im 19. Jahrhundert kam es zu massiven Migrationen deutscher und ungarischer Bauern nach Kroatien und Slawonien.

Der Prozess des Aufbaus einer gemeinsamen Identität der deutschen Bevölkerung und der Stärkung der symbolischen Grenzen wurde in dieser Zeit vor allem durch die kulturelle Vielfalt erschwert, da die Mitglieder dieser Gemeinschaften aus verschiedenen Gebieten – Elsass, Lothringen, der Schweiz, Preußen, Bayern, Sachsen, Thüringen, Hannover und Westfalen – stammten, unterschiedliche Traditionen pflegten und verschiedene deutsche Mundarten sprachen. Die territoriale Entfernung zum Mutterland verlangsamte die Entwicklung des kollektiven Bewusstseins und des Zugehörigkeitsgefühls. Darüber hinaus war die Bevölkerung, auf die die Deutschen im Gebiet der heutigen Vojvodina trafen, heterogen und umfasste Serben, Ungarn, Rumänen, Juden, Slowaken, Kroaten, Roma und andere.

Die Deutschen in Apatin

Die Geschichte der Deutschen in Apatin ist untrennbar mit dem Schicksal der deutschen Gemeinschaft auf dem ganzen Hoheitsgebiet der Vojvodina verbunden. Dank seiner günstigen geographischen Lage wurde es während der großen Siedlungszüge der Batschka im 18. Jahrhundert zum wichtigsten Flusshafen und Transitpunkt sowie Endstation – die letzte (Entlade-)Station, an der die Kolonisten weiter verteilt wurden. Die ersten deutschen Kolonisten, vor allem Handwerker (Mühlenbauer, Bäcker, Schiffer), ließen sich in der Nähe des zukünftigen Flusshafens nieder. Durch den Zuzug der deutschen Bevölkerung wurden die bisherige Einwohner in diesem Gebiet geplant und zwangsweise umgesiedelt beziehungsweise verdrängt. Aufgrund der großen Zahl von Handwerkern, die sich hier niederließen, entwickelte sich die Stadt rasch und begann sich schließlich als Handwerkszentrum und größte deutsche Siedlung in der Umgebung hervorzuheben. Die wesentlichen Identitätssymbole der deutschen Gemeinschaft waren Sprache, Religion, gemeinsame Herkunft und historische Erfahrungen. Die Identität der Donauschwaben war schon in frühester Zeit eng mit der Religionsausübung verbunden. Religion diente als Hüterin der Tradition und leistete Unterstützung bei der Aufrechterhaltung und dem Aufbau sozialer Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft.

Die strategische Lage von Apatin und die Rolle der letzten Station an der Donau ermöglichte eine beschleunigte Entwicklung im Sinne vom Aufbau der notwendigen Infrastruktur. Die Stärkung der wirtschaftlichen Bedeutung von Apatin wurde im Jahr 1773 bestätigt, als es zum Zentrum des Kreises wurde. Nach den katastrophalen Überschwemmungen am Ende des 18. Jahrhunderts und dank der raschen wirtschaftlichen Erholung erlebte Apatin einen Aufschwung und eine kulturelle Entwicklung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und am Anfang des 20. Jahrhunderts stellten die Deutschen die Mehrheit der Bevölkerung in Apatin. Gleichzeitig war dies die Zeit intensiver Magyarisierung der deutschen, serbischen und rumänischen Bevölkerung auf dem Gebiet der Vojvodina. Aufgrund der Aufrechterhaltung einer entspannteren Lebensweise strebten einige Deutsche nach einem herrschaftlichen Leben wie der ungarische Kleinadel und dieser Wunsch führte sie auf den Weg der Magyarisierung. So erlebten die in Ungarn lebenden Deutschen eine intensive Magyarisierung und zeichneten sich vor allem durch ein Gefühl der lokalen Zugehörigkeit und Loyalität gegenüber der österreichisch-ungarischen Monarchie aus, ohne dass sich ein starkes Nationalbewusstsein entwickelte.

