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Bernadette Gebhardt: „Bilder der Heimat“ | Rezension

Bernadette Gebhardt (Hg.): „Bilder der Heimat“. Fotografie und Kunst in Heimatzeitschriften (Schriftenreihe des Instituts für Volkskunde der Deutschen des Östlichen Europa, Bd. 25). Münster, New York: Waxmann 2022. 255 S.

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Von Stephan Scholz

 

Die Bedeutung der visuellen Dimension sowohl der individuellen als auch der kollektiven Erinnerung wird seit einigen Jahren immer mehr erkannt und über verschiedene Disziplinen hinweg untersucht. In diesen Forschungszusammenhang reiht sich der von Bernadette Gebhardt herausgegebene Sammelband ein, der sich mit der Rolle von Bildern bei der Darstellung der Herkunftsgebiete der aus dem östlichen Europa stammenden Deutschen in deren „Heimatzeitschriften“ beschäftigt. Der Band ist im Rahmen des Projekts eines Online-Handbuchs Heimatpresse entstanden, das seit 2016 am Institut für Volkskunde der Deutschen des Östlichen Europa (IVDE) in Freiburg betrieben wird und in seiner jüngsten Phase um Angaben zu den an der visuellen Gestaltung Beteiligten erweitert wurde, wie die Herausgeberin in einem eigenen Beitrag erläutert. Bereits 2020 war aus diesem Projekt ein Band hervorgegangen, der sich mit der visuellen Seite der „Heimatpresse“ beschäftigte.[1] Viele der damaligen Autorinnen und Autoren haben sich auch an dem neuen Sammelband beteiligt, mit dem der Blick auf die Verwendung von Fotografien und künstlerischen Darstellungen in den Periodika der deutschen Vertriebenen gelenkt wird.

Dabei bleibt die Perspektive im Wesentlichen begrenzt auf die Presse der sogenannten Sudetendeutschen und die visuelle Darstellung ihrer Herkunftsgebiete. Es wäre sicher sinnvoll gewesen, auf diese Fokussierung im Titel und im Ankündigungstext des Buches hinzuweisen, um nicht Erwartungen zu enttäuschen, die auf einen größeren Zusammenhang und Vergleichsmöglichkeiten über verschiedene Herkunftsgebiete hinweg gerichtet sind. Auch die recht kurz gehaltene Einleitung geht hierauf nicht ein. Sie gibt zudem nur relativ wenige Hinweise zum größeren Forschungskontext sowie zu den verfolgten Zielen, Interessen und Methoden. Die acht folgenden Beiträge eröffnen dementsprechend ganz unterschiedliche Zugänge zum Thema.

So verfolgen die ersten drei Texte die Entwicklung der visuellen Darstellung in langfristiger Perspektive, indem auch die Vorläufer aus der Zeit vor 1945 in den Blick genommen werden, an die die Heimatzeitschriften der Vertriebenen oftmals anknüpften. Trotz der erheblichen politischen und lebensweltlichen Umbrüche zeigen sich dabei deutliche Kontinuitäten in der Visualisierung der „Heimat“. Versuche, dieses Festhalten an altvertrauten Darstellungen der Herkunftsgebiete mit der „Sehnsucht nach Kontinuitäten zur ‚alten Heimat‘“ zu erklären (Gebhardt, S. 66) oder als „Ausdruck der Bewältigung des Heimatverlustes, als Mittel zur Überwindung der durch die Vertreibung erlittenen Traumata“ zu deuten (Hirschfeld, S. 37), bleiben dabei auf der Ebene von Vermutungen, die empirisch schwer nachzuweisen sind. Weitgehend außer Acht gelassen werden dabei die politischen Intentionen der Blattmacher, obwohl auf die personellen Kontinuitäten im Kreis der Herausgeber und Redakteure sowie ihrer Kontakte zu Bildlieferanten durchaus hingewiesen wird. Diese politischen Intentionen scheinen zum Beispiel in der feinen Beobachtung im Beitrag von Jiří Riezner auf, der auf eine Bedeutungsverschiebung hinweist, die allein durch die Veränderung des Titels eines sowohl vor als auch nach 1945 häufig abgebildeten Holzschnitts entsteht. Indem der Titel von „Egerländer Dorf“ nach 1945 zu „Pflug im Winter“ geändert wird, wird die Aufmerksamkeit auf den Boden gelenkt, „den die Vorfahren urbar gemacht hatten und von dem man vertrieben worden war“ (S. 91). Der textliche Hinweis auf den visuell dargestellten Winter verweist dabei auf die lediglich temporäre Unterbrechung dieser Bearbeitung durch die Deutschen.

