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Alice Frontzek: Liebste Janni | Rezension

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Alice Frontzek (Hg.): Liebste Janni! Briefe von Hans S. aus dem Krieg 1940–1945. Berlin: Berlin Story Verlag 2019. 302 S.

Von John Zimmermann

Feldpostbriefe sind eine schwierige, allerdings auch eine wichtige historische Quelle. Wie alle Egodokumente bilden sie subjektive Meinungen ab und erlauben deswegen einerseits nur individuelle Einblicke; andererseits liegt gerade darin ihr Mehrwert: Sie bieten Einsichten in die Persönlichkeit der Schreibenden, ihren Bildungshintergrund, ihr Verständnis von den Ereignissen um sie herum, in ihre Lebenswelt. Die geschichtswissenschaftliche Forschung hat ihre Relevanz seit nunmehr über zwei Jahrzehnten erkannt und verschiedentlich untersucht.

In gleichem Maße schwierig wie interessant werden die Feldpostbriefe des vorliegenden Bandes zusätzlich dadurch, dass es sich um einen SS-Mann handelt: Hans S. – der Nachname „wurde auf Wunsch von Verwandten abgekürzt“ (S. 4) – war ein Siebenbürger Sachse, 1916 in Wien geboren, wo sein Vater als Soldat der Habsburgermonarchie stationiert war. Er wuchs im siebenbürgischen Wolkendorf (rum. Vulcan) und Kronstadt (rum. Brașov) auf, machte dort Abitur und absolvierte danach seinen Wehrdienst in der rumänischen Armee. Seine Liebe galt vor allem dem Sport, er war ein guter Reiter und nahm als Handballer an den Olympischen Spielen 1936 in Berlin teil. Anschließend studierte er an der Sporthochschule der Reichshauptstadt, legte sein Diplom als Sportlehrer ab und meldete sich nach der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges freiwillig zur SS. Dort diente er zunächst bei der sich elitär gebenden „Leibstandarte Adolf Hitler“.

Auf Urlaub in Berlin lernte er im Sommer 1940 Marianne Heinrich kennen. Sie verliebten sich, und er begann ihr zu schreiben, als er zurück zur Truppe musste. Zunächst war er in Metz stationiert, wo ihn seine zwischenzeitliche „Janni“ für wenige Tage besuchte. Dann nahm er 1941 am „Balkanfeldzug“, anschließend am Unternehmen „Barbarossa“, dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, teil. Dazwischen wurde sein Verband in der besetzten Tschechoslowakei aufgefrischt, wo ihn Janni für weitere zehn Tage besuchen konnte. Trotz der wenigen miteinander verbrachten Zeit heirateten sie schon im Juni 1941 per Ferntrauung.

Nach etwa drei Monaten im Vernichtungskrieg im Osten Europas wurde Hansʼ Division in der Ukraine erneut aufgefrischt – was auch für die Heftigkeit der gerade erlebten Kämpfe sprechen dürfte –, und er durfte einige Zeit auf Urlaub. Kurz nach seiner Abreise kam sein Sohn zur Welt, den der Vater nur wenige Male sehen sollte. Er selbst schaffte die Auswahl zur Offiziersausbildung an der Junkerschule Bad Tölz, erhielt anschließend eine artilleristische Spezialausbildung und wurde dann zur neu aufgestellten SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division „Prinz Eugen“ versetzt. Hier stieg er binnen Kurzem zum Batteriechef auf und war mit ihr ab Juni 1942 bis zur deutschen Kapitulation 1945 im „Partisanenkampf“ auf dem Balkan eingesetzt. Die Division war dabei an schlimmsten Kriegsverbrechen beteiligt – was im vorliegenden Band auch explizit in einem Begleittext thematisiert wird. Inwieweit Hans S. persönlich daran beteiligt war, konnte allerdings nicht eruiert werden. Dem Familiennarrativ nach sei er bereits 1941 bei Erschießungen ohnmächtig geworden (S. 103). Das mag so gewesen sein, doch dann bleibt seine Auswahl für die Junkerschule verwunderlich, wenn auch kein hinreichender gegenteiliger Beweis. Im Dunkeln bleiben auch die Ereignisse, die zu seinem Tod noch kurz nach der Kapitulation geführt haben: Wahrscheinlich wurde er von Partisanen erschossen und hat so seine Familie in Friedenszeiten nie erlebt.

