Von Georg Aescht
Räumliche wie geistige Nähe waren für die Akteure und Leser rumäniendeutscher Literatur einst – zumal dort – eine prägende und so bequeme Selbstverständlichkeit, dass sie geflissentlich über die Gefahr der Enge und Beschränkung hinwegsahen, die damit einherging. Wer „seine“ Dichter gut zu kennen meint, und das gilt gleichermaßen für diese selbst, legt sich ein Urteil zurecht und sieht sich hinfort bei allem, was von diesen kommt, darin bestätigt. So hat sich diese Literatur zumeist selbst mehr gefallen, als ihr zuträglich gewesen wäre.
Mit nachdenklicher Beharrlichkeit hat einer der „Unseren“ derlei Selbstgefälligkeit verweigert und seine Mühe darin gesetzt, Altes und Neues um und um zu wenden, die „Unseren“ und das „Unsere“ möglichst un-verwandt zu betrachten. Der 1945 im Banater Guttenbrunn (rum. Zăbrani) geborene Gerhardt Csejka war ein begeisterter Freund guter Literatur, der seine Aufgabe allerdings darin sah, sich nicht mit ihr gemein zu machen – nicht weil ihm Gemeinsamkeit widerstrebte, sondern gerade weil es ihm so ernst darum zu tun war. So riet er schon 1978, „wir“ sollten auch den Altvorderen Adolf Meschendörfer so lesen, „als wäre er irgendein beliebiger Schriftsteller, von welchem uns rein zufällig ein Buch in die Hand geriet“.
Schon 1978, just zu der Zeit also, da „wir“ die Literatur als Modus der Selbstfindung zu entdecken glaubten in einer sozialistisch sich verhärtenden Welt, die jedes Wir und jedes Selbst abzuwürgen trachtete. Der Germanist, Kritiker, Essayist und Übersetzer Gerhardt Csejka ließ sich nicht verhärten. Vielmehr hatte er sich schon 1970 mit Redaktionskollegen der Bukarester Zeitschrift Neue Literatur auf die – erfolgreiche – Suche nach Talenten in deutschsprachigen Gymnasien Rumäniens begeben und dabei frischen Wind gebracht, der trotzig bewegte Jugendliche 1972 zur Aktionsgruppe Banat zusammen- und kurze Zeit landesweit in deutschen Schreibstuben wehte. Auch dass er 1975 mit Freunden aus der Gruppe kurzzeitig verhaftet wurde, war ihm zunächst nicht Menetekel, sondern bittere Bestätigung essayistischer Überlegungen, die er 1973 in der Neuen Literatur unter dem nüchternen Titel Bedingtheiten der rumäniendeutschen Literatur angestellt hatte.
Seinem illusionslosen Blick entging nicht, wie prekär diese Bedingtheiten gewesen und immer noch waren, doch gerade das Fragwürdige erfasste, begriff er in des Wortes eigentlicher Bedeutung, gerade das Unwägbare war ihm stets des Abwägens und der geschliffenen Rede wert. Dozieren war seine Sache nie, ebenso wenig hat er sich jemals von vorgefassten Urteilen und eingebildeten Rangfolgen dazu verleiten lassen, irgendjemandem, der sich um dichterischen Ausdruck bemüht, vor anderen einen Vorzug einzuräumen in seinem unbeirrten Beginnen, genussreiches Nachdenken über Literatur zum eigenen Text werden zu lassen.
Die rumäniendeutsche Moderne von Adolf Meschendörfer bis zu Anemone Latzina und Rolf Bossert hat er als Herausgeber gewürdigt. Als Redakteur hat er seine schreibenden Zeitgenossen mit Durchblick, Umsicht und gebotener Traurigkeit betreut, ohne jemals der Verzweiflung stattzugeben. Ureigenes Potenzial des deutschsprachigen Randes hat er dem deutschen Leser erschlossen – so dieser denn Augen hat zu lesen. Ebenso beharrlich hat er rumänischer Literatur mit zahlreichen Übersetzungen zum Licht deutschsprachiger Öffentlichkeit zu verhelfen gesucht, ohne sich daran zu kehren, dass seine akkurate Liebesmüh selten gebührend geschätzt, geschweige denn erwidert wurde.
Fast naturgemäß dünkt, dass dieser Meister der literarisch-kritischen Befragung und Selbstbefragung sich nach seiner fluchtartigen Umsiedlung 1986 mit dem großsprecherischen Betrieb der Bundesrepublik Deutschland erst recht schwergetan hat. Wer ein Arbeitsleben lang darauf aus gewesen ist, sozialistisches Diktat publizistisch zu unterwandern, der verpasst den Sprung in die „moderne“ Kulturtechnik der Selbstinszenierung und Imagepflege, der zögert (zu) lange, sich mit seinem zerlesenen Druckfähnlein in eine von Phrasengewittern gezauste Literaturlandschaft aufzumachen.
Sich selbst ins Licht zu setzen hat Gerhardt Csejka hartnäckig verschmäht, sein athletischer Mut, der Neuen Literatur in den Neunzigern ein grenzüberschreitendes Nachleben zu verschaffen, ist der Einsicht in die Aussichtslosigkeit abgerungen, selbst der nordrhein-westfälische Übersetzerpreis dürfte eine gelinde tröstliche Wirkung eher verfehlt haben. Lange vor seinem Tod am 25. November letzten Jahres hat er sich in die Vergessenheit verabschiedet, der „Architekt und Stratege dessen, was wir […] rumäniendeutsche Literatur genannt haben“, wie ihm Walter Fromm in berechtigter Bewunderung nachruft. Er war ein Vorbild an grüblerischer Selbstbescheidung – und sein liebstes Sorgenkind, das „wir […] rumäniendeutsche Literatur genannt haben“, wird es ihm in aller Stille mit eigenem Ab- und Hinschied danken.
* Das Zitat stammt von Werner Söllner.