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Dr. Hans Gehl (1939–2022)

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Von Hans Fink

Er hat sich selbst ein Denkmal gesetzt durch zahlreiche Bücher und Aufsätze, durch unzählige Zeitungsartikel und Vorträge über Volkskultur – Fachwortschätze – Interferenz in Sprachen und Dialekten Südosteuropas – Stadtsprachen – interethnische Beziehungen – Handwerker-Folklore – Volkslieder – Volkstrachten – Volkstänze – Fastnachtsbrauchtum – Ernährung – die Kirchweih – die Sprache der Banater Mundartschriftsteller – Kontaktlinguistik von deutschen Minderheiten – osteuropäische Sinnsprüche im häuslichen Bereich. Er war fleißig wie eine Biene und eine Ameise zusammengenommen. Eine lange (aber nicht vollständige) Liste seiner Veröffentlichungen findet sich bei Wikipedia. In einem kurzen Nachruf kann man nur Schwerpunkte hervorheben.

Hans Gehl stammte aus der Großgemeinde Glogowatz (rum. Vladimirescu) nahe Arad. Er studierte am Temeswarer Pädagogischen Institut (der späteren Universität) zunächst Germanistik und Rumänistik, dann im Fernunterricht, während seiner Tätigkeit als Fremdsprachenlehrer an Allgemeinschulen und Lyzeen, auch Romanistik. Von 1972 bis zu seiner Aussiedlung 1985 unterrichtete er am Fremdsprachenlehrstuhl der Temeswarer Technischen Universität „Traian Vuia“. Im Dezember 1976 promovierte er bei Dr. Stefan Binder mit einer Arbeit über die oberdeutschen fescht-Mundarten im Banat zum Dr. phil. Er arbeitete mit an dem von seinem Freund Peter Kottler betreuten Wörterbuch der Banater deutschen Mundarten und gab mit Unterstützung von Nikolaus Berwanger, Chefredakteur der Neuen Banater Zeitung, fünf Sammelbände mit Beiträgen zur Volkskunde der Banater Deutschen heraus: Heide und Hecke (1973), Handwerk und Brauchtum (1975), Schwäbischer Jahreslauf (1978), Schwäbische Familie (1981), Schwäbisches Volksgut (1984). Mit diesen Veröffentlichungen, im Temeswarer Facla-Verlag erschienen, machte er sich einen Namen.

In Deutschland fand Gehl einen Arbeitsplatz beim Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen, und zwar als Leiter des Forschungsbereichs „Donauschwäbische Dialektologie und Volkskunde“. In dieser Eigenschaft unternahm er 2000 bis 2003 in Zusammenarbeit mit Fachkollegen aus sechs Ländern Feldforschungen zum Thema „Volkskultur im Oberen Theißbecken“ und zum Thema „Einfluss der deutschen Siedler auf die anderen Ethnien dieser Region“.

Parallel dazu arbeitete er an mehreren Lexika: Wörterbuch der donauschwäbischen Bekleidungsgewerbe (veröffentlicht 1997), Wörterbuch der donauschwäbischen Baugewerbe (2000), Wörterbuch der donauschwäbischen Landwirtschaft (2003), Wörterbuch der donauschwäbischen Lebensformen (2005). Mehr als tausend Mundartsprecher in ganz Südosteuropa und in Deutschland wurden dabei befragt.

Im Jahr 2003 erschien der Band Donauschwäbische Lebensformen an der Mittleren Donau. Interethnisches Zusammenleben und Perspektiven. Er hat insgesamt 21 Bände veröffentlicht. Seine Korrespondenz dürfte doppelt so viele Bände füllen, wenn nicht mehr. Ein von ihm angestrebter Donauschwäbischer Sprachatlas kam aus finanziellen Gründen leider nicht zustande.

Als er sich dem Rentenalter näherte, befielen ihn (im Rückblick lächerliche) Zweifel, was er mit der nun verfügbaren Zeit anfangen sollte. Damals schlug ich ihm vor, gemeinsam Erinnerungen für eine Anthologie über das Leben der Rumäniendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg zu sammeln. Diese Auswahl ist 2014 unter dem Titel Jein, Genossen! im IKGS-Verlag erschienen. Sein zufriedener Kommentar: „Nun haben wir eine Geschichte.“

Hans Gehl war ein vielseitig interessierter, belesener Mensch, wanderfreudig und reiselustig. Er war gesellig, kein Eigenbrötler. Das beweisen seine langjährige Mitgliedschaft im Schubert-Chor (von 1976 bis 2006), die umfangreichen Feldforschungen, die erfolgreiche Leitung internationaler Tagungen, die ehrenamtliche Beratung von Doktoranden und Stipendiaten aus Rumänien, Ungarn, Österreich und Deutschland. Zu seinen besten Freunden zählten Menschen, die ebenfalls fleißig waren wie der aus Oberwischau (rum. Vișeu de Sus) stammende, in Österreich lebende Geistliche und Folklorist Anton-Joseph Ilk und der aus Alexanderhausen (rum. Șandra) stammende, in Kanada lebende Ingenieur Nikolaus Tullius. Ich glaube, dass er im Himmel zur Rechten seines verehrten Mentors Dr. Johann Wolf sitzen darf.

Hans Fink, geboren in Temeswar (rum. Timișoara), ist Journalist und Publizist.

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2023), Jg. 18, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 208–210.