Aneta Stojić, Anita Pavić Pintarić (Hgg.): Kroatiens Küste im Lichte der Habsburgermonarchie. (Transkulturelle Forschungen an den Österreich-Bibliotheken im Ausland, Bd. 16.) Wien: new academic press 2017. 354 S.
Von Sanja Lazanin
Wenn man einen durchschnittlichen Geschichtskenner über österreichische und deutsche kulturelle Einflüsse auf dem kroatischen Gebiet fragen würde, würde der erste Gedanke wahrscheinlich nicht Dalmatien und Istrien gelten. Dabei könnten das Kroatisch-slawonische Königreich und die vierhundertjährige Herrschaft der Habsburgermonarchie, die Militärgrenze oder die in die südöstlichen Teile der Monarchie – Slawonien und Syrmien – während des 18. und 19. Jahrhunderts planmäßig angesiedelte deutsche Bevölkerung erwähnt werden. Das wäre freilich eine unvollständige Antwort, denn die Habsburgermonarchie hinterließ zahlreiche Anzeichen ihrer früheren Anwesenheit in Dalmatien, Istrien und der Kvarnerbucht. Davon zeugt die vorliegende Publikation.
Der in der Buchreihe Transkulturelle Forschungen an den Österreich-Bibliotheken im Ausland im Jahre 2017 erschienene Band versucht laut den Worten der Herausgeberinnen Aneta Stojić und Anita Pavić Pintarić, „die jahrhundertelangen rechtsstaatlichen und soziokulturellen Verbindungen zwischen Kroatiens Küste und Österreich zu beleuchten“. Unter der Leitung der zwei jüngsten Österreich-Bibliotheken in Kroatien, Zadar und Rijeka (dt. Sankt Veit am Flaum; ital. und ung. Fiume), wurde ein multidisziplinäres Team von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zusammengebracht, um den Spuren der kroatisch-österreichischen Beziehungen nachzugehen.
Obwohl es zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema gibt, stellt diese Publikation einen wichtigen Versuch dar, die Adriaküste in der Zeit der habsburgischen Herrschaft unter verschiedenen Aspekten zu erforschen und die Wechselwirkungen zwischen der österreichischen Verwaltung und der Bevölkerung an der östlichen Adriaküste zu erörtern.
Das Buch enthält neben der Einleitung 16 interdisziplinäre Beiträge, die in vier Themenbereiche eingeteilt sind. In der Einleitung schildern die Herausgeberinnen historische und soziokulturelle Rahmenbedingungen, die die kroatische Adriaküste zum Kontaktraum zwischen Mitteleuropa und Mittelmeer machten. Ein besonderer Akzent wird auf deutsch-kroatische kulturelle und sprachliche Kontakte und Einflüsse gelegt; dies wird am Beispiel der geografischen und sprachlichen Gegebenheiten mittels Toponymen und anthropogeografischen Quellen an der östlichen Adriaküste illustriert.
Der erste Teil des Buches umfasst drei Beiträge, die einen Überblick über die geschichtlichen Begebenheiten in drei kroatischen Regionen an der Adriaküste (Istrien, Rijeka mit der Kvarnerbucht und Dalmatien) unter österreichischer Herrschaft bieten. Im Fokus dieser Beiträge steht die politische Geschichte dieser Gebiete nach dem Niedergang der Republik von Venedig Ende des 18. Jahrhunderts. Damals fielen Dalmatien und das kroatische Küstenland unter österreichische Herrschaft, die 1805 endete. Danach kam das zehnjährige französische Interregnum, dem die so genannte zweite österreichische Herrschaft folgte. Diese dauerte bis zum Jahr 1918. Jedes der genannten adriatischen Gebiete wies spezifische Merkmale in Bezug auf Verwaltung, Gesellschaftsstruktur, Bevölkerungszahl, Wirtschaft und kulturelle Entwicklung auf.
