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Editorial 2/2017

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Ein Impuls, das Thema »Idealisierte Heimaten« in den Spiegelungen zu behandeln, ging von der wiederholten, 2016 erneut nachdrücklich formulierten Forderung einer Gruppe rund um Herta Müller nach einem Exilmuseum aus. Ihre jüdische Herkunft, die politische Einstellung oder die Einstufung als Schöpfer »entarteter« Kunst zwang die ab 1933 aus Deutschland vertriebenen und geflohenen Deutschen, sich sowohl zu der Heimat, die sie verlassen mussten, als auch zur Gesellschaft, die sie aufnahm, ein neues Verhältnis zu erarbeiten. Nachdem die vertriebenen, geflüchteten und ausgesiedelten Deutschen aus dem östlichen Europa im ehemaligen »Deutschlandhaus« einen Ort der Erinnerung und des Diskurses bekommen haben, liegt es nahe, auch dem Exil ab 1933 einen symbolischen Ort zu geben. Eine wichtige Aufgabe wird sein, diese beiden – sicher in deutlicher Kontrastierung – geschaffenen und zu schaffenden »Orte für die Ortlosen«, wie es der Tagesspiegel ausgedrückt hat, auf die eine oder andere Art zusammenzudenken und zusammenzubringen. Mit dem Schwerpunktthema der vorliegenden Ausgabe haben wir dies mit unseren Mitteln versucht. Das Konzept von »Heimat« in Bezug auf Topoi wie Diaspora und Exil zu diskutieren, drängt sich in dieser Hinsicht gleichsam auf. Was es heißt, sich gezwungenermaßen in der Welt neu ver-orten zu müssen, kommt auf dem Coverfoto des Münchner Fotografen Volker Derlath treffend und in einer spielerischen Umkehrung zum Ausdruck. Dass der Eiserne Vorhang auch seine durchlässigen Stellen hatte, die »alte Heimat« also für einige selbst in dieser Phase ein – wenn auch schwer – zu erreichender Ort war, demonstriert uns Krisztina Slachta, die uns in der Rubrik »Projektwerkstatt « einen Einblick in ihr laufendes Forschungsprojekt zum »Kulturtransfer zwischen Ost und West während des Kalten Krieges« in Ungarn gewährt.

Den einer bewegten Geschichte geschuldeten literarischen Facettenreichtum können wir dank der Unterstützung der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien mit den Werken der Preisträgerinnen und Preisträgern des erstmals vergebenen Spiegelungen- Literaturpreises belegen: Der in Berlin wirkende Lyriker Lother Quinkenstein (Spiegelungen-Preis für Lyrik 2017) setzt sich in seinen Gedichten vor allem mit dem jüdischen Erbe der Bukowina auseinander, während der Publikumspreis an die aus dem Banat stammende Autorin Kristiane Kondrat geht, deren Gedicht »Ufer« die meisten Stimmen der Online-Abstimmung für sich gewinnen konnte. Der Grande Dame der rumänischen Lyrik, Nora Iuga, wird der Sonderpreis der Redaktion für ihr Lebenswerk verliehen. Die deutsche Literatur verdankt ihr nicht zuletzt zahlreiche Übersetzungen ins Rumänische. Sieglinde Bottesch, 2016 mit dem siebenbürgischsächsischen Kulturpreis ausgezeichnet, hat sechs sehr ansprechende Illustrationen zu den preisgekrönten Gedichten beigesteuert. Fehlt nur mehr der Soundtrack…  

»Geschichten für zwei Stimmen« kann man in den »Literarischen Interventionen« zur Ausstellung des Ungarndeutschen Museums in Tata lesen – eine lobenswerte literarische Initiative, die auf Zweisprachigkeit setzt und von unserer Mitarbeiterin Enikő Dácz maßgeblich mitgestaltet wurde. Umso tragischer, dass administrative Kurzsichtigkeit der Dynamik im ungarndeutschen Museum in Tata mittlerweile ein Ende gesetzt hat.

Besonders freuen wir uns, frühe, auf Rumänisch verfasste Poesie der in Berlin lebenden Autorin Dana Ranga erstmals in deutscher Übersetzung vorstellen zu können. Eine Erstveröffentlichung stellt auch das umfassende Fragment des unvollendeten Romans Todor Todoroff dar, das wir in kommentierter Form aus dem mittlerweile aufgearbeiteten Nachlass Paul Schusters publizieren.

Literatur steht auch am Anfang unseres Feuilletons: Klaus Hüber diskutiert mit dem in Albanien geborenen, in Wien schreibenden Autor Ilir Ferra über sein »Schreiben zwischen den Kulturen«. Der Filmemacher Fabian Daub lässt uns hinter die Kulissen seines Filmes Transilvania Mea blicken, den wir zu Beginn des kommenden Jahres gemeinsam in München vorstellen werden. Fast übersehen im Westen wurde der 100. Todestag des rumänischen Kulturkritikers, Politikers und Schriftstellers Titu Maiorescu – von seinem »umstrittenen Erbe« berichtet uns Madalina Diaconu. Eleonora Ringler-Pascu steuert einen Abriss zur Geschichte des Deutschen Staatstheaters Temeswar bei; mit dem aus dem in der heutigen Slowakei gelegenen Schwedler (sk. Švedlár) stammenden Heilpädagogen und Logotherapeuten Ferdinand Klein sprachen wir über das Erinnern, über Flucht, Vertreibung, Aussöhnung, Viktor Frankl und über »Sinnpotentiale des Lebens«.

Unsere »Personalia« widmen sich diesmal erfreulicherweise durchwegs runden Geburtstagen. Wie Sie dort lesen werden, handelt es sich bei diesen Texten um weit mehr als nur um Pflichtstücke. Denn anhand dieser biografischen Miniaturen erschießt sich uns eine bunte, vielfältige Welt der Kunst und Wissenschaft die Donau hinab und den Karpatenbogen hinauf. Wir wünschen eine anregende Lektüre. Erfahren Sie hier mehr über dieses Heft.

Die Redaktion der Spiegelungen

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2017), Jg. 12 (66), Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 7–8.

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