Ingrid Schiel: Frei – Politisch – Sozial. Der Deutsch-Sächsische Frauenbund für Siebenbürgen 1921–1939 (Studia Transylvanica 47). Köln: Böhlau Verlag 2018. 628 S.
Von Ingeborg Szöllösi
Dass die Herausgeber der Studia Transylvanica Ingrid Schiels Dissertation in ihre Reihe aufgenommen haben, war eine gute Entscheidung. Jenseits der an der historischen Region Siebenbürgen interessierten Akademikerinnen und Akademiker richtet sich Ingrid Schiels Monografe an eine breite Leserschaft, die politisch sensibel und differenziert zu denken vermag. Die Herausbildung einer politischen Bewegung von und für Frauen in Siebenbürgen verfolgt die Autorin im Zusammenhang der europäischen Frauenemanzipation, sie lässt jedoch den spezifischen Kontext der Landschaft, in der jene stattfindet, niemals außen vor. Siebenbürgens wechselvolle Geschichte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ist für die sich dort entwickelnde Frauenbewegung prägend.
In einer Zeit, in der das Transnationale in der Frauenbewegung weltweit an Bedeutung gewinnt, erscheint das Bemühen der siebenbürgisch-sächsischen Frauen, ihre nationale Zugehörigkeit zu stärken, auf den ersten Blick rückwärtsgewandt. Beachtet man jedoch den gesellschaftspolitischen Hintergrund der Frauen, versteht man ihre Beweggründe: Die siebenbürgisch-sächsische Frauenbewegung war ein politisch motivierter und aktiver Verbund einer nationalen Minderheit – der deutschen Minderheit im Königreich Rumänien, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg im Königreich Ungarn ihren Status als Nation im Zuge des ungarischen Nationalitätengesetzes von 1868 eingebüßt hatte. Es handelte sich somit um eine Minderheit, die sich in einer Existenzkrise befand: Dem Magyarisierungsdruck der ungarischen Regierung nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich 1867 folgten nach 1920 die Rumänisierungsabsichten der neuen Herrscher. Die siebenbürgisch-sächsische Elite, eine patriarchale Männergesellschaft par excellence, erkannte rasch: Gebündelte Frauenpower sollte im öffentlichen Leben genutzt werden.
Bereits in der ungarischen Zeit hatten die Siebenbürger Sächsinnen ihre eigenen Interessen der Gemeinschaft untergeordnet. Obwohl die patriarchalen Strukturen in der Evangelischen Landeskirche A. B. fröhlich Urständ feierten, ließen sich engagierte Frauen zur Verteidigung der nationalen Anliegen der Männer nicht selten vor den Karren spannen. Sie taten dies aus Überzeugung und Leidenschaft, das Resultat waren öffentlichkeitswirksame Aktionen, die es in die Schlagzeilen wichtiger Tageszeitungen im In- und Ausland schafften. Zum Beispiel organisierten Frauen einen imposanten Trachtenumzug während der Einweihungsfeierlichkeiten des Johannes-Honterus-Denkmals im August 1898 in Kronstadt. Sowohl der Trachtenumzug der Frauen als auch ihre Ansprachen waren – aus Protest gegen die Politik der ungarischen Regierung – »bewusst deutschnational« (S. 131) gehalten: »Zum bereits vorhandenen Bewusstsein, einem freien, privilegierten Stand anzugehören und ein Schutzschild der abendländischen Christenheit zu sein, wurden wirtschaftliche, soziale und nationale Elemente hinzugefügt: der Stolz auf die Leistungskraft der Bauern, Handwerker und Kaufleute, die zu den besten Steuerzahlern des Landes zählten, sowie der Stolz auf die deutsche Herkunft, einhergehend mit der Liebe zur siebenbürgischen Heimat.