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Editorial 1/2016

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Wenn sich die vorliegenden Spiegelungen dem Thema »Rumäniendeutsche und Nationalsozialismus« widmen, kann dies nur als ein einzelner, wenn auch unübersehbarer Pflock in einem noch abzusteckenden Terrain verstanden werden. Zwar ist die Forschungzur faschistischen Phase bei den »Volksdeutschen« bereits den Kinderschuhen entwachsen, harrt aber insbesondere im Falle der Rumäniendeutschen einer vertieften Untersuchung. Kommunistische Unterdrückung, Massenemigration und die »Wende« ließen andere Themen in den Mittelpunkt rücken – und vielleicht kam die nach 1989 augenfällig dringendere Aufarbeitung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die in leuchtendem Signalrot die braunen Schatten übertünchte, manchem gar nicht ungelegen.

Als »Gastherausgeber« für den wissenschaftlichen Schwerpunktteil dieser Ausgabe haben Dr. Ulrich Andreas Wien, Dirk Schuster und Timo Hagen eine Auswahl von Texten zusammengestellt, die sich dem Thema Nationalsozialismus bei den Rumäniendeutschen sowohl quellenbasiert als auch theoriegeleitet annähern. Die Basis dafür lieferten Vorträge des von der Universität Koblenz-Landau, dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde und dem ikgs veranstalteten Internationalen Workshops »Geschichte des Nationalsozialismus in Siebenbürgen/Rumänien«, der im vergangenen Jahr in Landau stattgefunden hat. Die Veranstaltung stand auch einem interessierten Laienpublikum offen. Zum analytischen Duktus gesellten sich also auch Bestürzung und Widerspruch. In den Debatten zwischen Forschern und »Betroffenen« (manchmal auch beides in einer Person, sowohl in erster als auch in zweiter Generation) wurde deutlich, dass es einer Entemotionalisierung der Thematik und einer Professionalisierung des wissenschaftlichen Zugangs zu Gunsten einer analytisch orientierten Herangehensweise an diesen schwierigen historischen Stoff bedarf.

Eine kritisch-distanzierte Perspektive, die wohl eher eine jüngere Generation einzunehmen vermag, darf jedoch nicht darauf verzichten, die – aus naheliegenden Gründen immer weniger werdenden – Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen: Wie sehr die beiden Vertreter der Erlebnisgeneration, die ergänzend zu den wissenschaftlichen Beiträgen auf die Bitte der Herausgeber hin ihre Sicht auf die Kriegsjahre darlegen, mit der Unentrinnbarkeit der (kollektiven) Biografie hadern und um eine Objektivierung der eigenen Subjektposition ringen, zeichnet die beiden Professoren Dr. Konrad Möckel und Dr. Paul Philippi besonders aus. Einen Ausweg aus der Doppelmühle zwischen endogener Apologetik und exogener Pauschalverurteilung weisen jedoch auch diese beiden Texte nicht. Das kann aber auch nicht der Zweck von Zeitzeugenschaft sein. Sie bleibt zwangsläufig subjektiv – und dies ist gleichzeitig ihre Stärke: Ihr Changieren zwischen memorierter Unmittelbarkeit und zeitbedingter Selbstreflexion bildet einen für die Wissenschaft unverzichtbaren Aspekt des Aufarbeitungsdiskurses ab. Als solch eine individuelle Momentaufnahme wollen ihn, insbesondere, wenn aus der Erzählung Rechtfertigung wird, Herausgeber und Redaktion verstanden wissen.

Erstmalig wurde für die wissenschaftlichen Beiträge ein doppelblindes Peer-Review- Verfahren angewendet, von dem sich die Redaktion einen nachhaltigen Beitrag zur Qualitätssicherung verspricht. Ergänzt wird der erste Teil dieser Ausgabe von einem »Werkstattbericht« zur Sicherung von Vor- und Nachlässen der rumäniendeutschen
Literaturszene, Rezensionen und Tagungsberichten.

Im Ressort »Literarische Texte« findet sich diesmal eine gewisse Dominanz des Lyrischen. Wir freuen uns, ein respektables Ensemble literarischen Schaffens aus und über Ostmittel- und Südosteuropa publizieren zu können. Mit dabei sind Altmeister wie Franz Hodjak oder Horst Samson, aber auch – wenn man das so sehen will – der herkunftsmäßig ungeschoren davongekommene, wenn auch offensichtlich von diesem Raum eingenommene Tom Schulz. In den Fokus rücken neben den Autoren diesmal auch die Übersetzerinnen: Die Übertragungen aus dem Ungarischen von Eva Zador, Orsolya Kalász und Monika Rinck– darunter Lyrik und Prosa der Literatursterne János Háy und István Kemény – zeugen von der schöpferischen und originären Kraft, die einer solchen sprachlichen Transferleistung innewohnt. Darum haben wir uns entschieden, diese Texte in beiden Sprachen zu publizieren. Die eigens für die Spiegelungen angefertigten Illustrationen stammen von der jungen Künstlerin Annemarie Otten.

Am Beginn des dritten Ressorts der Spiegelungen, dem Kulturteil, steht ebenfalls ein lyrischer Beitrag: Es handelt sich um Eugen Gomringers Hommage an den Bildhauer Ingo Glass, die eine vertiefte Auseinandersetzung mit dessen Werk einleitet. Erneut wollen wir die Bandbreite des danubio-karpatischen Kulturlebens exemplarisch abbilden: sei es mit einer Würdigung der Budapester Kaffeehaus- und der rumäniendeutschen Theaterszene oder dem Portrait der legendären Rock-Band Phoenix, einem »rumänisch-deutsch-ungarischen Joint Venture« der Extraklasse. Besonders freuen wir uns, dass die neue Vorstandsvorsitzende des ikgs e. V., Prof. Dr. Claudia M. Riehl, einen Beitrag zum »Projekt Enkelgeneration« beigesteuert hat. Sie ist Vorständin des Instituts für Deutsch als Fremdsprache an der LMU München, Spezialistin für Mehrsprachigkeitsforschung und setzt sich mit deutschen Sprachvarianten auf der ganzen Welt auseinander. Ein spannender gemeinsamer Weg ist uns also gleichsam vorgezeichnet. Im ikgs- und somit auch im Spiegelungen-Redaktionsteam begrüßen wir zudem Dr. Angela Ilić – auch für sie ist Mehrsprachigkeit nicht nur ein Theorem. Sie können die deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas also weiterhin in guten Händen wissen. Anregende Lektüre wünscht Ihre Spiegelungen-Redaktion. Erfahren Sie hier mehr über dieses Heft.

PS: Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns die Nachricht, dass der Banater Autor und Dramaturg Franz Csiky völlig unerwartet und nach kurzer Krankheit verstorben ist. Wir sind froh und dankbar, dass wir in dieser Ausgabe drei Beiträge von ihm publizieren können – und traurig, dass es die letzten sein werden.

 

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2016), Jg. 11 (65), Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 7–8.

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