Ein Teil des inneren Istriens fiel noch im 14. Jahrhundert an die Habsburger. Gerade um diese lang anhaltende Herrschaft in der Grafschaft Mitterburg (kr. Pazin) und die Verbreitung der Reformation im österreichischen Istrien geht es im Text von Maja Ćutić Gorup. Die Autorin hebt den positiven Einfluss, den die Reformation auf den Druck von kirchenslawischen liturgischen Büchern hatte, hervor. Dabei wird auch die Rolle des gegenreformatorischen Wirkens der Habsburger Herrschaft mit Hilfe der Katholischen Kirche in der Zurückdrängung der Reformation in Istrien apostrophiert. Aus zwei weiteren Beiträgen erfährt man, dass Österreich einen starken politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Einfluss auf die Stadt Rijeka und ihre Umgebung ausübte (Andrea Roknić Bežanić und Markus Leideck) und dass Dalmatien, wie es bei Marko Trogrlić steht, „innerhalb der Habsburgermonarchie stets eine peripher gelegene Provinz, deren Verwaltung mit strukturellen Schwächen zu kämpfen hatte“ (S. 85), war, obwohl die habsburgische Verwaltung bemerkenswerte Modernisierungsschübe in Dalmatien bewirkte.
Der Schwerpunkt der Beiträge im zweiten und umfangreichsten Teil liegt auf der Untersuchung der Modernisierungstendenzen, die während der österreichischen Verwaltung an der kroatischen Adriaküste zu beobachten waren. Es wird ein breites Spektrum der Lebensbereiche in Dalmatien, Istrien und im Kvarnergebiet behandelt, darunter das Rechtssystem, territoriale Verwaltungsformen und die Anwendung des österreichischen Rechts (Budislav Vukas Jr.), dann das Schul- und Bildungswesen (Ante Bralić), die sehr rege kartografische Tätigkeit (Josip Faričić), das Schiffsrouten-System und Segelhandbücher (Mithad Kozličić, Claudio Rotunno) sowie das Agrarsystem und sozioökonomische Verhältnisse (Peter Jordan). Aus all diesen Texten geht hervor, dass Gebiete an der östlichen Adriaküste während der hundertjährigen venezianischen Herrschaft vernachlässigt waren und Anzeichen der Rückständigkeit aufwiesen. Die zwei Perioden der österreichischen Herrschaft und die kurzlebige französische Regierung werden von den meisten Autoren und Autorinnen als jene Regierungszeit bezeichnet, in der man die Reform der Verwaltung, des Gerichtswesens, des Schulwesens und der Wirtschaft einzuführen bestrebt war und den langwierigen Prozess der Modernisierung startete.
In diesem Teil des Buches wird eine Vielfalt von Informationen geboten, die die Aktivitäten der österreichischen Regierung zur Bewertung der Gebietsressourcen und zur Modernisierung der dortigen Gesellschaft veranschaulichen. Da der Erfolg jeder Gesellschaftsreform eng mit einer erfolgreichen Bildungsreform verbunden ist, sollte bei der Bewertung der in diesen Gebieten unternommenen Modernisierungsprozesse auch das allgemeine Bildungsniveau einbezogen werden. Aus diesem Grund verdienen zwei Texte besondere Beachtung, weil sie nicht nur die Auswirkungen der Reformen in Dalmatien und im Kvarnergebiet erläutern, sondern auch die Gründe für den Rückstand dieser Gebiete im Vergleich zu anderen Teilen der Habsburgermonarchie herauszufinden versuchen.
