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„Die Literaturwissenschaft ist mein Leben.“ Alexander Ritter (1939–2021) zum Gedenken

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Der Literaturwissenschaftler Alexander Ritter, der dem Leserkreis der Spiegelungen und der Veröffentlichungen des IKGS München durchaus bekannt sein dürfte, ist am 3. Oktober 2021 im Alter von 82 Jahren in seiner Heimatstadt Itzehoe gestorben.

Geboren wurde Alexander Ritter in Guben (pl. Gubin) in der Niederlausitz. Er studierte Germanistik, Philosophie und Geografie und begann seine berufliche Tätigkeit als Gymnasiallehrer. Von 1981 bis 1999 war Ritter in Kiel als Studienleiter für das Fach Deutsch am Landesinstitut Schleswig-Holstein für Praxis und Theorie der Schule tätig. An der Kieler Christian-Albrechts-Universität promovierte er 1969 mit einer Arbeit über Charles Sealsfield zum Dr. phil. 1989 habilitierte er sich an der Universität Hamburg. Bis zu seiner Emeritierung wirkte Alexander Ritter als Studienleiter am Landesinstitut Schleswig-Holstein und als Privatdozent am Institut für Germanistik II – Neuere Deutsche Literatur und Medienkultur der Universität Hamburg.

In seiner literaturwissenschaftlichen Forschungstätigkeit konturieren sich zwei Schwerpunkte: Einerseits widmete sich Alexander Ritter der Charles-Sealsfield-Forschung und machte die Beschäftigung mit dem deutsch-amerikanischen Vormärz-Autor zur Lebensaufgabe, andererseits fokussierte er sich auf die Erforschung deutschsprachiger Minderheitenliteraturen im Ausland. Er gehörte zu den theoretischen Wegbereitern dieser Forschungsrichtung.

Der Sealsfield-Forschung widmete sich Alexander Ritter intensiv und kontinuierlich über Jahrzehnte, seit 1986 gab er die Schriftenreihe der Charles Sealsfield-Gesellschaft und seit 2004 die Sealsfield-Bibliothek heraus. Auch betreute er eine fortlaufende Sealsfield-Bibliografie und sammelte bis zu seinem Lebensende Daten und Materialien im Hinblick auf eine Sealsfield-Biografie, die leider ungeschrieben geblieben ist.

Seit Ende der 1960er-Jahre beschäftigte sich Ritter eingehend auch mit deutschen Minderheitenliteraturen. Er verfasste seit Anfang der 1970er-Jahre mehrere Studien und Bücher zu Themen aus diesem Bereich und machte auf die bis zu dem Zeitpunkt ignorierten deutschsprachigen Literaturen des Auslands aufmerksam.

Den Beginn seiner Forschungen in diesem Themenfeld markierte die Untersuchung der russlanddeutschen Literatur. In der Anthologiereihe Auslandsdeutsche Literatur der Gegenwart aus dem Olms-Verlag Hildesheim, die 28 Bände umfasst und „die Literaturentwicklung für nahezu alle deutschen Sprachgruppen weltweit“[1] dokumentiert, gab Ritter schon 1976 den Band Nachrichten aus Kasachstan. Deutsche Dichtung der Sowjetunion heraus.

Ab Ende der 1970er-Jahre beschäftigte sich Alexander Ritter auch mit rumäniendeutscher Literatur, die er im Rahmen der Minderheitenliteraturen als Ausnahme betrachtete. Diese Besonderheit führte er auf die Tatsache zurück, dass es „keine vergleichbare deutsche Minderheit [gibt], die kulturgeschichtlich auf eine so lange Tradition und ein relativ geschlossenes Siedelgebiet verweisen kann“[2], und verwies damit auf die über 800 Jahre lange Geschichte der Siebenbürger Sachsen auf dem Gebiete Rumäniens. Dazu erwähnte Ritter auch sämtliche Einrichtungen, die eine relativ differenzierte Literaturentwicklung ermöglichten: Schulsystem mit Hochschulabschluss, Theater, Verlage, Zeitungen, Distributionseinrichtungen, eine eigenständige literaturwissenschaftliche Forschung.