Das Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand im Jahr 1914 durch den serbischen Nationalisten Gavrilo Princip war ein Wendepunkt im Leben der Bewohner der Monarchie. Als der Krieg ausbrach, erteilte Kaiser Franz Joseph der Oberkommandantur die Ermächtigung, alle befestigten Orte auf dem Gebiet Österreich-Ungarns in den Kriegszustand zu versetzen. Zu den Mobilisierungsmaßnahmen in diesem Bereich gehörten nicht nur die Streitkräfte, sondern auch die Wirtschaft, die Industrie, die Landwirtschaft, der Verkehr und die Medien, die maßgeblich zur öffentlichen Meinungsbildung beitrugen.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde Österreich-Ungarn gemäß den verschiedenen Friedensverträgen in mehrere Staaten aufgeteilt, in denen die Deutschen den Status einer nationalen Minderheit erlangten. Die deutschen Einwohner der Region, auch geteilt, pflegten ihre transnationalen wirtschaftlichen, kulturellen, sprachlichen, bildungsbezogenen und verwandtschaftlichen Beziehungen weiter. In den neu gebildeten Staaten begannen sie mit dem Aufbau einer modernen nationalen Identität und sich als Donauschwaben zu definieren.

Apatin gehörte damals zum neu geschaffenen Staat Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg teilten die Apatiner Deutschen mit gewissen Besonderheiten das Schicksal ihrer Landsleute im Königreich und führten ein hochentwickeltes kulturelles, politisches und wirtschaftliches Leben. Ein weiterer Wendepunkt im Leben der Apatiner Deutschen ereignete sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als die neu gebildete Regierung in Jugoslawien sie als Kollaborateure der Besatzer betrachtete und sie in Zentralarbeitslager und in Internierungslager schickte, wo mehrere Zehntausende von ihnen starben. Die Apatiner beschlossen nach der Auflösung der Lager, nach Deutschland, Österreich und in die USA auszuwandern oder in der Vojvodina zu bleiben. Die meisten gebliebenen Deutschen aus Apatin entschieden sich für die sogenannte ethnische „Mimikry“:

Es geht um die Anwendung einer Identitätsstrategie, die durch eine bewusste vorübergehende oder dauerhafte Aufhebung der öffentlichen Manifestation der Merkmale der eigenen ethnischen Gruppe sowie um die bewusste Akzeptanz und öffentliche Manifestation der Merkmale anderer ethnischer Gruppen aus der unmittelbaren Umgebung, die zu diesem Zeitpunkt eine günstigere soziale Stellung innehatten. Die Deutschen in der Vojvodina, darunter auch die Deutschen aus Apatin, erklärten sich bei den Volkszählungen im Zeitraum von 1945 bis 1991, getrieben von Angst aufgrund traumatischer Nachkriegserlebnisse, massenhaft als Ungarn, Kroaten, Tschechen, Serben.

(Krel: „NemačkoudruženjeAdamBerenc“, S. 169: „Radi se o primeni identitetske strategije koju karakteriše svesna privremena ili trajna obustava javnog ispoljavanja simbola etničkog identiteta sopstvene zajednice, kao i svesno prihvatanje i javno ispoljavanje obeležja drugih etničkih grupa iz neposrednog okruženja, koja su u tom trenutnku imala povoljniji društveni položaj. Nemci u Vojvodini, uključujući i njihove apatinske sunarodnike, vođeni strahom zbog traumatičnih posleratnih iskustava, na popisima stanovništva sprovođenim u periodu od 1945. do 1991. godine, masovno su se izjašnjavali kao Mađari, Hrvati, Česi, Srbi […]“.)