Erst nach dem Tod von Janni 2006 erhielt ihr Sohn die Briefe seines Vaters – ihre eigenen allerdings nicht, was nicht zuletzt aus wissenschaftlicher Sicht bedauerlich ist. So bleibt die Edition gewissermaßen eine One-Man-Show von Hans S., die von seiner Enkelin Alice Frontzek 2019 veröffentlicht worden ist. Für sie ist diese Herausgabe „ein Plädoyer für den Frieden, für Kriegsverweigerung, Toleranz und Nächstenliebe und dafür, dass man nicht die Einzelschicksale der Soldaten auf der Täterseite verschweigen sollte […], dass man von ihnen erzählen muss, um zu zeigen, wie vergeudet ein vielversprechendes Potenzial ist, wenn es von der falschen Seite vereinnahmt wird“ (S. 14). Sie „will nichts entschuldigen, sondern zeigen, wie wichtig es ist, sich rechtzeitig gegen Entwicklungen zu wehren, für Meinungs- und Pressfreiheit zu kämpfen, sich immer für Frieden einzusetzen, Kinder zu selbstbewussten und kritischen Menschen zu erziehen“ (S. 15). Sie sieht in ihrem Großvater „‚Kanonenfutter‘ der Kriegsverantwortlichen, fanatisiert, verleitet, verblendet, auf den Holzweg geführt, zum Täter und somit zugleich zum Opfer gemacht“ (S. 10). Sie kann es sich „nicht vorstellen“, dass „er mit krimineller Energie und Herzenskälte unschuldige Leben ausgelöscht“ hat. Und doch kommt sie auf der Einband-Rückseite zur Einsicht, dass ihr Großvater „sein Leben dieser fruchtbaren Nazi-Ideologie geopfert [hat]. Die wichtigste Botschaft dieses Buches soll die Mahnung sein, seine Seele nicht zu verkaufen – und dass im Krieg Leben auf allen Seiten sinnlos verloren gehen“.

Dazu präsentiert Frontzek die Briefe auf 214 Seiten, nach den Kriegsjahren in Kapitel geordnet. Jedes Kapitel wird dabei eingeleitet durch einen kurzen Abriss der Ereignisse rund um Hans und eine Karte zum Kriegsverlauf. Eingerahmt wird dieser zentrale Teil des Buches durch ein Vorwort des Erfurter Historikers Reiner Prass und eine sechsseitige Einleitung der Herausgeberin sowie einen 70-seitigen Anhang. In letzterem präsentiert Frontzek einen vierseitigen Lebenslauf von Hans S., den Janni für ihren Sohn Hans-Eberhard 2006 verfasste, und eine ebenso lange Chronologie der Ereignisse in Tabellenform. Besonders erhellend für die Lesenden sind die Beiträge des Verlegers Wieland Griebel zu den Kriegsverbrechen der Division „Prinz Eugen“ (S. 241–247) mit Auszügen aus den Divisionsbefehlen für die Operationen von April und Oktober 1942 sowie dessen gelungenes Nachwort. (S. 287–301) Die SS-Akte von Hans S. (S. 248–257) sowie Auszüge aus den Kriegstagebüchern des Stabes und der III. Abteilung des SS-Gebirgs-Artillerie-Regimentes „Prinz Eugen“ (S. 258–281) vervollständigen das Informationspaket.

Auf diese Weise verlieren die Lesenden nicht aus den Augen, dass es sich um Kriegsjahre handelt, dass der Protagonist an Kampfhandlungen teilgenommen hat, in denen Menschen getötet wurden und selbst töteten, in denen von Deutschen und in deutschem Namen unfassbare Verbrechen begangen worden sind. Hans S. ist nicht nur rund fünf Jahre, also fast den gesamten Zweiten Weltkrieg dabei. Er dient auch in Großverbänden der SS, die an massiven Kriegsverbrechen beteiligt gewesen sind. Griebels Exkurs dazu ordnet in diesen Kontext ein und erinnert daran, dass die Waffen-SS-Angehörigen weder vor Frauen und Kindern noch Greisen haltmachten, dass sie im sogenannten Partisanenkrieg ganze Dörfer niederbrannten und regelmäßig kein Pardon kannten.