« (S. 131) Die Siebenbürger Sachsen hatten zwar 1898 ihre Privilegien längst verloren, trotzdem traten sie bei der Denkmaleinweihung selbstbewusst auf – allen voran die Frauen, die sich selbstständig organisiert und Frauen aus ganz Siebenbürgen für ihren Trachtenumzug mobilisiert hatten: »Insgesamt waren über 900 ländliche und 89 städtische Trachten zu sehen. Der Festzug der Frauen zählte rund 150 Personen mehr als derjenige der Männer.« (S. 133) Anna Schnell, ein Gründungsmitglied der Freien Sächsischen Frauenvereinigung in Kronstadt und deren erste Vorsitzende sowie stellvertretende Vorsitzende des Freien Sächsischen Frauenbundes, erinnert sich an diesen Umzug der rund 3500 Frauen aus dem gesamten Sachsenland wie folgt: »Uns Allen, die wir das Glück hatten, diesen schönen, vom herrlichsten Wetter begünstigten Festzug mitzuerleben, wird der Anblick der festlich gekleideten, würdevoll einherschreitenden Frauen unvergesslich bleiben, an deren Spitze die stattliche Neuanregerin der städtischen Festtracht, Frau Lotte Lurtz, deren schönes Gesicht umrahmt von dem weißen Schleier in Freude leuchtete.« (S. 135)
Und genau dieser Umzug der Frauen schafft es auf die Titelseite des Pester Lloyds. Die von Lotte Lurtz neu geschaffene Bürgertracht, welche »die sächsische Wesensart repräsentieren und demonstrieren« (S. 135) sollte, verfehlt ihre Wirkung weit über die Grenzen Siebenbürgens hinaus nicht. Zu diesen Feierlichkeiten waren Journalisten von der Wiener Deutschen Zeitung, dem Neuen Wiener Tageblatt, der Ostdeutschen Rundschau, der Neuen Freien Presse, der Münchner Neuesten Nachrichten, der Leipziger Neuesten Nachrichten, des Schwäbischen Merkurs, der Berliner Deutschen Zeitung, des Berliner Lokalanzeigers, der Leipziger Illustrierten Zeitung u. a. angereist. Kein Wunder, dass der amtierende Bischof Friedrich Müller die Kronstädter Inszenierung als »Heldenstück« (S. 134) lobte, obwohl er besagtes Stück allein Heldinnen verdankte.
Auch das soziale und karitative Engagement der Frauen wurde anerkannt. Das Lob lenkte jedoch davon ab, dass Frauen nicht die gleichen Rechte hatten wie Männer. Die Siebenbürger Sächsinnen wurden erst spät wachgerüttelt und dazu veranlasst, sich über ihre kleinen Vereine hinaus politisch zu organisieren: Der Deutsch-Sächsische Volksrat für Siebenbürgen hatte auf dem »sogenannten Sachsentag« (S. 10) im Jahr 1919 das Frauenwahlrecht mit der schalen Begründung abgelehnt, Rumänien habe das Frauenwahlrecht noch nicht eingeführt. Da nach den Karlsburger Beschlüssen am 1. Dezember 1918 klar war, dass Siebenbürgen nicht mehr zum Königreich Ungarn gehören werde, konnten die siebenbürgisch-sächsischen Frauen mit dem Argument, man habe in Ungarn im November 1918 das Frauenwahlrecht eingeführt, nicht mehr punkten. So kam es, dass sich die zahlreichen siebenbürgisch-sächsischen Frauenvereine zusammenschlossen und 1921 den »Freien Sächsischen Frauenbund« gründeten, der sich ab 1930 »Deutsch-Sächsischer Frauenbund für Siebenbürgen« nannte und bis 1937/1939 für die Sache der Frauen einsetzte. Der Bund suchte nun dezidiert den Anschluss zu anderen Frauenverbänden im In- und Ausland. Mit etwas Verspätung öffneten sich auch die Siebenbürger Sächsinnen dem transnationalen Impetus ihrer Zeitgenossinnen weltweit. Tragisch nur, dass der Frauenweltbund (International Council of Women) wenig Sinn für Nuancen und Regionen aufbrachte und keine »Frauengruppierungen von Minoritäten« (S. 400) aufnahm, sondern lediglich nationale Frauenorganisationen. Auch die Zusammenarbeit des Deutsch-Sächsischen Frauenbundes mit den Frauenvereinigungen der rumänischen Titularnation erwies sich – trotz vielfacher Anstrengungen auf politischem Gebiet – als unmöglich.