Wegen dieser ethnischen „Mimikry“ nutzten die Vojvodina-Deutschen in der Periode nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Muttersprache nicht mehr. Selbst in sehr seltenen Fällen war die deutsche Sprache nur in der Kommunikation unter Familienangehörigen zu hören und es gab auch solche Fälle, in denen die Eltern mit ihren Kindern nicht in der Muttersprache sprachen, so dass die Jugendlichen nicht einmal die Möglichkeit hatten, die Sprache auf traditionelle Weise, durch mündliche Übertragung von Generation auf Generation zu erlernen.

In den 1990er-Jahren zerfiel die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien, in der Region kam es zu Kriegen. An der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert wurden im Gebiet der Vojvodina zahlreiche deutsche Vereine gegründet: „Die Donau“ in Novi Sad (Neusatz), der „Deutsche Volksverband“ in Subotica (früher Maria-Theresiopel), „Gerhard“ in Sombor, er „Deutsche Verein Adam Berenz“ in Apatin und andere, deren Aufgabe es ist, die deutsche Sprache, Religion und das kulturelle Erbe zu bewahren. Der im Jahr 2001 gegründete „Deutsche Verein Adam Berenz“ in Apatin wurde nach einem Priester und Kämpfer gegen den Nationalsozialismus benannt. Seit seiner Gründung setzt sich der Verein für die Verbesserung der nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Serben und Deutschen in der Stadt, für die Sammlung und Sicherung des kulturellen Erbes der Donauschwaben und für die Förderung der deutschen Kultur und Sprache ein. Ziele des Vereins sind der Aufbau eines Museums, eines Archivs und einer Bibliothek, die das kulturelle Erbe der Donauschwaben aus der Vojvodina beherbergen sollen, sowie die Förderung der Zusammenarbeit mit anderen ethnisch-sprachlichen Gemeinschaften und der deutschen Kultur und Geschichte. Der Verein beschäftigt sich außerdem mit der Digitalisierung und Katalogisierung der Kulturschätze des Museums, mit Deutschunterricht, und arbeitet auch mit anderen Nichtregierungsorganisationen bei verschiedenen Veranstaltungen zusammen.“

 

Adam Guld aus Apatin

Seit der Gründung des „Deutschen Vereins Adam Berenz“ in Apatin werden alle Daten sorgfältig gesammelt, die sich auf die Geschichte und Kultur der Deutschen auf dem Hoheitsgebiet dieser Stadt und ihrer Umgebung beziehen. Dies betrifft auch Gegenstände, die das Leben der Deutschen in Apatin und seiner Umgebung auf geistige oder materielle Weise aufklären könnten. Der Vorsitzende des Vereins, Boris Mašić, zeigt größte Begeisterung und Arbeit hinsichtlich der Sammlung von solchen Dokumenten und historischen Zeugnissen. Dank seiner Beharrlichkeit konnten die Archivmaterialien von den Dachböden mehrerer Familienhäuser und aus den Depots bestimmter Kirchenarchive vor dem Verfall und der Zerstörung gerettet werden. Angesichts der unerwartet großen Menge an gesammelten Archivdaten entstand auch die Initiative zur Gründung eines Museums. Das Sammeln von historischem Material, das vom Leben der Deutschen in Apatin und Umgebung zeugt, wird von zahlreichen Problemen begleitet. Vor allem handelt es sich um unvollständige Materialien, große Uneinigkeit der schriftlichen Daten und manchmal um große Skepsis der Priester bestimmter Kirchen, die keinen Zugang zu ihren Kirchenarchiven gewähren. Das seit der Gründung des Vereins eingegangene Material muss systematisiert und klassifiziert werden. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, da der Verein über einen großen Bestand an Archivmaterialien verfügt und sich gleichzeitig mit der Sammlung neuer historischer Materialien beschäftigt. Neben der selbstständigen und enthusiastischen Arbeit an der Systematisierung von Daten wird Boris Mašić gelegentlich von Experten unterstützt, die einen bestimmten Teil des Materials für die Bedürfnisse wissenschaftlicher Forschung sortieren. Zwecks der Forschung kam gelegentlich Dr. Franz Metz, der aus dem Banat stammende und in München wirkende deutsche Musikwissenschaftler und Organist, nach Apatin, der sich intensiv mit der Forschung der Kirchenmusik und der Tradition des Orgelbaus und -spiels sowie allgemein mit der Musikgeschichte der Deutschen in Südosteuropa beschäftigt.