Das ist umso wesentlicher, als man beim Lesen der Briefe davon nämlich kaum etwas erfährt. Wäre nicht die permanente Trennung des Paares der Normalzustand und daher das potenziell nächste Wiedersehen, der nächste Urlaub ein ständiges Thema, man könnte es glatt ignorieren. Manchmal scheint sogar etwas Eifersucht durch, wenn Hans seiner Janni mitteilt, dass sie nur noch mit ihm „etwas erleben“ darf (S. 23) und es ihm Anfang März 1942 „viel lieber [wäre], wenn Du mit Gerd keine Freundschaft hältst“ (S. 143). Darin offenbart er außerdem ein dezidiert patriarchales Frauenbild, wenn er beispielsweise von Männerfreundschaften und deren Qualität schwärmt, die „Frauen untereinander […] nie […] gründen [können]! Mit einem Manne, ja, aber Frau unter Frau, nie!“ (S. 29), oder sein inzwischen schwangeres „blondes Mädel“ (S. 101) ermahnt, vorsichtig zu sein, „wo Du unser beider Leben in Dir trägst und Deine ganze Frauenkraft darauf konzentrierst auf diesen Punkt, der neues Leben leistet“. (S. 78)

Und fast selbstverständlich freut er sich Ende September 1941 „außerordentlich, dass es gerade ein Junge ist. Er muss stark sein“. (S. 107) Folgerichtig beschwert sich Hans S., sein Sohn würde „ewig […] verzogen und nachher wundere ich mich, dass er kein Soldat werden will“. (S. 158) Schon gar nicht kann es da angehen, dass seine Ehefrau Heimweh bekommt und wieder nach Hause will, als sie bei den Schwiegereltern im vom (Luft-)Krieg noch verschonten rumänischen Wolkendorf unterkommt: Ende August 1943 schrieb ihr Hans: „Aber der Wille einer Frau kann doch nicht allein entscheidend sein. In dieser Zeit des Krieges kann ich und will ich keine Regungen unterstützen, erst recht die meiner Frau nicht. Also, Du bleibst […]. Die Gewohnheit ist ein großes Ding und sie ist mehr als Liebe. Gewöhne Dich an ein etwas herzloses Leben, dann wirst Du später das andere umso mehr schätzen. […] Sonst könnten wir Männer auch einmal wollen – wehe!“ (S. 200). Um nur wenige Tage später noch deutlicher zu werden: „Allen Mut und Kraft nimm zusammen und halte Dich wie eine SS-Frau, nicht wie ein Waschlappen!“ (S. 201).

Doch die Briefe von Hans S. erzählen auch von Wärme seiner Janni gegenüber und seinem Sohn sowieso, aber auch gegenüber der Schwiegermutter und den eigenen Eltern, gegenüber Freunden und Kameraden. Man freut sich und leidet mit ihm, wenn er an sein „liebes Vöglein“ schreibt (S. 52), wenn er stolz ist auf seine Frau, wenn er sie so oft vermisst und sich nach ihr sehnt. Seine Briefe sind davon übervoll.

Sie berichten indes auch von einem dezidierten Antisemitismus, als er beispielsweise Janni vom Kinobesuch des Filmes Jud Süß erzählt: Für ihn ist er „schauspielerisch wertvoll und in die heutige Zeit sehr passend, ein Propagandafilm, wie man ihn heute braucht! Vor allem für die Völker, die heute noch Vertrauen in diese Bestien haben“ (S. 38). Hier bleibt kein Interpretationsspielraum, was wohl auch erklärt, weswegen in den Briefen sonst kaum vom Holocaust die Rede ist. Nach der Besetzung Ungarns durch die Wehrmacht im März 1944 fragte er seine Frau denn auch rhetorisch: „Bedauerst Du nicht die armen Juden, die werden nun auch einmal Beschäftigung bekommen?“ (S. 215).

Vor allem in den ersten Kriegsjahren, als die deutschen Truppen von Sieg zu Sieg eilten, brachte er seine Überheblichkeit anderen Nationalitäten gegenüber klar zum Ausdruck. Die Wortwahl belegt dabei den überzeugten Nationalsozialisten: „Wir waren in Rumänien, in Bulgarien, in Jugoslawien und nun im Lande der einstigen Hellenen, deren Erbe aber schon ganz verblichen ist und nur noch ein rassisch minderwertiges Volk hinterlassen hat“, schrieb er Mitte April 1941 an seine Schwiegermutter: „Dieses zu besiegen ist leicht, doch hoffentlich fassen wir hier den Engländer, den wir suchen.“ (S. 73). Und zeitgleich erklärte er seiner Frau: „Es wird wohl nicht mehr zu lange dauern, dann wären wieder einige Gegner vom Tablett verschwunden. Wohin und was dann an die Reihe kommt, wissen wir kleinen Erdenbürger auch nicht. Uns ist nun schon alles gleich, wir sind für alles zu haben.“ (S. 74).