Für die siebenbürgisch-sächsischen Frauen war das Auftaktjahr ihres liberalkonservativen Bundes ein erfolgversprechendes: Lotte Binder, die Vorsitzende der Deutsch-sächsischen Frauenvereinigung und spätere Vorsitzende des Freien Sächsischen/Deutsch-Sächsischen Frauenbundes, hatte die Gelegenheit, an der Tagung der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit in Wien 1921 teilzunehmen und als offizielle Leitung in den Verhandlungen der Minderheitengruppen zu fungieren. Danach reichte Lotte Binder einen Bericht für den Kongress in Dublin im Juli 1926 ein, in dem sie sich »für die kulturelle Selbstbestimmung als Lösung der Minderheitenfrage und Garant des Friedens« (S. 400) aussprach. Binders Beitrag wurde sogar im Kongressbericht der Liga publiziert, was ihr viel Bewunderung seitens siebenbürgisch-sächsischer Politiker eintrug. Letztere trauten sich nicht, die Minderheiten auf internationaler Ebene zu artikulieren, da sie Repressionen seitens des rumänischen Staates befürchteten. Ideell jedoch unterstützten sie freilich die Initiative der Frauen. Trotz Anerkennung der Loyalität der Frauen gegenüber ihrer Ethnie und Kirchengemeinschaft blieben die Ohren des Deutsch-Sächsischen Volksrates sowie jene der Evangelischen Landeskirche für eine echte politische Gleichberechtigung der Frauen taub.
Rückgrat bewies der Deutsch-Sächsische Frauenbund, als er sich den Bemühungen der Nationalsozialistischen Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumänien (NSDR), eine nationalsozialistisch gesinnte Volksgemeinschaft zu formen, widersetzte. Erfolglos! 1939 löste sich der Deutsch-Sächsische Frauenbund auf und wurde als Gaufrauenrat in die Deutsche Frauenschaft im Sinne der Führerdoktrin umgemodelt. Damit obsiegte die Einstellung: »Lächerlich, um Rechte zu feilschen, die wir nicht brauchen, eben weil uns als Frauen und Mütter ohnehin die denkbar höchsten Aufgaben zugewiesen sind, die ein Volk zu vergeben hat« (S. 453) – die Mutterschaft. Zusammenfassend kann festgestellt werden: Der Freie Sächsische/ Deutsch-Sächsische Frauenbund wollte zwar »die Menschheit verändern und die Gesellschaft innerhalb des rumänischen Staates mit Hilfe einer bewussten Erziehung auf einer angenommenen weiblichen Wesens- und Seinsgrundlage neu gestalten« (S. 401), seine Vorsitzenden (Adele Zay, Lotte Binder, Amalie Musotter und Josefne Breckner) agierten aus »evolutionäruniversalistischer Überzeugung« (S. 401), doch taten sie das in einer Zeit, in der die deutsche Kulturnation, zu der sie sich als Minderheit zugehörig fühlten, andere Vorstellungen von der »Menschheitsaufgabe der Frau« (S. 372) hatte. So blieb es auch vielen Siebenbürger Sächsinnen nicht erspart, in die nationalsozialistische Falle zu tappen.
In ihrer akribisch recherchierten Forschungsarbeit, deren vertiefende und weiterführende Fußnoten sowie der 160-seitige Anhang allein schon Anregungen für zahlreiche weitere Arbeiten bieten, gelingt es Ingrid Schiel, »differente historische Verhältnisse und Entwicklungen« (S. 3) aufzuzeigen. Ihre Analyse der Frauenaktionen in Siebenbürgen bietet gleichermaßen eine Einführung in die regionale Beschaffenheit Siebenbürgens. Auf diese Weise kontextualisierend, kann die Autorin überzeugend erklären, warum und wie sich eine siebenbürgisch-sächsische Frauenbewegung überhaupt gründen und – wenn auch nur für kurze Zeit – etablieren konnte. Zudem macht sie es ihrer Leserschaft möglich, den Handlungsspielraum der Siebenbürger Sächsinnen in ihrem spezifischen geografischen, politischen und sozialen Umfeld realistisch zu beurteilen. Diese genaue Verortung und Einordnung konsequent vollzogen zu haben, ist das große Verdienst von Ingrid Schiels Studie (und entschuldigt den Umfang des Buches).
Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2020), Jg. 15, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 133–136.