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Einleitung: Archive in Rumänien

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Archive und sammelnde Einrichtungen wie Bibliotheken und wissenschaftliche Institutionen tragen einen wichtigen Teil zum Erhalt des kulturellen Erbes bei, indem sie Archivgut bewahren, zugänglich machen und auswerten. Die in Archiven verfügbaren Dokumente und Objekte ermöglichen Einblicke in historische Prozesse, tragen also dazu bei, Vergangenes zu erfassen und in neue Bedeutungszusammenhänge zu bringen. Innerhalb der deutschen und deutsch-jüdischen Forschungslandschaft Ostmitteleuropas kommt Archiven, Bibliotheken und Sammlungen, in denen Originaldokumente und -objekte verwahrt werden, eine weitreichende Bedeutung zu: Die ehemals eng gefügten Gemeinschaften, aus deren Mitte heraus das Archivgut entstand, waren und sind auch heute noch grundlegenden Transformations- und Auflösungsprozessen unterworfen. Insbesondere mit dem Tod von Zeitzeugen werden Archive zu Speichern von Wissen, das auf anderem Weg kaum noch abrufbar ist.

In Rumänien existieren zahlreiche Archive und sammelnde Institutionen in unterschiedlicher Trägerschaft, in denen Quellen zur deutschen und deutsch-jüdischen Geschichte und Kultur bewahrt werden. Zudem entstanden gerade in jüngerer Zeit Initiativen, die sich für den Schutz deutschsprachigen Kulturguts und dessen langfristigen Erhalt einsetzen. In zwei Heften der Spiegelungen (1/2018 und 2/2018) werden die relevanten Bestände beschrieben. Verfasst wurden die Beiträge des Schwerpunktthemas »Archive in Rumänien« von Wissenschaftlern und Forschern, die diese Bestände als archivalisch Verantwortliche betreuen oder durch eigene Nutzung intensiv damit vertraut sind. Es handelt sich hierbei um eine erste Bestandsaufnahme, um eine Sichtung des Vorhandenen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Die Initiative für das Schwerpunktthema geht auf ein von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördertes Forschungsprojekt zur Erfassung und Notsicherung in Privatbesitz befindlicher Quellen und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur in Rumänien zurück, das in den Jahren 2016 und 2017 in Zusammenarbeit mit dem Institut für deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin und mit Unterstützung des IKGS realisiert werden konnte. Hierbei konnten in Privatbesitz befindliche Vor- und Nachlässe sowie institutionelle Bestände ausfindig gemacht und beschrieben sowie teilweise in Archive in Rumänien überführt und damit langfristig gesichert werden. Wiederholt wurde in der Zusammenarbeit mit den sammelnden Institutionen deutlich, dass die Archivlandschaft Rumäniens insbesondere im westlichen Teil Europas wenig bekannt ist und damit auch wenig für einschlägige Forschungen genutzt wird. Das gewählte Schwerpunktthema bedeutet eine Erfassung des Status quo und soll zugleich die Bandbreite der Recherchemöglichkeiten aufleuchten lassen. Die Präsentation erfolgt in enger Anbindung an die Geschichte der vorgestellten Institutionen und Initiativen, die maßgeblichen Einfluss auf die Überlieferung sowie die Wahrnehmung des Archivguts hat. Denn schon die Auswahl des zu Bewahrenden, aber auch die Art und Weise der Erschließung schaffen Bedeutungszusammenhänge, die bei der Benutzung von Archivgut immer mitgedacht werden sollten.

Ein Schlaglicht des ersten Heftes fällt auf den Raum Siebenbürgen. Vorgestellt werden sogenannte Kreisdienste oder Kreisdienststellen des rumänischen Nationalarchivs (rum. Servicii Județene al Arhivelor Naționale ale României). Insbesondere in den ehemals beziehungsweise auch heute noch deutsch besiedelten Gebieten gehen die jetzigen Einrichtungen auf Initiativen der dortigen deutschen Bevölkerung zurück, die vielfach weit in das 17. oder 18. Jahrhundert zurückreichen. 1918, nach dem Anschluss Siebenbürgens und des Banats an Rumänien, wurden auch die »deutschen« Archive ins rumänische Archivsystem überführt. Dieses wurde 1925 novelliert und die noch heute bestehende Einteilung in regionale Abteilungen beschlossen. Im vorliegenden ersten Schwerpunktheft werden die Kreisdienststellen des rumänischen Nationalarchivs (rum. Arhivele Naționale ale României) von Karlsburg/Alba Iulia (Victoria Popa), Hermannstadt/ Sibiu (András Bándi), Klausenburg/Cluj-Napoca (Livia Ardelean), Kronstadt/ Braşov (Bogdan-Florin Popovici) und Mureș (Peter Moldovan) vorgestellt. Auch Einrichtungen in Trägerschaft der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien sammeln und bewahren Kulturgut, dessen Bedeutung weit über den klerikalen Kontext hinausgeht: András Bándi führt in die Bestände des Zentralarchivs der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien (ZAEKR) in Hermannstadt ein, Wolfgang H. Rehner präsentiert die diesem angegliederte umfangreiche Transylvanica-Bibliothek, und Friedrich Philippi beschreibt die nach ihm benannte Schulbuchbibliothek. Der Beitrag zu Archiv und Bibliothek der Honterusgemeinde in Kronstadt stammt von dem dortigen Archivleiter Thomas Șindilariu. Eines der ältesten Projekte zur systematischen Erfassung und Überlieferung kulturellen Erbes ist die Forschung zum Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuch, in dessen Materialgrundlage Sigrid Haldenwang einführt. Bei Saxonica handelt es sich um ein vom IKGS initiiertes, in Entstehung begriffenes digitales Archiv, das unter der Leitung von Corneliu Pintilescu die Alltagsgeschichte der Siebenbürger Sachsen im 20. Jahrhundert dokumentiert. Ein weiteres Schlaglicht des Themenheftes fällt mit zwei Beiträgen auf das jüdische Leben in Rumänien, das oftmals an die deutsche Sprache gebunden war. Julie Dawson stellt eine Initiative des Leo Baeck Institute zum jüdischen Leben in Siebenbürgen und in der Bukowina vor. Corina L. Petrescu zeigt abschließend die mitunter verschlungenen Recherchewege in den Beständen zum Jiddischen Theater in Bukarest auf.

Michaela Nowotnick

Michaela Nowotnick, geboren 1980 in Herzberg/Elster, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin mit dem Schwerpunkt rumäniendeutsche Literatur sowie Literatur in totalitären Systemen. Sie unterhält mehrere Forschungsprojekte zur Sicherung von Archiven und Sammlungen der deutschen Minderheitsbevölkerung in Rumänien.

 

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2018), Jg. 13 (67), Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 9–10.

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