Da die Autorin dieser Zeilen in der Umgebung von Apatin lebt und sich seit mehr als zwei Jahrzehnten intensiv und interdisziplinär mit der traditionellen Musik von Völkern und Ethnien beschäftigt, liegt ihr Interesse in der Herausforderung, auch die deutsche Musiktradition in der Vojvodina zu erforschen. Bisher stützte sich diese Forschung auf historische Aufnahmen der vokalen Musiktradition der Deutschen in der Batschka, auf dem gegenwärtigen Stand der Musiktradition und möglichen Tendenzen. Nach bisherigen Erfahrungen wird diese Arbeit heutzutage durch die Uneinigkeit, Ungeordnetheit und Unzugänglichkeit von Beständen sowie durch die geringe Zahl an deutschsprachiger Bevölkerung erschwert. Unter solchen Umständen ist es gerechtfertigt, nach größeren oder kleineren Datenspuren zu suchen, die die musikalische Vergangenheit der Deutschen aufklären könnten – auch wenn diese Spuren nur Fragmente überliefern können. Dank Boris Mašić konnte Einsicht in die teilweise bearbeiteten Daten zum musikalischen Bestand beziehungsweise zu den von Adam Guld unterschriebenen Musikalien gewährt werden. Im Folgenden wird ein kommentierter Überblick der Handschriften Adam Gulds sowie der Daten, die neben den Musikalien angegeben sind, dargestellt und nach der Herkunft ausgewählter Melodien gefragt.

Die Notensammlung von Adam Guld hat Boris Mašić folgenderweise beschrieben: „Inhalt der Schachtel: Noten, Manuskripte von Adam Guld und Johan Galurtz auf dem Schiff S. M. S. Radetzky, das 1914 in Pula (dt., it. Pola) lag. Ich fand sie auf einem Dachboden in Apatin. Polkas, Walzer und Lieder.“

Über Adam Guld gibt es heute nur wenige Informationen. Nach Angaben von Familienangehörigen von Mašić zog Gulds Großvater einst von Tolnau (ung. Tolna) nach Apatin. Im Geburtsregister steht, dass Adam Guld am 24. Dezember 1890 in Apatin geboren wurde. Er war musikalisch begabt und einst Mitglied des Männergesangsvereins in Apatin. Im Ersten Weltkrieg wurde er mobilisiert und diente als Soldat auf dem Schlachtschiff S. M. S. Radetzky in Pula. Er heiratete Katharina Toldy am 12. November 1917 in Apatin. Im Sterbebuch von Apatin sind keine Informationen über seinen Tod vorhanden. Aber laut Informationen, die Mašić durch familiäre Kontakte vorlagen, starb Adam Guld 1945 in einem Konzentrations- oder Internierungslager. Adam Gulds Tochter Ana war eine Freundin von Mašićs Großmutter und Adam Gulds Urenkel war ein Freund von Boris Mašić. Als die inzwischen verstorbene Ana und ihr Sohn in den 1990er-Jahren von Apatin nach Deutschland zogen, rettete Mašić die Notenschriften vom Dachboden ihres Hauses.

