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Georg Wildmann. Historiker, Theologe, Philosoph, Archivar, Redner, Dichter, Mensch

* 29.5.1929 in Filipowa, † 9.4.2022 in Linz

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Von Maria K. Zugmann-Weber

Georg Wildmann wurde am 29. Mai 1929 als erster von drei Söhnen des Ehepaars Karl und Anna Wildmann in Filipowa (sr. Bački Gračac) in der Batschka, im damaligen Königreich Jugoslawien, heute Republik Serbien, geboren. Filipowa war zu dieser Zeit eine überwiegend deutschsprachige Gemeinde mit 5.000 Einwohnern. Die Zeit seiner Kindheit im elterlichen Kaufmannsladen hatte Georg als „unbeschwert, traditionell gesprochen: glücklich“ in Erinnerung. Höhepunkte waren die Ferienaufenthalte bei seinem Lieblingsonkel Pfarrer Julius in Neu-Palanka (sr. Nova Palanka, heute ein Stadtteil von Bačka Palanka). Auch den feinen Sandstrand an der Donau liebte er sehr. Von seiner Großmutter lernte Georg in dieser Zeit „das häusliche Ungarisch“.

Prägend für Georg Wildmann waren die ersten vier Volksschuljahre in Filipowa. Sein geliebter Lehrer Josef Volkmar Senz hatte den acht- bis zehnjährigen Schülerinnen und Schülern „neben der serbischen Geschichte immer auch die deutsche und donauschwäbische Geschichte miterzählt“ und dabei – exemplarisch – Prinz Eugen in seiner Bedeutung für das donauschwäbische Volk herausgearbeitet. Als eines seiner ersten Lieder lernte Georg das Lied Prinz Eugen, der edle Ritter kennen und lieben. – Auf Georgs Wunsch hin hat dieses Lied ihn und uns beim Abschied begleitet.

In den folgenden vier Jahren am Deutschen Gymnasium in Neu-Werbass (sr. Novi Vrbas) vertiefte Georg auch seine Kenntnisse der serbischen Sprache. Am 21. November 1944 fasste der Antifaschistische Rat der Nationalen Befreiung Jugoslawiens (AVNOJ) den Beschluss, allen deutschstämmigen Personen – mit wenigen Ausnahmen – sämtlichen Besitz zu entziehen. Vier Tage später, am 25. November, wurden in Filipowa alle Männer zusammengerufen und in der Kirche eingesperrt. Am nächsten Tag führte man 212 von ihnen, Männer zwischen 16 und 60 Jahren, bewusst oder willkürlich ausgewählt, aus Filipowa hinaus und ermordete sie auf der Heuwiese. Georg hatte die „Gnade der späten Geburt“, wie er es selbst nannte. Er war 15½ Jahre, als er durchs Fenster des Kaufmannsladens den Zug der Männer draußen vorbeiziehen sah.

Von November 1944 bis Mai 1946 musste der junge Georg Zwangsarbeit leisten: Holzfällen und Schweine hüten für das Staatliche Waldamt im Bezdaner Wald und in Batsch-Monoschtor (sr. Bački Monoštor) – „gut bewacht und [mit] kaum etwas zu essen“. Mit einer „Gartenhacke auf dem Buckel“ entfernte sich Georg eines Tages von der Arbeit an der Strecke nach Sombor (ung. Zombor) und schleuste sich freiwillig ins Vernichtungslager Gakowa (sr. Gakovo) ein, um seine Familie zu suchen, die allerdings verstreut war. Die Flucht aus Gakowa gelang ihm am helllichten Tag. Anschließend versteckte sich Georg drei Monate lang im Elternhaus in Filipowa, wo die ungarisch-deutschen Großeltern, eine Mischehe, wohnen bleiben durften. Im August 1946 wagte die Familie die Flucht über Stanischitz (sr. Stanišić, ung. Őrszállás) nach Ungarn und im Dezember 1946 nach Linz in Österreich.

Aus dieser Zeit nahm Georg vier Besonderheiten mit: seine Fähigkeit, „mit sich allein zu sein“, seine Unfähigkeit, jemanden um etwas zu bitten, das tiefe Wissen um das Geschenk, „leben zu dürfen“ und sein Bedürfnis, „allen, denen das Leben genommen wurde, eine Stimme zu geben“.

In Linz fand die Familie zusammen. Nach dem Abschluss des Gymnasiums mit Auszeichnung entschied sich Georg für das Studium der Philosophie und Theologie in Linz. Seine philosophische Begabung fiel auf und er wurde schon nach einem Jahr zum Studium an die Päpstliche Universität Gregoriana nach Rom geschickt – auf einem Freiplatz der ungarischen Erzdiözese Kalocsa, zu der die Batschka bis 1918 gehörte. 1953 erwarb er das Lizenziat in Philosophie und im Oktober 1956 wurde er in Rom vom späteren Kardinal Franz König zum Priester geweiht. „Den Armen die frohe Botschaft bringen“ wählte er als Motto und Primiz-Spruch. 1959 – an seinem 30. Geburtstag – promovierte Georg Wildmann mit einer Arbeit über die Katholische Gesellschaftslehre bei Gustav Gundlach.

Aus Rom zurück war sein erster Einsatz eine Ferienaushilfe in Holzhausen. Sein erster Kaplansposten in Ebensee brachte ihn in Kontakt mit der Unternehmerseelsorge, der Arbeiterschaft und auch in einen Diskurs mit dem späteren Bundeskanzler Bruno Kreisky. Der Religionsunterricht an Volks- und Hauptschule forderte ihn heraus. Auf diese Altersgruppe war er nicht vorbereitet. Ein überraschender Kaplanswechsel führte ihn in die Pfarre Heilige Familie-Linz. Auch dort war er neben der Pfarrseelsorge als Religionslehrer tätig, unter anderem an der Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe der Ursulinen. Ab 1966 lehrte er Philosophie, Sprachphilosophie und Philosophische Ethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Diözese Linz. Darüber hinaus wirkte er bei der Linzer Diözesansynode mit, hielt zahlreiche Vorträge und war auch im Radio zu hören.

