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Christine Magerski: Imperiale Welten | Rezension

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Christine Magerski: Imperiale Welten. Literatur und politische Theorie am Beispiel Habsburg. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2018. 125 S.

Von Clemens Ruthner

Dieses feine kleine Büchlein ist quasi ein Nebenprodukt des vom kroatischen Wissenschaftsfonds geförderten Forschungsprojekts „Postimperiale Narrative in den zentraleuropäischen Literaturen der Moderne“ (2016–2019) an der Universität Zagreb, an der auch die Autorin Germanistik lehrt. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die Einsatzmöglichkeiten der breit rezipierten Imperien-Theorie des Berliner Politikwissenschaftlers Herfried Münkler[1] in Hinblick auf die deutschsprachigen Literaturen und Autoren der Habsburger Monarchie sowie ihre Nachwirkungen zu demonstrieren. Dies ist auf den ersten Blick widersprüchlich, da Münkler – wie auch Magerski einräumt (S. 12) – Österreich-Ungarn nicht als „Imperium“, sondern als „Großreich“ versteht.[2] Die kleine Beugung der Lehre des Vordenkers aus Berlin erweist sich freilich als durchaus produktives „Theoriedesign“ (S. 7), dessen Einsatz in fünf relativ kurzen Abschnitten vorexerziert wird.

So widmet sich das erste Kapitel (S. 12–29) der Theorie selbst in einer fruchtbaren Zusammenschau mit Mythenforschung und Narratologie, wobei sich der Kurzschluss von Münklers These von der imperialen „Mission“[3] (die jedes Reich habe, vgl. S. 14ff.) mit Claudio Magrisʼ Habsburgischem Mythos und Ernst Cassirers „symbolischen Formen“ als heuristisch fruchtbar erweist. Das zweite Kapitel fokussiert auf den postimperialen Roman (S. 30–49), das dritte auf Habsburg als „Erfahrungsraum und Erwartungshorizont“ (S. 50–68), das vierte auf das Begriffspaar „Zentrum – Peripherie“ (die mit Münkler überzeugend als wechselseitig abhängige Dyade vorgeführt wird, vgl. S. 69–97); das fünfte schließlich gilt dem Untergang („Der Erste Weltkrieg als geschichtsphilosophisches Lehrstück“, S. 98–117). Als – durchwegs kanonisches – Untersuchungskorpus dienen im Wesentlichen Werke von Robert Musil und Joseph Roth.

Im Großen und Ganzen wirkt diese Leistungsschau der Applikabilität Münklers auf jene Texte und ihre Entstehungsumstände einleuchtend, ja erhellend. Bedenken wecken lediglich die Passagen, in denen die Autorin Münklers Theorien doch etwas unkritisch wiedergibt, zum Beispiel, wenn diese in die Nähe einer pessimistischen Geschichtsteleologie à la Oswald Spengler rücken oder etwa mit einem unreflektierten Begriff der „Balkanisierung“[4] (S. 27, S. 113) quasi von oben herab aufwarten – was eigentlich gerade den Einwand einer in Kroatien lebenden Forscherin erregen müsste. Auffallend sind auch gewisse Lücken in der Nutzung von Sekundärliteratur: Diese ist entweder etliche Jahrzehnte alt oder ziemlich rezent, mit wenig dazwischen, und zudem – angesichts des altösterreichischen Untersuchungsgegenstands – doch etwas deutschlandlastig. Das größte Manko ist freilich, dass auf vorangegangene oder parallele Theoriebildungen wie Edward Saids Trend setzendes Buch Culture and Imperialism (1993), in dem dieser etwa die imperial-staatstragende Funktion des britischen Romans betont, kaum bis gar nicht eingegangen wird (vgl. S. 13, S. 35), ebenso wie andere Theoretiker der Imperial Studies und neuere Historiografie eher außen vor bleiben mussten (?) – zum Beispiel Pieter M. Judsons vorzügliches Werk The Habsburg Empire. A New History (Cambridge, MA 2016) oder Steven Bellers The Habsburg Monarchy 1815–1918 (Cambridge, UK 2018).

Fazit: ein beeindruckender Abriss der Anwendungsmöglichkeiten von Münklers Imperium-Theorie(n) als Analysewerkzeug für (post-)habsburgische Literatur, der aber schlichtweg zu kurz geraten ist; einiges (siehe oben) bedürfte deutlich der näheren Ausführung (abgesehen davon, dass auch eine komparatistische Weitung des Fokus spannend gewesen wäre). Zudem ist es, wie gesagt, wirklich schade, dass die Parallelaktion der Autorin existierende Forschung teilweise ignoriert (zum Beispiel die zahlreichen Sammelbände des informellen Netzwerks „Kakanien revisited“[5]) und vor allem auf dem postkolonialen Auge eher blind geblieben ist, etwa für Hegemonie-Konzepte. Bedauerlich ist auch, dass das kroatische Forschungsprojekt, aus dem die Publikation offenkundig hervorgegangen ist, in seinem Ziel und seinen Ergebnissen nicht näher bestimmt wird – gäbe es doch in diesem Rahmen sicher weitere interessante Publikationen für die Leserschaft zu entdecken. Eine erweiterte zweite Auflage von Magerskis etwas überhastetem, aber trotzdem lesenswertem Buch könnte indes all die kleinen Unzulänglichkeiten beheben und daraus eine wirklich großartige Monografie machen.

 

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2020), Jg. 15, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 136–138.

 

[1] Vgl. Herfried Münkler: Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten. Berlin 2005.

[2] Ebenda, S. 20–22.

[3] Herfried Münkler: Imperien und Imperialismus. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 10.2.2010, S. 8.

[4] Münkler: Imperien, S. 12.

[5] So wurden innerhalb des erwähnten Forschungsnetzwerks seit Jahren immer Texte von Joseph Roth einschlägig untersucht bzw. fand eine umfangreiche und fruchtbare Theoriediskussion der Begriffe postkolonial vs. postimperial statt, auf die m. E. einzugehen wäre.

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