 

Das Notenmaterial von Adam Guld, S.M.S. Radetzky 

Ab den 1860er-Jahren wurde Pula zum Stützpunkt der Kriegsmarine der österreichisch-ungarischen Monarchie. In den 80er-Jahren desselben Jahrhunderts begann sich die Marine intensiver zu entwickeln und diese Entwicklung eröffnete zahlreiche Möglichkeiten, insbesondere im Bereich der Entwicklung schwerer Panzerschiffe mit schwerer Bewaffnung. Kriegsschiffe wurden zu Trägern der Flotte, die neben gepanzerten Schiffen auch über leichte Kreuzer verfügte, die Aufklärungsaufgaben haben, während für den Schutz das Schiffsgeschütz – ein Zerstörer – sorgte. Die Kaiserlich-Königliche Kriegsmarine änderte im Jahr 1889 ihren Namen in Kaiserliche und Königliche Kriegsmarine mit der Abkürzung K. u. K. Kriegsmarine. Die Schiffe dieser Marine trugen vor ihrem Namen die Bezeichnung S. M. S. (Seiner Majestät Schiff), angelehnt an die britische Bezeichnung H. M. S. (His/Her Majesty’s Ship). Abgesehen davon, dass diese Schiffe die damals größten ausgebauten Schlachtschiffe in der Geschichte der Adria waren, waren sie noch recht neu. Das S. M. S. Radetzky war das erste von drei Schlachtschiffen der Radetzky-Klasse, die für die österreichisch-ungarische Marine gebaut wurden. Es wurde nach dem österreichischen Feldmarschall Josef Graf von Radetzky (1766–1858) benannt.

Vor und besonders während des Ersten Weltkriegs spielte das Marineorchester in Pula eine große Rolle im sozialen und kulturellen Leben der Stadt. Dieses Orchester, das 1871 ursprünglich als Blaskapelle gegründet wurde, entwickelte sich zum symphonischen Orchester mit einem sehr vielfältigen Repertoire und 100 Mitgliedern. Davon waren 45 Musiker bereit und für die Einschiffung vorgesehen, während 55 dauerhaft in Pula ansässig waren. Diese Organisation des Marineorchesters änderte sich bis zum Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie im Jahr 1918 nicht wesentlich. Der Dirigent des Marineorchesters blieb meistens in Pula, während die Musiksektionen auf den Schiffen von Marinemusikern des entsprechenden Rangs geleitet wurden. 

Bezüglich der nationalen Zusammensetzung der Schiffbesatzung in der österreichisch-ungarischen Monarchie an der Adria waren nach offiziellen Angaben aus dem Jahr 1914 Kroaten und Slowenen mit 34,1 Prozent, Ungarn mit 20 Prozent, Deutsche mit 16,3 Prozent, Italiener mit 14 Prozent vertreten, danach folgen Tschechen, Slowaken und Ruthenen mit 11 Prozent und Polen und Rumänen mit 4,6 Prozent. Allerdings waren die meisten Offiziere deutscher und ungarischer Nationalität, aber im Laufe der Zeit erhielten auch andere Ethnien des Reiches zunehmend diese Möglichkeit.

Während des Militärdienstes von Adam Guld, der aufgrund seiner Orts- und Datumsangaben auf den Manuskripten der Musikalien bekannt ist und zwischen 1913 und 1918 abgeleistet wurde, war Franz Jaksch (1899–1917) Militärkapellmeister des Marineorchesters. Diese Zeit vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg war die reichste und dynamischste in der Arbeit des Marineorchesters in Pula.

Das Notenmaterial von Adam Guld ist von Hand, sehr deutlich, größtenteils leserlich und mit schwarzer Tinte geschrieben. In der Kopfzeile wird der Name der Melodie mit einem Hinweis auf den Abschnitt der jeweiligen Komposition aufgeführt und darunter eine genauere Genredefinition: Polka, Mazurka, Marsch unter anderem. In der oberen rechten Ecke wird angegeben, für welches Instrument diese Stimme (zum Beispiel Violine, Viola, Cello, Klarinette) vorgesehen ist sowie der Name des Komponisten.