Zu Beginn seiner Beschäftigung mit den Minderheitenliteraturen stieß Alexander Ritter in germanistischen Kreisen eher auf Ablehnung als auf Zustimmung. Doch ließ er sich von seinem Thema nicht abbringen und plädierte für die Betrachtung der Minderheitenliteraturen deutscher Sprache als Gegenstand der germanistischen Forschung aus dem In- und Ausland.

1981 gelang es ihm, zum ersten Mal in dem kanonbildenden, von Manfred Durzak herausgegeben Band Deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Ausgangspositionen und aktuelle Entwicklungen einen Überblicksaufsatz, Deutschsprachige Literatur der Gegenwart im Ausland, zu publizieren.

Zwei Jahrzehnte später veröffentlichte der Verlag des Südostdeutschen Kulturwerks München den Band Deutsche Minderheitenliteraturen. Regionalliterarische und interkulturelle Perspektiven der Kritik. Mit einer Bibliographie zur Forschung (1970–2000). Zu literarischen Themen und Existenzfragen deutscher Minderheiten im Ausland organisierte und koordinierte Alexander Ritter mehrere Tagungen in den Jahren 1983–1993.

Die oben dargestellten Hauptschwerpunkte der literaturwissenschaftlichen Forschung Ritters sind durch zahlreiche Publikationen für den Deutschunterricht zu ergänzen: Arbeiten zu erzähltheoretischen Fragen, mehrere Fachartikel für Lehrermaterialien und Schulbücher und die im Reclam Verlag herausgegebenen Erläuterungen und Dokumente und kommentierten Editionen zu Günter Grass’ Katz und Maus (1977), Friedrich Dürrenmatts Die Physiker (1991) und Alfred Anderschs Sansibar oder der letzte Grund (2003), die mehrere Auflagen erlebten.

Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählte Alexander Ritter auch die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts, zu der er eine ganze Reihe gehaltvoller Studien verfasst und mehrere Bücher herausgegeben hat, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Die Lichtenberg-Gesellschaft schreibt über ihr Mitglied Alexander Ritter, er habe „für die deutsche Literatur seit dem 18. Jahrhundert in ihren Wechselbeziehungen zu anderen Literaturen wissenschaftliches Neuland erschlossen und wichtige Impulse für die Forschung geleistet“.[3]

Für seine wissenschaftliche Arbeit erhielt Alexander Ritter mehrere Ehrungen und Preise, zu den bedeutendsten gehören das Bundesverdienstkreuz (1990), das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst (2009) und der „Outstanding Achievement Award“ der Gesellschaft für Deutsch-Amerikanische Studien in Kansas (2011).

Alexander Ritter hinterlässt auf mehreren germanistischen Forschungsfeldern Lücken, die sich nicht bald werden schließen lassen.

 

Maria Sass ist Professorin für Neuere deutsche und rumäniendeutsche Literatur an der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt (rum. Sibiu). Ihre Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind neuere deutsche und rumäniendeutsche Literatur, deutsch-rumänische Literaturkontakte und literarisches Übersetzen.

 

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2022), Jg. 17, IKGS Verlag, München, S. 224–226.

 

[1] Stefan Sienerth: Alexander Ritter: „Skepsis ist die ständige Begleiterin des Literaturwissenschaftlers“. In: Stefan Sienerth (Hg.): „Immer die Angst im Nacken, meine Erinnerung könnte versagen“. Interviews mit deutschen Schriftstellern und Literaturwissenschaftlern aus Südosteuropa. Regensburg 2015, S. 163.

[2] Ebda., S. 172.

[3] Leidenschaftliche Forschung, <https://www.shz.de/6870311>, 15. 1. 2022.

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