Von Markus Bauer
„Ich weiß nicht, ob ich hier am richtigen Ort bin“, zweifelte der Dichter. „Doch eine Heimat, wie sie sich manche sogenannte Landsleute von mir aus allzu deutschen Gründen hier künstlich vormachen, gibt es für mich auch nicht.“ Deutliche Worte eines Unbehausten, Ausgewanderten, Ausgereisten. Helmuth Frauendorfer formulierte sie 1988 kurz nach der „Ankunft“ aus Rumänien in der damaligen BRD. Geboren 1959 in Woitek (rum. Voiteg), jener banatschwäbischen Sekundärgründung an der Bahnstrecke von Temeswar nach Belgrad, kam der angehende Dichter zur Schule nach Temeswar, wo er bereits mit 16 Jahren, als die Studentenkollegen die „Aktionsgruppe Banat“ auflösten, die Literaturseite der Schülerzeitung der Nikolaus-Lenau-Schule leitete. Er studierte Germanistik und Anglistik, war Redakteur der Studierendenzeitschrift Forum Studențesc [Studentisches Forum] und machte auch bei den Theaterleuten mit. Als die verbliebenen Mitglieder der Aktionsgruppe eine Auffangmöglichkeit im Adam Müller-Guttenbrunn-Kreis fanden, war Frauendorfer der jüngste Beteiligte. Und vielleicht auch der frechste. Jedenfalls hatte er da schon erfolgreich die Anwerbungsversuche der Securitate konterkariert und zeigte ein Rebellentum, das aufs Ganze ging. Im Orwell-Jahr 1984 erschien der feine Gedichtband Am Rande einer Hochzeit im Bukarester Kriterion Verlag. Das Gedicht Zur Biographie fehlte darin wegen zwei Wörtern, die der Autor nicht den gängigen Kompromissen mit den Zensoren opfern wollte. Er stand im Mittelpunkt, als die jungen Autoren aufgebracht gegen die Verfolgungen der Securitate den örtlichen Ersten Parteisekretär aufsuchten. In dem ungewöhnlichen Wortgefecht erhielt Frauendorfer eine Ohrfeige.
Immerhin konnte der Student trotz der Schikanen und Observationen durch die Geheimpolizei seinen Abschluss machen und wurde als Lehrer in ein vergessenes Dorf namens Bradu geschickt, Bradu bei Pitești. Wo „eines der größten petrolchemischen Werke täglich sein Gift über das Dorf schleudert“, wie er bei einem Besuch im Februar 1990, gleich nach der Revolution, erinnerte. „Noch lange vor Pitești nehme ich den längst vergessenen ätzenden Gestank wahr, fühle den Druck in den Lungen“ (Richard Wagner, Helmut Frauendorfer (Hgg.): Der Sturz des Tyrannen. Reinbek bei Hamburg 1990). Bradu, „da lernte ich das Land richtig kennen. Da sah ich die Schüler vor Hunger aus den Schulbänken kippen. Ich fühlte den Hass und die Lust auf Zerfleischung“ (Wilhelm Solms (Hg.): Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur. Marburg 1990).
Im Dezember 1987 war er mit seiner Frau ausgereist, es ging nicht mehr, „ich musste weg, aus politischen Gründen.“ Frauendorfer traf in der BRD die Banater schreibenden Freunde wieder, lebte in Berlin als freier Schriftsteller und Menschenrechtsaktivist. Zusammen mit Richard Wagner, Mariana Hausleitner, Herta Müller, William Totok unter anderen organisierten die Ausgereisten mit der Heinrich-Böll-Stiftung der grünen Partei Veranstaltungen, um die bundesdeutsche Öffentlichkeit auf die fatalen Entwicklungen Rumäniens unter der Diktatur aufmerksam zu machen.
Nur wenige Wochen vor dem jetzt geografisch fernen Temeswarer Aufstand nahm Frauendorfer in Marburg an jener legendären Tagung teil, die als Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur konzipiert war, aber eher deren Lebendigkeit bewies. Und nach der Revolution arbeitete er sofort mit seinen Freunden am rororo Taschenbuch Der Sturz des Tyrannen. Rumänien und das Ende einer Diktatur zusammen, in dem sein Beitrag zur Opposition bis heute erhellend sowohl das nur vermeintliche Fehlen von Widerstand in der Diktatur aufzeigte als auch die Gründe andeutete, weshalb eine nachhaltige und organisierte Opposition wie etwa in Polen nicht zustande kam. Sein im gleichen Jahr erschienener Gedichtband Landschaft der Maulwürfe im mittlerweile verschwundenen dipa-Verlag belegte noch einmal die poetische Prägnanz in der Heraufholung des Erlittenen und Erhofften.
Frauendorfer wandte sich im wiedervereinigten Deutschland dem Journalismus zu. Seine TV-Reportagen erhielten Preise, ein vielbeachteter Dokumentarfilm zur Aktionsgruppe Banat entstand. An den Rand geschrieben. Rumäniendeutsche Schriftsteller im Fadenkreuz der Securitate bot in 90 Minuten einen eindrücklichen Rückblick auf die Geschichte der Verfolgungen seiner Freunde durch die Securitate. 2013 übernahm der Banater in Konsequenz seiner menschenrechtlichen Arbeiten die Stelle des stellvertretenden Direktors der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Dadurch konnte das rumänische Kapitel der Unterdrückungen näher an die DDR-Geschichte gebracht und das dissidentische Aufbrechen der monolithischen Parteidiktaturen auch an rumänischen Beispielen dokumentiert werden. Auch der 2022 erschienene Roman Abendweg (Pop Verlag) blieb nahe an dieser Thematik. Dass der Bohémien nicht völlig in den neuen Zeiten angekommen zu sein schien, lässt sich der Affäre ablesen, die 2018 zu seiner aufsehenerregenden Entlassung aus dem Museum führte.
Schon früh hatte der Dichter gesagt: „Wenn ihr scheinbar schweigt, / spricht er laut.“ Nach kurzer schwerer Krankheit starb der Banater Dissident, Menschenrechtsaktivist, Schriftsteller Helmuth Frauendorfer am 2. Dezember 2024 in Fürth.
Dr. Markus Bauer (Berlin) lehrte an der Alexandru-Ioan-Cuza-Universität in Iași (Jassy) und publiziert seither vor allem zu rumänischen Themen. Er betreibt auch die Webseite www.kultro.de, die sich rumänischer Kultur in Europa widmet.
Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2025), Jg. 20, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 170–171.