Wesentlich deutlicher werden politische Implikationen in dem Beitrag von Sandra Kreisslová, der sich mit der Verwendung zeitgenössischer Fotografien beschäftigt, die auf Reisen in die Herkunftsgebiete entstanden sind. Anknüpfend an Bourdieus Theorie von der sozialen Dimension der Fotografie, untersucht Kreisslová in einer visuellen Diskursanalyse von zwei Heimatzeitschriften die Funktion der hier abgedruckten Amateurfotografien. Neben ihrer Rolle als Medien der bloßen Information und Dokumentation zur Orientierung über den aktuellen Zustand sowie als visuelle Brücken zu Erinnerungen an die „alte Heimat“ kommt ihnen auch eine Bedeutung innerhalb der politischen Systemkonfrontation und insbesondere im „Kampf der Sudetendeutschen um das ‚Recht auf Heimat‘“ zu (S. 208). Die Fotografien dienen in diesem Zusammenhang dem Nachweis der Zerstörung und des Verfalls nach dem Wegzug der deutschen Bevölkerung sowie damit zusammenhängend der Inszenierung der eigenen Überlegenheit gegenüber den neuen Bewohnerinnen und Bewohnern. Das Bild der unterlegenen und rückständigen Tschechinnen und Tschechen vermischt sich dabei mit dem von bedauernswerten Opfern des Kommunismus. Die eigene Überlegenheit kommt dagegen zum Beispiel im häufig abgebildeten Motiv des Autos als Zeichen des Wohlstandes im Kontrast zur Ärmlichkeit der alten Umgebung und ihrer neuen Bewohnerinnen und Bewohner zum Ausdruck. Das visualisierte Wohlstandsgefälle kompensiert dabei in gewisser Weise den erlittenen Heimatverlust. Die visuelle Inszenierung der eigenen Überlegenheit setzt sich auch nach dem Ende des Kommunismus fort, zum Beispiel in Darstellungen deutscher Reisender als „Entwicklungshelferinnen und -helfer“ bei der Sanierung historischer Bauwerke.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Elisabeth Fendl, die sich mit der Resonanz der Heimatpresse auf eine Fotoreportage beschäftigt, die 1955 im stern von einer Journalistenreise ins „Sudetenland“ berichtete. Die dreiteilige Reportage in der damals äußerst auflagenstarken Illustrierten konstruierte für einen breiten Adressatenkreis, der weit über die Gruppe der Vertriebenen hinausging, ebenfalls ein Bild von kulturloser Verwahrlosung und Verfall in den ehemals von Deutschen besiedelten Gebieten. Die Reportage löste eine rege Anschlusskommunikation in der Vertriebenenpresse aus, in der die Journalisten des stern auch selbst weitere Beiträge und Fotos veröffentlichten. Ein leitendes Darstellungsprinzip war dabei die visuelle Kontrastierung von alten und neuen Fotos, die einerseits zu einer idyllisierten Verklärung der Vergangenheit „unter deutscher Führung“ (so der Franzensbader Heimatbrief 1955) beitrug, während die Gegenwart als eine der Unordnung und des Verfalls erschien. Die Präsenz dieses visuell konstruierten Narrativs nicht nur in der Heimatpresse der Vertriebenen, sondern auch in der allgemeinen Bildpublizistik der Bundesrepublik verweist auf die Verwobenheit des nationalen Diskurses mit dem Diskurs der Vertriebenen. Diese Verwobenheit ließe sich durch Vergleiche mit anderen Fotoreportagen weiterverfolgen, etwa mit der 17-teiligen Artikelserie „Schau heimwärts Vertriebener! Ostdeutsche Heimat heute“, die bereits 1952 in der Revue erschienen war, dem damaligen Marktführer und größten Konkurrenten des stern. Sie berichtete aus den nun in Polen liegenden Herkunftsgebieten der Vertriebenen und war mit Unterstützung der Verbände und Rückgriff auf die Heimatpresse der Vertriebenen entstanden.[2]

Mit seinem Fokus auf die Herkunftsgebiete der Sudetendeutschen untersucht der Sammelband in weiteren Beiträgen die Entwicklung der visuellen Darstellung von spezifischen Erinnerungsorten (Hans-Werner Retterath über das „Heidebrünnel“ im Altvatergebirge) sowie das Wirken einzelner Fotografen (Petr Karlíček über Rudolf Jenatschke, der in der Heimatpresse der Vertriebenen allerdings kaum Beachtung gefunden hat). Pavel Scheufler gibt als Experte für die Fotografiegeschichte in Böhmen und Mähren einen instruktiven Überblick über deren Entwicklung mit besonderem Fokus auf die Rolle der Deutschen, beschränkt sich dabei allerdings auf das lange 19. Jahrhundert, während die bislang wesentlich schlechter erforschte Zwischenkriegszeit ebenso ausgeblendet bleibt wie der Bezug zu den Heimatzeitschriften der Vertriebenen. Insgesamt bietet der Band durchaus wertvolle Anregungen für weitere Forschungen. Neben Untersuchungen zu anderen (Herkunfts-)Regionen legt er insbesondere vergleichende Studien nahe, welche geeignet wären, die visuelle Dimension der Erinnerung in einem weiteren Rahmen zu kontextualisieren.

 

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2023), Jg. 18, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 99–101.

 

[1] Elisabeth Fendl, Johanne Lehfeldt, Sarah Scholl-Schneider (Hgg.): Jahrbuch Kulturelle Kontexte des östlichen Europa 61 (2020): Bild und Schrift als Botschaft. Vom Dekor der Heimatzeitschriften.

[2] Vgl. Stephan Scholz: Beelendende Berichte? Eine Mediengeschichte von „Flucht und Vertreibung“ 1945–2015. In: Matthias Frese, Julia Paulus (Hgg.): Willkommenskulturen? Re-Aktionen auf Flucht und Vertreibung in der Aufnahmegesellschaft der Bundesrepublik. Paderborn 2020, S. 334–375, hier: S. 351f.