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Erstaunliche Interessenvielfalt und weitgefächerte Kompetenz. Laudatio auf Johann Adam Stupp

Der aus einer sudetendeutschen Familie stammende Johann Adam Stupp ist am 3. März 2021 im Alter von 93 Jahren gestorben. Stupp war zwischen 1968 und 1994 Leiter des Studium Generale an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Jahrzehntelang war er eng mit der Vorgängerinstitution des IKGS, dem Südostdeutschen Kulturwerk, verbunden: seit 1972 als Vorstandsmitglied, seit 1983 als verantwortlicher Schriftleiter der Südostdeutschen Vierteljahresblätter, später Mitherausgeber von deren Nachfolgepublikation, den Spiegelungen. Die folgende Laudatio zu Stupps 80. Geburtstag von Peter Motzan ist 2007 in den Spiegelungen erschienen.

Täusche ich mich, wenn ich die Behauptung wage, dass Johann Adam Stupp, dem es vergönnt war, am 15. Mai 2007 seinen 80. Geburtstag bei guter Gesundheit zu feiern, nicht ohne Genugtuung auf ein ereignisreiches, von Tätigkeit ausgefülltes Dasein zurückblickt, zurückblicken darf? Dabei verlief sein äußerer Lebensweg nicht so, wie’s in Abenteuerromanen nachzulesen ist. Der Sohn eines Industriekaufmanns und einer Mittelschullehrerin besuchte das Akademische Gymnasium in Wien und nahm 1947 nach dem Abitur ein Studium der evangelischen Theologie in Tübingen auf, das er 1952 mit dem Fakultätsexamen abschloss. Danach studierte er mit Unterbrechungen Geschichte und Kunstgeschichte in Tübingen (195253), in Lund (195354), Bonn (195456) und Erlangen (19571959), war aber auch gleichzeitig berufstätig: als Heim- und Kursleiter sowie als Sekretär der aus der Batschka stammenden CDU-Bundestagsabgeordneten Annemarie Ackermann in Bonn (19541957) und als wissenschaftlicher Assistent (19581967) an der Universität Erlangen-Nürnberg. Von 1968 bis zu seiner Emeritierung 1994 wirkte Stupp als Leiter des Collegium Alexandrinum, das 1956 im Rahmen der Bemühungen um eine zeitgemäße Form des „Studium Generale“ an der fränkischen Alma Mater gegründet worden war und durch zahlreiche und regelmäßig stattfindende fachübergreifende Veranstaltungen und Vortragsreihen der Öffentlichkeit Einblicke in die Arbeit von Instituten, Forschungszentren und Kliniken der Universität Erlangen-Nürnberg vermittelte.

Der ausgebildete Theologe, der das Amt eines Seelsorgers niemals ausgeübt hat, suchte frühzeitig den Umgang mit Geisteswissenschaftlern, mit Künstlern und Schriftstellern – u. a. im ,,Südostdeutschen Studentenring“, ein Verein, in dem aus Jugoslawien, Ungarn und Rumänien stammende Studenten zusammenfanden und der zwischen 1954 und 1957 die Mitteilungen des Südostdeutschen Studentenrings herausgab. Die Kontaktbeziehungen in diesem Rahmen dürften wesentlich dazu beigetragen haben, dass Stupp nun seine Aufmerksamkeit auch der Kultur und Geschichte der Deutschen in und aus Südosteuropa zuwandte. Der neugierige Vielleser konnte nicht zuletzt auch als aufgeschlossener Beobachter von gesellschaftlichen Veränderungsbewegungen und literarisch-künstlerischen Innovationsbestrebungen sein Wissen über diesen jahrzehntelang eingekerkerten Teil Europas kontinuierlich erweitern und vertiefen. Stupp ist heute sicherlich einer der besten Kenner der deutschen Kulturgeschichte im südöstlichen Mitteleuropa. Gemeinsam mit Emmerich Giel und Anton Schwob übernahm er 1960 die Herausgeberschaft der Südostdeutschen Semesterblätter – die bis 1969 im Verlag des Südostdeutschen Kulturwerks erschienen -, eines ungleich anspruchsvolleren Nachfolgeperiodikums der Mitteilungen, dem Karl Kurt Klein 1968 die Qualität „einer ernster Beachtung werten Zeitschrift philologisch-historisch-landeskundlicher Forschung“ bescheinigte. Stupp ist darin mit Aufsätzen, Berichten und Rezensionen vertreten, allerdings nicht mit eigenen Versen, obwohl in den Semesterblättern gelegentlich Kurzgeschichten und Gedichte anderer Autoren abgedruckt wurden.