Antisemitismus, Überheblichkeit, Chauvinismus und Fremdenfeindlichkeit bis zum Rassismus, die gesamte nationalsozialistische Praxis wird hier schriftlich niedergelegt. Anfang Juli 1941 meldete Hans S. zum Beispiel aus der Ukraine: „Es geht hier alles seinen normalen Lauf, auch dieses Land muss seinem Schicksal entgegengehen und sich beugen, denn Deutschland ist stärker und muss leben.“ (S. 92). Der Krieg ist zu diesem Zeitpunkt bereits „Normalität“ geworden und ebenso alltäglich wie der Rassismus. Schon Ende Juni 1941 schrieb Hans S. aus der nordwestlichen Ukraine, er sei nun „in einem Lande, wo kaum zivilisierte Menschen leben“ (S. 90), das „unkultiviert“ und „kulturlos“ ist (S. 94f.). Mitte Juli wollte er deswegen wenigstens „[m]al kurz in E.[rfurt] sein, es wäre eine Abwechslung in dies jetzt so schmutzige Leben.“ (S. 94). Schon zuvor hatte er sich dazu selbst versichert, „wenn man so diese kahlen Länder und die dazu passenden Häuser und Menschen betrachtet, dann muss man immer wieder stolz sein, ein Deutscher zu sein!“ (S. 92f.).

Deutschsein scheint ihm ein Wert an sich gewesen zu sein. Anfang Juli 1941 warnte er seine Frau vor deren Abreise nach Rumänien, wo er immerhin aufgewachsen war: „Sei vorsichtig auf der Reise und denke daran, was ich Dir schon sagte, denn sobald Du die Grenze überschritten hast, sind andere Menschen nicht mehr Deutsche!“ (S. 93) – was für ihn nicht nur gegenüber dem Osten Europas zu gelten schien: Auch aus seiner Zeit in Frankreich hatte er bereits geschrieben, die Franzosen seien ein „verweichlichtes Volk“ (S. 49).

Hans S. inszeniert sich selbst indes als richtigen Kerl. Mitte Januar 1941 erklärte er Janni zur selbst gestellten Frage, „[w]arum […] es gerade in der Gefahr am schönsten [ist]? Weil wir doch immer wieder den Wert des Lebens von neuem kennenlernen.“ (S. 53). Und aus dem deutschen Feldzug auf dem Balkan meldete er Mitte April 1941: „Was wir bis jetzt erlebten, war Krieg, in dem wir wieder die Sieger sind, wie sollte es auch anders sein. Wir brauchen nur diese Völker anzusehen, so ist uns der Sieg schon gewiss!“ (S. 70).

Von seinen ganz persönlichen Erlebnissen schreibt Hans S. dagegen nichts. Nach einer Zahn-OP im Juni 1942 wollte er zwar zeigen, „dass wir preussisches Holz sind“ (S. 162), doch über seine Gefechtshandlungen verlor er nie ein Wort. Er mag die persönliche Gefahr verdrängt haben oder wollte seine Nächsten nicht ängstigen, das wäre nachvollziehbar. Nur ganz selten sind von ihm nachdenkliche Zeilen zu lesen wie Ende September 1941 im Brief an seine Mutter, dass es „[h]offentlich […] auch dieses Mal gut vorüber [geht]“ (S. 107), dass im Dezember „die Kameraden in Russland […] was mitmachen [müssen], was bestimmt schlimmer ist als 3 Junkerschulen“ (S. 122), und dass man Mitte Januar 1942 anlässlich der Mitteilung über einen gefallenen Kameraden „schon langsam […] keine alten Kameraden mehr [hat]“ (S. 132).

Überhaupt scheint ihn die Phase zwischen Spätherbst 1941 und Frühjahr 1942, die er auf Lehrgängen und daher fern der Kämpfe verbracht hat, ins Grübeln gebracht zu haben. Anfang März 1942 schrieb er Janni: „Dieses ewige Hoffen auf irgendeinen fraglichen hellen Blick ins Leben, ja, sie sind immer seltener und trotzdem hoffen wir. Einmal wird es glücken, dann wird gelebt und die Freude muss groß sein.“ (S. 144). Und Mitte April 1942, nach dem Osterurlaub zu Hause und wieder auf Lehrgang in München, war für ihn „[e]in Traum […] zu Ende“, wodurch er nur „sehr schwer in dieses Einerlei des Tages zurück[finde]“ (S. 148).