Das Notenkorpus wird hauptsächlich auf einem großformatigen Notenpapier, DIN A4 oder A3, auf zwei Blättern, also vier Seiten, aufgezeichnet. Am Ende des vierseitigen Dokuments gibt es Angaben zum Entstehungsort des Manuskripts: Pula, am See oder an der Mündung der Bojana; es wird das Datum (Tag, Monat, Jahr) angegeben, nebst der Unterschrift von Adam Guld und der Referenz „S. M. S. Radetzky“. Es ist eine interessante Tatsache, dass ein Teil der Partituren von vier Kompositionen für ein Musikinstrument zu einem bestimmten Datum veröffentlicht wurde und auf einem Dokument in horizontaler oder vertikaler Position enthalten ist (Studentenliebchen, Polka Mazurka, Viola, H. J. Schneider, Pula, den 6.VI.1917; Am Mondsee, Polka française, Viola, Pula, den 6.VI.1917, Adam Guld, Durch’s Telefon, Polka schnell, Viola, H. J. Schneider, Pula, den 6.VI.1917, Adam Guld; Schatzerl, Polka française, Viola, H. J. Schneider, Pula, den 6.VI.1917, Adam Guld). Andere Notenblätter nennen die gleichen Kompositionen mit dem Hinweis, dass sie für ein anderes Instrument geschrieben wurden: zum Beispiel Violine 1, Pula, 5.VI.1917).

Aufgrund des bisher erstellten Verzeichnisses sind keine vollständigen Instrumentalstücke der beigefügten Kompositionen zu finden, so dass der Verdacht besteht, dass die Partituren für einzelne Instrumente fehlen. Somit ist eine verlässliche Aussage, für welche Instrumentalkomposition die Partituren ausgeschrieben wurden, momentan nicht möglich. Einige Niederschriften der Melodien befinden sich auf separaten Blättern, wie zum Beispiel die Komposition Ein Traum, deren Notation für Viola von A. Guld auf S. M. S. Radetzky unterschrieben wurde. Eine Ausnahme im Notenkorpus bildet eine Melodie, die auf der Kehrseite eines Blattes aufgezeichnet ist, zum Beispiel des österreichischen Marsches Windobon, der von Karl Komzak komponiert wurde, während der Unterzeichner dieser Partitur für Violoncello im Juli 1925 J. Galurtz ist, mit Referenz auf das Schiff S. M. S. Radetzky.

Vertreten sind genremäßig die für Orchester ausgeschriebenen Märsche aus Operetten (zum Beispiel Flieger Marsch aus der Operette Der fliegende Rittmeister, komponiert von Hermann Dostal oder Verliebte Brüder Marsch aus der Operette Polenblut von Oskar Nedbal), Militärmärsche, Mazurken, Walzerlieder, Lieder berühmter Autoren aus Kompositionen komplexerer Form (das Lied Geh’, Alte, schau! aus der Operette Das Dreimädelhaus nach Melodien von Franz Schubert), Lieder berühmter Komponisten sowie Volkslieder, arrangiert für Instrumental- oder Gesangsausführung (monophon oder polyphon), seltener Tango, Foxtrott. Die Walzer berühmter Komponisten (zum Beispiel Wiener Blut, komponiert von Johann Strauss), Polkas (zum Beispiel Durch’s Telefon, komponiert von H. J. Schneider) nehmen einen wichtigen Platz im Orchesterrepertoire ein.

Die Tempoangaben werden sorgfältig mit italienischen Standardausdrücken und -zeichen notiert. Im Notenkorpus sind Artikulation sowie Tempo in italienischen oder deutschen Ausdrücken niedergeschrieben. Zwischen den Notensystemen wurden die Noten „mit Gefühl“, „sehr ritmisch“, „sehr breit“, „wenn Cello fehlt“, „langsam“, „sehr schnell“, „etwas schneller“ oder „sehr zärtlich und weich“ hinzugefügt, um den Interpreten darauf aufmerksam zu machen, auf welchen Teil der Melodie er sich konzentrieren sollte, falls während der Aufführung ein Instrument fehlt; es wurden Anweisungen also an den Interpreten gegeben, wie er das Stück vortragen sollte, um die Interpretation so ausdrucksvoll wie möglich zu gestalten.