In dem gut dokumentierten, aber etwas zu umfangreichen Text über das Schulwesen begründet Bralić potenzielle Ursachen der schwächsten Ergebnisse im Bildungszugang in den Gebieten mit mehrheitlich kroatischer Bevölkerung innerhalb des österreichischen Teils der Monarchie (S. 103–139). Diese sollten in scharfer Trennung zwischen Küstenstädten und Hinterland liegen, wobei die städtische Elite in ihrer Umgebung nur eine Ressource zum Gewinn des Kapitals sah und ihr Interesse nicht in der Modernisierung des dalmatinischen Dorfes und der Ausbildung seiner Bewohner fand. In Dalmatien, so Bralić, stellte die Stadt keinen Modernisierungsmittelpunkt dar, wie es in vielen west- und mitteleuropäischen Städten der Fall war. Neben dem niedrigen Bildungsniveau dieser adriatischen Regionen ist in diesem Kontext auch die schlechte Wirtschaftslage als unüberwindbares Problem zu nennen. Wie Jordan in seiner Analyse der sozioökonomischen Verhältnisse im Kvarnergebiet betont, wies die nordadriatische Wirtschaft während des ganzen 19. Jahrhunderts Strukturmerkmale einer Agrargesellschaft auf, welche schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erste Anzeichen des Verfalls zeigte. Es hat sich nämlich laut Jordan in Istrien und auf den Kvarnerinseln wegen des Ausbleibens einer Agrarreform ein Agrarsystem erhalten, das feudale Besitzverhältnisse (Kolonat) aufwies. Das Kolonatsystem, das auf dem Vertrag zwischen Grundherrn und besitzlosen Bauern (Kolonen) beruht und in erster Linie der Eigenversorgung der ländlichen Bevölkerung und der Versorgung eines regionalen Marktes diente (S. 184f), hielt lange an und verhinderte eine schnellere Anbindung an eine in anderen Teilen der Monarchie entwickelte Marktwirtschaft. Dieses Verhältnis führte zu demografischen und wirtschaftlichen Konsequenzen. Erst um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kam es zu Veränderungen der traditionellen Wirtschaftszweige, was die Voraussetzungen für den Tourismus schuf. Die Entwicklung des Tourismus war eines der wichtigsten Ergebnisse der österreichischen Verwaltung an der östlichen Adria.
Kulturelles Leben und interkulturelle Begegnungen werden im dritten Teil des Sammelbandes anhand zahlreicher Beispiele geschildert, darunter die Tourismusentwicklung in Istrien, das Wirken der bildenden Künstler aus Wien und Prag, die Gründung der Kulturvereine und Bildungsinstitutionen in Zadar, deutschsprachiges Pressewesen und Publikationstätigkeit sowie die Nationalisierung der Kulturlandschaft durch die Betrachtung des Verdi-Denkmals in Triest.
Der vierte Teil ist dem Archivgut und historischen Quellen, die die Erforschung der Herrschaft der Habsburgermonarchie in Dalmatien ermöglichen, gewidmet.
Abschließend ist hervorzuheben, dass die in dieser Publikation enthaltenen Texte einen guten Einblick in die verwaltungstechnischen, politischen, bildungsbezogenen, wirtschaftlichen, rechtlichen und kulturellen Gegebenheiten in Istrien und Dalmatien während der beiden österreichischen Herrschaftsperioden geben. Fast jeder Text in den ersten beiden Themenbereichen fängt mit der Schilderung allgemeiner historischer Bedingungen an, die zum Herrschaftswechsel in den östlichen Adriagebieten geführt hatten. Diese Wiederholungen könnten auf jene Leser, die diese Aufsatzsammlung in Gänze durchlesen möchten, ein bisschen unerfreulich wirken. Obwohl während der hundertjährigen österreichischen Herrschaft in Dalmatien große positive Entwicklungen zu verzeichnen waren, blieb es dennoch hinter anderen Provinzen des österreichischen Teils der Monarchie zurück, und die Worte des österreichischen Publizisten Hermann Bahr von 1909 zeugen malerisch von der Beziehung Österreichs zu Dalmatien: „Das ist die berühmte Riva von Zara, der Stolz der österreichischen Verwaltung. Sie hat den Zweck, die alte Stadt Zara zu verstecken. Hinter ihr ist die alte Stadt Zara. Vor der alten Stadt ist eine österreichische Wand aufgestellt. Hinter der österreichischen Wand fängt der Orient an, unsere Zeit hört auf. So kann man sagen, dass diese Riva ihren Ruhm verdient, weil sie das Symbol unserer Verwaltung in Dalmatien ist“ (S. 225).
Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2020), Jg. 15, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 138–141.