An seinen grundlegenden Überzeugungen änderte dies offensichtlich kaum etwas, denn auch jetzt empfand er es als „das schönste Erlebnis der ganzen Führerausbildung“, Hitler Mitte Februar 1942 bei einer Rede in Berlin erlebt zu haben: „Der Führer hat zu uns gesprochen, ganz wunderbar […].“ (S. 137). Folgerichtig wünschte er sich anschließend: „Zur Frühjahrsoffensive werden wir hoffentlich dabei sein.“ (S. 141) – und als es so gekommen war, behielt er seinen Enthusiasmus bei: Mitte Februar 1943 war für ihn der Kampf gegen die Partisanen in Bosnien immerhin „nicht so schlimm wie im Osten“ (S. 192), und Ende Juni 1943 stellte er fest, trotz allem sei „dies Leben schön und vor allem notwendig!“ (S. 202). Als er Mitte Juli 1944 in den Einsatz abrückte, schrieb er direkt davor noch: „Es ist ein pfundiges Wetter und wird schön werden.“ (S. 220). Selbst noch nach der Großoffensive der Roten Armee Mitte Januar 1945 empfahl er seiner Frau, „nie die Siegeszuversicht [zu] verlieren. Wir werden siegen!“ (S. 225).

Seine Frau und Familie vermisste er derweil wohl. Man dürfte nicht über die Sehnsucht nachdenken, schrieb er an sie, „sonst ist es schlimm“ (S. 192), doch: „Nur nicht mutlos werden, das darf die Frau eines SS-Mannes nie!“ (S. 194); seine Person „gehört jetzt den Soldaten – dem Volke“ (S. 206). Am Ende starb er wahrscheinlich in diesem Glauben, vermutlich wenige Tage nach der Kapitulation. Wahrscheinlich hatte er sich, wie alle anderen noch lebenden Angehörigen seines Verbandes, noch nach Deutschland durchschlagen wollen, war von jugoslawischen Partisanen gestellt und erschossen worden.

Das vorliegende Buch ist ein weiteres Puzzlestück zur Antwort auf die Fragen, wer die Täter waren, wie sie dazu wurden und damit umgingen. Trotzdem vom Krieg und den Verbrechen so gut wie nie die Rede ist, erfahren wir doch einiges über den Menschen Hans S., den die Lesenden als durchschnittlichen jungen Mann kennenlernen, also als einen der „Ganz normalen Männer“, die Christopher Browning bereits 1993 in dem von ihm erforschten Reserve-Polizeibataillon 101 ausgemacht hatte.[1] Inwieweit sich Hans S. mit dem Krieg oder den eigenen Taten, auch nur den Erlebnissen auseinandersetzte, erfahren die Lesenden darüber hinaus nicht. Ob er es schafft, so „normal“ zu wirken oder es trotz aller Geschehnisse tatsächlich zu sein, wissen wir nicht. Beides ist dennoch eine wichtige Erkenntnis. Denn entweder hatte er dazu keinen Gesprächsbedarf oder er mochte nicht darüber reden.

Wesentlich für die Forschung ist dies allemal. Es zeigt nämlich anhand eines weiteren Beispiels, dass die Täter aus der Mitte der deutschen Gesellschaft kamen, dass es „ganz normale Deutsche“ waren. Insofern verbreitert der vorliegende Band unsere Wissensbasis. Zielführend ist dabei die historisierende Einordnung von Person und Zeit. Hier wird klargestellt, ohne zu moralisieren, und das schafft Raum für eigene Gedanken und Bewertungen. Gerade das Unspektakuläre der Inhalte ist das eigentlich Spektakuläre dieser Geschichte. Niemand musste zwangsläufig selbst ein Monster sein, um an derart Monströsem wie dem deutschen Vernichtungskrieg im Osten Europas oder dem „Partisanenkrieg“ auf dem Balkan teilzuhaben. Wer allerdings der nationalsozialistischen Ideologie folgte, ihre Überzeugungen und Parolen übernahm, wie Hans S., der hat sich zur Teilhabe entschlossen. Wie exzessiv diese letztendlich gewesen ist, geben die Briefe nicht preis, weil sie ausschließlich den (Ehe-)Mann präsentieren. Dies tun sie jedoch auf höchst interessante Weise.

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2021), Jg. 16, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 117–122.

 

[1] Christopher R. Browning: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen. Reinbek 1993.

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