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Editorial 2/2018

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Brücken aus Papier

Mit dieser Ausgabe setzen wir das Schwerpunktthema »Archive in Rumänien« fort. Erneut wird die Vielfalt der Überlieferung sichtbar: Neben »klassischen« Verwaltungsarchiven widmen sich viele Beiträge Quellenbeständen zur Musik-, Fotografie-, Theater-, Sprach- und Literaturgeschichte. Staatliche, kirchliche und private Archive weisen unterschiedliche Grade an Aufarbeitung und Zugänglichkeit auf. Manche Archive quellen gleichsam über, andere Bestände verstecken sich nahezu und bedürfen der Hinweise aufmerksamer und versierter Fachleute, um überhaupt entdeckt zu werden. Den Fokus zuerst auf Rumänien zu legen, hat sich wegen der – zumindest relativ – guten archivarischen Situation angeboten. Das Thema ist aber auch für alle anderen von deutscher Kultur und Geschichte mitgeprägten Gebiete im östlichen Europa relevant und dringlich – und dort, wo es wenig positive Erinnerungen an »die Deutschen« gibt, durchaus auch brisant.

So öffnet sich in der Folge das weite Feld der »migrierten« Archive; insbesondere die Deutschen aus der Region haben ihr niedergeschriebenes und dingliches Gedächtnis oft in die neuen Heimaten mitgenommen. Darüber hinaus generierten Behörden, Verbände und Forschungseinrichtungen im »Westen« eine Vielzahl von Quellen zur deutschen Geschichte in Ostmittel- und Südosteuropa. Insofern stellen die beiden Spiegelungen-Hefte des Jahres 2018 einen Auftakt für eine intensivere Auseinander setzung mit Fragen nach Sichtbarkeit, Sicherung, Zugänglichkeit und wissenschaft licher Verwertung von Beständen zur deutschen Kultur und Geschichte im Donau-Karpaten-Raum dar. Dazu gehören auch unsere eigenen Bestände: Unter dem Projekttitel »Brücken aus Papier« konnte das ikgs im Rahmen des BKM-Sonderprogramms zur Erhaltung des schriftlichen Kulturerbes in Bibliotheken und Archiven in Deutschland ein Projekt einwerben, in dessen Rahmen deutsche Zeitungen und Zeitschriften aus Rumänien restauriert werden.

Dass es aber in Geschichte und Kultur um viel mehr als bloße »Migrationsbiografien « geht, nämlich um Menschen mit ihren individuellen Zugängen, zeigt sich in unserem Literaturteil auf ganz besondere Weise: Zsuzsanna Gahse, Evelina Jecker Lambreva, Tzveta Sofronieva, Aleš Šteger und Anila Wilms führen uns nach Albanien, Bulgarien, Slowenien und Ungarn, gleichzeitig auch nach Deutschland und in die Schweiz, vor allem aber in einen Zwischenraum der Sprachen und Kulturen, der nicht nur nicht leer ist, sondern ein ganz spezifisches Gewebe aus Einflüssen, Prägungen und Ansichten aufweist. Mehrsprachigkeit und Multikulturalität sind in diesem Zusammenhang wichtige Faktoren.

Trotzdem wollen wir nicht vergessen, dass Literatur immer und vor allem für sich steht, für ein individuelles Schaffen, jenseits von vorliterarischen Zuschreibungen, die manchmal ein wenig zu sehr der »Passfähigkeit« auf Basis aktueller politischer, gesellschaftlicher und ästhetischer Kriterien folgen. Solche »Brücken aus Papier« verbinden also im Idealfall nicht nur zwei existierende Welten, sondern führen in eine dritte, neue, unbekannte. Dafür stehen auch unsere »alten«, immer wieder neu zu entdeckenden Bekannten Franz Hodjak und Iris Wolff, der wir bei dieser Gelegenheit herzlich zur Verleihung des Otto-Stoessl-Preises und des Alpha-Literaturpreises gratulieren. Mit unserem Spiegelungen-Preisträger Lothar Quinkenstein arbeiten wir an einer Übersetzung seines prämierten Gedichtzyklus in die historischen und aktuellen Sprachen der Bukowina. Die zentralen Verse, eine Anspielung auf eine von Manès Sperber festgehaltene chassidische Legende, lauten: wer trägt das nicht gelebte Leben / über die Brücke aus Papier?

Gute Lektüre wünscht die Redaktion der SpiegelungenErfahren Sie hier mehr über dieses Heft.

 

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2018), Jg. 13 (67), Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 7–8.

 

 

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