»Das Archiv ist ein Ort der Ansammlung und nicht der Sammlung. Hier spielt der Zufall eine größere Rolle als die gezielte Steuerung«, hat Aleida Assmann einmal konstatiert.1 Archive sind Speicher des kulturellen Gedächtnisses einer Institution, einer Stadt, einer Region oder eines Staates. Die in ihnen verwahrten Materialien, darunter Urkunden, Akten, Landkarten, Bilder, Korrespondenzen, Ton- und Filmaufnahmen, digitale Datenträger und Forschungsunterlagen, geben Einblicke in das Denken und Handeln der dort lebenden Menschen, ihren Alltag, ihre Freuden, aber auch ihre Konflikte und Sorgen. Werden diese entweder zufällig überlieferten oder bewusst gesammelten Materialien von Forschenden erschlossen, dienen sie als Instrumente der Wissensproduktion.
Die Deutschen im südöstlichen Europa haben in zahlreichen Archiven weltweit ihre Spuren hinterlassen. Wiederholt ist intendiert worden, thematisch einschlägige Speicherorte zu ihrer Kultur und Geschichte anzulegen. Das geschah gelegentlich mit offensichtlichen politischen Vorsätzen, wie die Anlage eines »Nationalen Archivs für die Deutschen Oesterreichs« im Rahmen des Deutschen Schulvereins in Wien, über das die Marburger Zeitung vom 5. Jänner 1893 berichtete. Demnach sah sich diese Einrichtung als »Sammelstelle des historischen und politischen Materials […] für den Geschichtsfreund und den Historiker, der sich dem Studium der nationalen Entwicklung der Deutschen Oesterreichs widmet, für den Politiker, der geistiges Rüstzeug finden will zur Vertheidigung deutschen Rechtes«.2 Hier ging es in einer Zeit nationaler Spannungen und ethnischer Konkurrenzen im ausgehenden 19. Jahrhundert in erster Linie um die Absicherung einer dominanten Position im imperialen Kontext. Demgegenüber werden in dieser und der folgenden Ausgabe der Spiegelungen Archive in Slowenien vorgestellt, in denen sich Informationen zu den früheren deutschsprachigen Bewohnern der historischen Regionen auf dem Gebiet der heutigen Republik auf vielfältige Weise »angesammelt« haben. Angesichts des großen Zuspruchs, das der Aufruf zu diesem Thema gefunden hat, hat sich die Spiegelungen-Redaktion zum wiederholten Male entschieden, das Schwerpunktthema auf zwei Hefte aufzuteilen. Angela Ilić, die diesen Themenschwerpunkt betreut, erläutert in ihrer Einführung dessen Konzeption.
Die Rubrik »Wissenschaft« komplettieren der Hinweis von Uwe Konst auf eine präsentierte wichtige Quelle zum Ersten Weltkrieg in Rumänien sowie Projektberichte von Angela Ilić und Anja Moric zum Gottschee-Projekt im IKGS sowie von Márta Müller und mehreren Kolleginnen von der ELTE Budapest zum Stand der Dinge beim Wörterbuch der Ungarndeutschen Mundarten. Den Literaturteil eröffnet ein Romanfragment unseres früheren IKGS-Fellows Gábor Schein in der Übertragung von Lacy Kornitzer. Es folgen Prosatexte von Ernest Wichner, Edith Ottschofski, Danijela Pilić und Johann Lippet. Lyrik von Carmen Elisabeth Puchianu, Yvonne Livay, Dagmar Dusil und Tom Schulz runden
diesen Bereich ab – Letzterer mit einer Hommage zum 80. Geburtstag des aus
Siebenbürgen stammenden Dichters Franz Hodjak. Im Feuilleton wird Casper Molenaars Projekt vorgestellt, in dem er ikonische Aufnahmen des Fotografen Kurt Hielscher aus dem Südosteuropa der Zwischenkriegszeit mit aktuellen, jeweils aus dem identischen Blickwinkel gemachten Fotos konfrontiert. Tobias Weger zeigt auf, wie Kriegserfahrungen der Bevölkerung im18. Jahrhundert mit südosteuropäischen Söldnern in den Figuren einer Weihnachtskrippe des bayerischen Oberlands thematisiert wurden. Mit dem in den vergangenen Jahren mehrfach ausgezeichneten Schriftsteller Akos Doma hat Klaus Hübner ein Interview geführt. Nicht zuletzt werden mit Eduard Schneider und Gerhard Seewann zwei Persönlichkeiten gewürdigt, die dem SOKW beziehungsweise IKGS
stets eng verbunden waren und beide in diesem Jahr ihr 80. Lebensjahr vollenden. Über die Aktivitäten unseres Instituts und seiner Mitarbeiter/innen können Sie sich wie immer in der Übersicht Aus dem IKGS informieren.
An dieser Stelle sei auf eine wichtige Neuerung bei den Spiegelungen hingewiesen: In diesem Heft drucken wir zum letzten Mal literarische Besprechungen und wissenschaftliche Rezensionen ab. Das heißt nicht, dass wir künftig auf diese beiden wichtigen Bereiche verzichten. Sie werden in unsere Internet-Ausgabe https://spiegelungen.net und unser Institutsportal https://zwischengrenzen.online ausgelagert. Wir sparen damit bei den künftigen Heften an Umfang und Druckkosten. Vor allem aber ermöglichen wir es den betroffenen Literat/innen und Wissenschaftler/innen, dass ihre Werke zeitnah rezipiert werden, indem die Veröffentlichung von Besprechungen und Rezensionen der Spiegelungen von nun an nicht mehr an den Halbjahres-Rhythmus der Druckausgaben gebunden ist, sondern unmittelbar nach der redaktionellen Fertigstellung im Internet erfolgt, wo sie weltweit abrufbar sind. Auch über Besprechungen und Rezensionen hinaus lohnt sich übrigens immer wieder ein Blick in die
Online-Angebote der Spiegelungen, unter denen Sie etwa Podcasts oder ergänzende Beiträge finden können.
Wir wünschen Ihnen wieder eine anregende Lektüre!
Ihre Spiegelungen-Redaktion
1 Aleida Assmann: Archive im Wandel der Mediengeschichte. In: Knut Ebeling, Stephan Günzel (Hgg.):
Archivologie. Theorien des Archivs in Wissenschaft, Medien und Künsten. Berlin 2009, S. 165–176, hier: S. 173.
2 Nationales Archiv für die Deutschen Oesterreichs. In: Marburger Zeitung, 32. Jg., Nr. 2, 5.1.1893, S. 3f., hier: S. 3.