Inmitten dieser arbeitsreichen Zeit lernte er Erika Wendtner, eine Lehrerkollegin, kennen und lieben. Nach einer schwierigen Zeit des Ringens zwischen dem geliebten Beruf und der Liebe zu Erika und seiner Familie suchte Georg Wildmann um Dispens vom Priesteramt an, was im Dezember 1974 gewährt wurde. Bald darauf heirateten die beiden. Georg wurde Professor für Religion und Philosophie an zwei Gymnasien, zuletzt leitete er das Bundesrealgymnasium Linz-Urfahr als provisorischer Leiter.

Bereits seit 1961 engagierte sich Georg mit seinem Pfarrerkollegen Franz Schreiber und Paul Mesli für die Filopowaer. Er war Mitautor der acht Bildtextbände über Filipowa und der jährlichen Filipowaer Heimatbriefe, die 2018 in jüngere Hände gelegt wurden. In der Zeit der Neuorientierung erreichte Georg die Anfrage seines ehemaligen Volkschullehrers Josef Volkmar Senz: „Die Donauschwaben würden dich brauchen.“ Damit begann für Georg 1982 die Mitarbeit in der Donauschwäbischen Kulturstiftung München, deren vorrangige Aufgabe darin gesehen wurde, eine donauschwäbische Geschichte nach wissenschaftlichen Kriterien zu schreiben. Oskar Feldtänzer, Ingomar Senz und Georg Wildmann übernahmen die jeweiligen Bände. In dieser Reihe „Donauschwäbische Geschichte“ konnte Georg Band V, Die Donauschwaben in Österreich 1944 – 2020, mit großer und ausdauernder Unterstützung seiner Frau Erika – angesichts der fortschreitenden Erkrankung in großer Eile, was Georg sehr bedauerte – fertigstellen und im Juli 2021 präsentieren. Als zweites Hauptwerk der Kulturstiftung München entstand in den 1990er-Jahren durch ein Autorenteam – federführend waren Hans Sonnleitner, Karl Weber, Josef Beer und Georg Wildmann – der vierbändige Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien und eine Kurzfassung davon, die Georg überantwortet war.

Zu donauschwäbischen Themen war Georg Wildmann ein gefragter Vortragender bei Tagungen, Symposien und in wissenschaftlichen Beiräten in Berlin, Ulm und Wien. Auf österreichischer Ebene war er in der Donauschwäbischen Arbeitsgemeinschaft (DAG) vertreten. Für den Verband der altösterreichischen Landsmannschaften in Österreich (VLÖ) war er als Leiter des Arbeitskreises Kultur tätig und langjähriger Mitarbeiter im Wissenschaftlichen Beirat des Ermacora-Instituts.

In der Landsmannschaft Oberösterreich war Georg seit 1983 Mitglied, seit 1987 wurde seine Mitarbeit unter Obmann Hans Holz intensiver angefragt. Landesobmann Ing. Anton Ellmer bat Georg um historische Beiträge zu seinem Informationsblatt Mitteilungen der Landsmannschaft der Donauschwaben in Oberösterreich. Bis zuletzt verfasste er dafür Artikel. Georgs Idee eines landesweiten „Erinnerungstages für Heimatvertriebene“ wurde von LH a. D. Dr. Josef Pühringer aufgegriffen. Seit 2008 gestaltete das Ehepaar Wildmann federführend diesen Tag, wenn „die Donauschwaben dran sind“.

Die weitsichtige Idee von Ing. Anton Ellmer, den vielen donauschwäbischen Büchern und Unterlagen des „donauschwäbischen Privatgelehrten Georg Wildmann“ einen Raum zu geben, griff Bürgermeister und Landesobmann Paul Mahr auf und setzte sie rasch um. 2018 wurde die „Donauschwäbische Bibliothek und Archiv Dr. Georg Wildmann“ in Marchtrenk eröffnet und krönt Georgs Lebenswerk.

Viel Verständnis und Nachsicht hat seine Familie für Georgs Arbeits- und Lebensstil und die damit verbundenen zeitlichen Ressourcen gebraucht und aufgebracht. Besonders seit ihrer Pensionierung unterstützte ihn Erika aber auch aktiv und ausdauernd. Georg verfolgte das Leben seiner Kinder mit großem, oft stillem Interesse. Zuletzt brachten seine Enkel Elena und Elias viel Freude in sein Leben. Und schafften es auch immer wieder, ihn aus der geistigen Arbeit „herauszuholen“ und mit ihm „Räuber Hotzenplotz“ zu spielen.

Georg ging am Vorabend des Palmsonntags, am 9. April 2022, liebevoll begleitet von seiner Frau Erika und seinen Kindern Markus und Lisa, heim. Die Verabschiedung fand am 22. April2022 in der Pfarrkirche Christkönig Linz-Urfahr statt.

Wir in der Donauschwäbischen Arbeitsgemeinschaft in Österreich bemühen uns, Georgs Auftrag, „Geschichte und Kultur in Erinnerung zu halten und mit Veranstaltungen und Publikationen erlebbar zu gestalten“, weiter zu erfüllen. Denn, wie er schrieb: „Vergessen zu werden wäre unsere zweite Vertreibung.“

Mag.a Maria K. Zugmann-Weber ist Vorsitzende der Donauschwäbischen Arbeitsgemeinschaft in Österreich.

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2022), Jg. 17, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 243–245.