Den meisten der „Nachgeborenen“ dürfte nicht bekannt sein, dass Stupps erste eigenständige Buchpublikation ein Lyrikbändchen – Welt am Freitag. Lieder und Texte – war, das unter dem Pseudonym Johann Herold 1963 in Ulm erschien. Von Stefan Sienerth in einem 2001 veröffentlichten Interview über seine poetischen Verlautbarungen befragt, reagierte Johann Adam Stupp recht wortkarg, mit spürbarer Verlegenheit: „Ansätze, die nicht fortgeführt werden, sind öffentlicher Beachtung nicht würdig. […]. Das ist lange her.“

Trotz solch kritischer Selbsteinschätzung vervollständigen diese Gedichte – die ersten entstanden schon 1945 während eines Lazarettaufenthalts – das Portrait des Autors Stupp mit mehr als nur einem Farbtupfer. Sie schreiben sich zwar unübersehbar von der deutschen Lyrik um 1910 her, sind in der geschickten Handhabung des Enjambements, der Reimtechnik und der Sonett-Form Rainer Maria Rilke und in ihrer Jahreszeiten-Metaphorik dem frühen Trakl verpflichtet, doch weisen in ihrer existenziell-meditativen Haltung alle Stereotypen einer gut gemeinten rückwärtsgewandten Heimatpoesie von sich, die anno 1963 in den Darbietungen der Vertriebenen, Aussiedler und Flüchtlinge noch weite Verbreitung fanden. Es eignet ihnen das Vertrauen in die Darstellbarkeit der Wirklichkeit im überhöhenden subjektzentrierten Diskurs und – bei aller melancholischen Grundierung – der Glaube an die Unvernichtbarkeit des Humanen über alle Anfechtungen hinweg. Daneben stößt man jedoch auch schon auf einige wenige Kompositionen, die bezeichnender Weise unter dem Oberbegriff „Texte“ firmieren und die in freien reimlosen Rhythmen gesellschaftliche und Mentalitätswandlungen der Nachkriegszeit registrieren.

Damals sah Stupp in Georg Trakl, dem er eines seiner schönsten Gedichte zueignete, den „Vollender der deutschen Lyrik“ und wandte sich dem gebürtigen Salzburger auch als Biograf zu. Bereits 1961 hatte er in den Südostdeutschen Semesterblättern erstmalig das Krankenblatt Trakls veröffentlicht – mit dem genauen Vermerk seiner Todesstunde in einem Lazarett in Krakau: 3. November 1917, gegen 21:00 Uhr. Stupps zweite Buchpublikation – Georg Trakl. Der Dichter und seine südostdeutsche Abkunft (1969) – deckt Herkunft und Familiengeschichte des Dichters aufgrund von Quellenforschungen bis in alle Einzelheiten auf.

