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Editorial 1/2018

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Stimmen verstummen – Aufgaben wachsen

Im vergangenen Dezember ist nach 73 Jahren und 798 Ausgaben zum letzten Mal Die Stimme erschienen, das Mitteilungsblatt der Bukowiner Juden. Sinkende Abonnentenzahlen und finanzieller Druck zwangen den Herausgeber, den Weltverband der Bukowiner Juden, das Erscheinen der Zeitschrift einzustellen. Die Nachricht stimmt traurig und ein wenig melancholisch. Allmählich scheinen die letzten Echos einer längst untergegangenen europäischen Kultur zu verklingen. Auf der anderen Seite ermutigende Nachrichten: Im Februar feierte die Hermannstädter Zeitung mit der 2567. Ausgabe ihr fünfzigjähriges Bestehen, die Allgemeine Deutsche Zeitung erscheint zuverlässig und informiert wie kein anderes Medium in deutscher Sprache über Politik und Zeitgeschehen in Rumänien, in Deutschland erfreuen sich Verbandszeitungen wie die Siebenbürgische Zeitung und die Banater Post einer hohen Abonnentenzahl und entfalten mit ihren professionell gepflegten Internetauftritten eine kaum zu überschätzenden Breitenwirkung. Für das IKGS und die Spiegelungen gilt es, an dieser Stelle für die gute und unkomplizierte Zusammenarbeit Dank zu sagen. Erst durch das Interesse und die Unterstützung seitens der Medienpartner wird unsere Arbeit auch bei Vertriebenen, Aussiedlern und nachfolgenden Generationen bekannt und – so hoffen wir – geschätzt. Unsere Zugänge unterscheiden sich manchmal – den Idealismus aber teilen wir.

Trotzdem hat das vergangene Jahrhundert eine Menge Leerstellen im Donau-Karpaten-Raum hinterlassen – und gleichzeitig eine Fülle an Archivalien generiert, deren Umfang und deren ideeller wie wissenschaftlicher Wert sich uns erst langsam erschließt. Am Beispiel Rumäniens möchten wir in dieser Ausgabe aufzeigen, wie viel die Archivlandschaft zur deutschen Geschichte, Kultur und Sprache in Ostmittel- und Südosteuropa zu bieten hat. Es ist so viel, dass sich das von Dr. Michaela Nowotnick betreute Schwerpunktthema »Archive in Rumänien« gleich über zwei Ausgaben erstrecken wird. Bleibend Wertvolles wird, wie nachzulesen ist, oft fernab der breiteren Öffentlichkeit geschaffen: in Seminaren an den Universitäten (z. B. mit dem Projekt »Saxonica«), in (halb)privaten Sammelinitiativen oder im Rahmen oft jahrzehntelanger Forschungs- und Dokumentationsarbeit, wie dies in der vielleicht nicht »trendigen«, aber umso nachhaltigeren Arbeit an den siebenbürgisch-sächsischen und Banater Wörterbüchern geschieht. Oft verkümmern interessante Bestände jedoch unbesehen in einer Ecke, genau dort, wo sie vor Jahrzehnten abgelagert wurden. Wir wollen diese Bestände sichtbar machen und zur wissenschaftlichen Nutzung anregen.

Freilich hoffen wir, bald auch aus anderen Ländern und Regionen im Donau-Karpaten-Raum zum Thema »Kulturgutsicherung« berichten zu können. Nicht immer stimmen die Nachrichten, die uns erreichen, so optimistisch wie die Meldung, dass die Bundesrepublik in den Erhalt der siebenbürgischen Kirchenburgen investieren wird. Es bleibt viel zu tun.

Ein zentrales Element erfolgreicher Gegenwarts- und Geschichtskultur ist die Zusammenarbeit auf Augenhöhe: jene zwischen Deutschland, Österreich und den aktuellen und ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten im südöstlichen Europa, jene zwischen Profis und Laien, Politik und Zivilgesellschaft, Kultur und Wissenschaft, vor allem aber zwischen Generation und Sprachen. Eben überall dort, wo das »noch« und das »wieder« zusammentreffen: sei es in der Energie, die die Treffen des LYRIS-Kreises in Jerusalem noch immer freizusetzen vermögen, in der mittlerweile in mehreren Sprachen rezipierten Arbeit der siebenbürgischen Dramatikerin Elise Wilk oder in den Gedichten des Spiegelungen-Preises für Lyrik 2017. Ein Blick in unsere Rubrik »Rundschau«, die wir mit viel Aufwand zusammenstellen (apropos Nachhaltigkeit), zeugt von der Vielfalt dieser mit der deutschen Sprache und Kultur verbundenen, aber auch tief in der multikulturell und mehrsprachig geprägten regionalen Lebenswelt verankerten Aktivitäten.

Die Dynamik zwischen Erinnerungs- und Zukunftskultur spiegelt sich in kaum einem Bereich so deutlich wieder wie im literarischen. Darum haben wir die »Durchlässigkeit« zwischen unseren Ressorts noch mehr erhöht. Immer wieder steht das Vermitteln und Übersetzen im Mittelpunkt, wie wir unter anderem bei György Dalos, Roland Erb und Noémi Kiss nachlesen können. Das (kon)textuelle Zusammenspiel von wissenschaftlicher, kultureller und literarischer Primärproduktion, Übersetzungsarbeit, Kommentaren, Analysen und biografischen Zugängen macht uns Freude – wir hoffen, Ihnen als Leserinnen und Leser geht es ähnlich.

Die Redaktion der Spiegelungen

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