Dass es Bearbeitungen und Adaptionen der Melodien bestimmter Kompositionen gab, beweist Fürstenkind – Walzer, eine aufbewahrte Aufnahme von Adam Guld für Violine, nach Motiven der Operette von Franz Lehár. Vermerkt wurde, dass die Partitur am Tag 9. VIII. 913 an der Mündung der Bojana entstanden ist. Außerdem gibt es eine Tonaufnahme: Lyuk, Lyuk – Marsch, ebenfalls vom Komponisten Franz Lehár, oder eine Aufnahme der Violinstimme von Adam Guld. Diese Komposition von Franz Lehár gehörte bereits im April 1894 zum Repertoire des Marineorchesters. Das Schaffen von Franz Lehár (1870–1948) ist mit Pula verbunden, denn in der Zeit von März 1894 bis Oktober 1896 fungierte er in dieser Stadt als Kapellmeister des Orchesters der kaiserlichen und königlichen Marine. Lehár war auch als Komponist in Pula tätig. Seine Stellung als Militärkapellmeister bestimmte in vielerlei Hinsicht die Wahl des Genres und des Stils seiner Werke aus dieser Zeit. Zum kompositorischen Werk Lehárs während seines Aufenthaltes in Pula gehören – neben Werken, die für das Schaffen von Militärmusikern charakteristisch waren wie Märsche und Tänze – auch der Zyklus der Sololieder Weidmannsliebe op.  26, die symphonische Dichtung Il Guado und die Oper Kukuschka.

Unter den Manuskripten von Adam Guld befinden sich auch Melodien nichtdeutscher Herkunft, die weltbekannt geworden sind, wie zum Beispiel Santa Lucia, ein italienisches, neapolitanisches Volkslied, das von Teodoro Cottrau komponiert worden ist, sowie Cuban Danza, eine kubanische Tanzmelodie. Da befinden sich auch die Namen einiger Melodien ungarischer Herkunft, beispielsweise Ó, szép Oroszlány, einer Stadt (dt. Ohreslahn) im heutigen Ungarn gewidmete Polka, sowie Instrumentalklänge aus der serbischen Musiktradition: Trgovačko kolo, Oficirsko kolo, Devojačko kolo – Srbijanka, Princess Jelena kolo, Sriemsko kolo. Diese Tatsache bestätigt die Interkulturalität der damaligen Musikwelt und dementsprechend einen vokalen, instrumentalen oder tänzerischen Ausdruck, indem kulturelle Erfahrungen durch Praxis ausgetauscht werden. In diesem Fall kann durch die Notation der Musik zwecks Vorführung der Lieder anderer Kulturen, die ethnische die ethnische Vielfalt dieses Kulturraums bewiesen werden.

Den Angaben zufolge fuhr am Ende des Ersten Weltkriegs (am 12. November 1918) das Schlachtschiff Radetzky, Teil der ehemaligen österreichisch-ungarischen Marine, unter kroatischer Flagge von Pula nach Split. Beim Admiralstreffen am nächsten Tag in Pula wurde beschlossen, dass die Besatzungen der ehemaligen österreichisch-ungarischen Schiffe Radetzky und Zrínyi sowie mehrerer kleinerer Schiffe entlassen werden und die amerikanische Kriegsmarine das Kommando über sie übernehme. Nach dem Abzug der Franzosen kamen 16 amerikanische Torpedojäger in Split an, die im Hafen von Poljud das Kommando über zwei entwaffnete Schiffe, die Radetzky und die Zrínyi übernahmen.