Fünf Jahre später wurde er Vorstandsmitglied des Südostdeutschen Kulturwerks, 1981 Mitglied der Schriftleitung der Südostdeutschen Vierteljahresblätter und 1983 deren verantwortlicher Schriftleiter – und blieb es bis Heft 4/2005 dieser Zeitschrift, die ab 2006 unter dem Namen Spiegelungen erscheint und zu deren Herausgebern er auch weiterhin gehört. Ein langjähriger Redaktionskollege, Wegbegleiter und „Mitstreiter“ Johann Adam Stupps, der Schriftsteller und Publizist Hans Bergel, würdigte anlässlich der von Stupp gewünschten Entbindung vom Amt des verantwortlichen Redakteurs dessen „Arbeitsstil“ in klaren Worten: „Ich durchlief mit ihm […] auch die Phasen generations- wie auffassungsbedingter Orientierungskorrekturen der Zeitschrift, alle Spannungen und Diskussionen, von denen diese begleitet waren und die mancherseits mit Misstrauen beobachtete thematische Horizonterweiterung über die ethnische Grenze hinaus. Ich erinnere mich keiner Divergenzen aus diesem Grund. Im Gegenteil, Johann Adam Stupp verwendete sich mit der ihm eigenen Deutlichkeit für jeden vernünftigen neuen Akzent des Periodikums. Rationalität erschien mir früh als eines seiner Prinzipien, beharrliche Zivilcourage als eine seiner Haupteigenschaften.“ Aus eigener Erfahrung darf ich dieses freundschaftlich geprägte Urteil bestätigen und ergänzen. In seiner Redaktionspolitik nach der Wende in Ostmittel- und Südosteuropa war Stupp zwar kein Adept einer radikalen Kursänderung, sehr wohl aber einer der notwendigen und konsequenten Revision. Die modern orchestrierten Texte der jüngeren Autoren, die ich an ihn weiterleitete, hat er zustimmend begutachtet und anstandslos gedruckt. Keine einzige Rezension der Rubrik Bücherschau, die ich seit 1996 betreue und verwalte, hat er abgelehnt. Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen endeten niemals in heftigem oder gar unversöhnlichem Zorn.

In den Südostdeutschen Vierteljahresblättern hat sich Johann Adam Stupp vorrangig als Kunstkritiker profiliert. Kenntnisreich und sachkundig präsentierte und kommentierte er die Werke von Bildhauern, Malern, Grafikern und Zeichnern – u. a. von Egon Eppich, Tugomir Huberger, Erika Etta, Johann Untch, Otto Birg, Michael
Lassel, Franz Kumher, Peter Dik und Carol Szilagyi. Öffentlichkeitswirksame Arbeit leistete er vor allem in seiner Eigenschaft als langjähriger Vorsitzender des Kunstvereins Erlangen, dessen Ehrenvorsitzender er auch heute noch ist. Im gesamten fränkischen Raum organisierte er im Laufe der Jahre viele Ausstellungen, hielt dazu auch die Eröffnungsreden und gestaltete die Ausstellungskataloge und versah sie mit Einführungstexten.

Zu den Aktivitäten des Kunstconnaisseurs und Kunstmanagers treten die des wissenschaftlichen Bibliografen: die akribischen Erfassungen in zwei Buchpublikationen von Dissertationen und Hochschulschriften zur Geschichte der Medizin und Pharmazie der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Schließlich, aber nicht zuletzt sei auch an Stupps Teilnahme an den Symposien zur Geschichte der Arbeiterbewegung und Arbeiterdichtung in Österreich-Ungarn und den Nachfolgestaaten erinnert, die in den 1980er Jahren im Burgenland stattfanden. Von seiner Beschäftigung mit diesem Themenfeld zeugt u. a. der Aufsatz über den Banater Nikolaus Schmidt, der in den Studienband Schriftsteller zwischen (zwei) Sprachen und Kulturen (1994) aufgenommen wurde. Summa summarum vermittelt die Spannweite seiner Publikationen das Bild einer erstaunlichen Interessenvielfalt und Kompetenz.

Seit 1980 lebt Johann Adam Stupp, der im Oktober 2003 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, mit seiner Frau, einer Mikrobiologin und Ärztin, in der Regnitzgemeinde Möhrendorf im Landkreis Erlangen-Höchstadt. Schön wär’s, wenn er sich die Zeit nähme, ein Buch über seine ungezählten Begegnungen mit Schriftstellern, Publizisten und Künstlern zu schreiben.

Prof. h. c. Dr. Peter Motzan, geb. 1946 in Hermannstadt/Rumänien, ist stellvertretender Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München. Zahlreiche Veröffentlichungen zur rumäniendeutschen, rumänischen und deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Zuletzt erschien. Benachrichtigen und vermitteln. Deutschsprachige Presse und Literatur in Ostmittel- und Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert  (Mithrsg., 2007).

 

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2007), Jg. 2 (56), IKGS Verlag, München, S. 197–200.

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