Schlussbetrachtungen

Die Notensammlung von Adam Guld, die sich im Donauschwäbischen Kirchenmuseum in Apatin sowie im Apatiner Archiv und in der Bibliothek befindet, bezieht sich auf das Repertoire des Orchesters in Pula, das auf dem Schiff S. M. S. Radetzky im Zeitraum zwischen 1913 und 1918 entstanden ist. Durch den Einblick in die Sammlung wurde eine bestimmte Diskontinuität festgestellt, weil die Notenschriften von Adam Guld nicht nacheinander entstanden sind oder nicht alle aufbewahrt wurden, damit eine Kontinuität festgestellt werden könnte. Das Marineorchester spielte in Pula eine große Rolle im sozialen und kulturellen Leben der Stadt. Da ein Teil der Soldaten auf den Schiffen war, während die anderen in der Stadt geblieben sind, waren die Partituren von Adam Guld im Gebrauch der Musikabteilung des Schlachtschiffes S. M. S. Radetzky, die von Musikern der Marine bestimmten Rangs geleitet war. Die in den Schriften von Adam Guld bewahrten Partituren für das Orchester sind nicht vollständig, weil die Abschriften vieler Orchesterpartituren fehlen. Es gibt keine zuverlässigen Angaben darüber, ob die Partituren für alle Instrumente nicht bewahrt sind oder ob sie nicht von Adam Guld, sondern von einem anderen Musiker geschrieben wurden. Laut Inhalt der Notenschriften bestand das Repertoire im Zeitraum von 1913–1918 aus bestimmten Musiksegmenten der klassischen, Militär- und Volksmusik. Das Musikrepertoire des Militärorchesters bestand hauptsächlich aus Werken österreichisch-ungarischer Komponisten, die meist im 19. Jahrhundert gelebt und gewirkt haben, aber auch aus Werken zeitgenössischer Komponisten, die unmittelbar vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs tätig waren – einschließlich aus Werken derer, die ihrerzeit in der Kapelle des Marineorchesters in Pula aktiv waren. In der Notensammlung befinden sich neben österreichischen und deutschen Melodien auch solche anderer Kulturräume, so dass sich in dem Repertoire des Orchesters, aber auch im Bewusstsein des Notenschreibers ein interkultureller Zugang definieren lässt. Die Notenschriften von Adam Guld stellen eindeutig einen wichtigen Nachweis der Musikstandards und der Musikpraxis im Bereich der Militärmusik während des Ersten Weltkriegs dar. Die Entdeckung dieser fragmentierten Musiksammlung ist von großer Bedeutung sowohl für den Herkunftsort Apatin als auch darüber hinaus, da die Musiksammlung aus unterschiedlichen Zeiträumen und Kulturen stammt. Die künftigen Forschungen in Richtung der komparativen Untersuchungen dieser und ähnlicher Notensammlungen würden zu weiteren Erkenntnissen und einer detaillierteren Zuordnung der österreich-ungarischen Militärmusik während des Ersten Weltkriegs beitragen.

VESNA IVKOV (1976) ist außerordentliche Professorin, Inhaberin des Lehrstuhls für Musikologie und Ethnomusikologie sowie Leiterin des Studiengangs Ethnomusikologie an der Akademie der Künste der Universität Novi Sad. Sie promovierte 2013 im Bereich Ethnomusikologie und im interdisziplinären Bereich Ethnomusikologie und Musikpädagogik. Sie erforscht die Gesang- und Instrumentalmusik von Serben, Kroaten, Slowaken, Deutschen und Muslimen in der Vojvodina sowie das Instrument Akkordeon, das sie auch spielt. Für ihren Beitrag zur Entwicklung von kulturellen Aktivitäten wurde sie 2017 mit dem Goldenen Abzeichen des Außenministeriums der Republik Serbien ausgezeichnet.

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2024), Jg. 19, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 83-93. 

 

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