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„hai să-ți fac o expoziție“ [„Lass mich für Dich eine Ausstellung machen“]. Begegnungen mit Ingo Glass

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Von Marie Lie-Steiner

Mit großer Überraschung und Trauer entnahm ich der Siebenbürgischen Zeitung die Nachricht vom Tod von Ingo Glass. Wenngleich, bedingt durch seinen Umzug nach Budapest, der Kontakt zwischen uns abgebrochen war, habe ich die Erinnerungen an die Gespräche mit Ingo wertvoll und lebendig in mir bewahrt.

Nach meinem Abschluss an der Bukarester Kunstakademie musste ich zuallererst ein Atelier finden. Ein älterer Freund meiner Mutter, der Maler Șerfi Șerbănescu, erklärte sich bereit, sein Atelier mit mir, der jüngeren Kollegin, zu teilen, und so zog ich im Frühling 1991 in die Strada Iorga 51. Das Erste, was mir auffiel, als ich den Hof des heruntergekommenen Bojarenhauses betrat, war das noch vorhandene grüne Namensschild, auf dem mit gelber Handschrift INGO GLASS stand. Auch wenn mir der Name durchaus geläufig war, erfuhr ich erst später von meiner Mutter, der Bildhauerin Doina Lie, wer Ingo Glass war und wie sehr seine rumänischen Künstlerkollegen seinen Wegzug aus Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland bedauerten.

Von diesem Zeitpunkt an war ich stolz darauf, nicht nur kundtun zu können, dass ich ein Atelier gefunden hatte, sondern auch die genaue Adresse wie folgt angeben zu können: „deasupra fostului atelier al lui Ingo Glass“ [über dem einstigen Atelier von Ingo Glass].

Vier Jahre später schlug ich die gleiche Richtung wie Ingo gen Westen ein und fand mich schließlich in München wieder.

Es vergingen weitere drei Jahre, als ich 1998 zusammen mit Theodor Christen die Rumänischen Kulturtage in München ins Leben rief und es dadurch zur realen Bekanntschaft mit Ingo Glass kam.

Diese Begegnung ist mir bis heute präsent geblieben, denn zu einem ambitionierten Projekt wie dem genannten gehörten die rumänischen Persönlichkeiten im Ausland, diejenigen, die den Mut bewiesen hatten, Altes hinter sich zu lassen und in der neuen Welt und einer fremden Kultur einen Neubeginn zu wagen, beruflich wie persönlich, wesentlich dazu.

Nach telefonischer Kontaktaufnahme folgte eine Einladung, ich betrat zum ersten Mal das Üblacker-Häusl und durfte mich vorstellen. Der freundliche und energiegeladene Herr war von den Neuigkeiten aus Bukarest und speziell vom erwähnten Detail am Eingang zu seinem einstigen Atelier sehr bewegt.

„Hai, să-ţi fac o expoziţie!“ [„Lass mich für Dich eine Ausstellung machen!“] – dies war Ingos unerwartete und großzügige Reaktion auf die Präsentation meiner Arbeiten bei ihm zu Hause. Leider nahm mich die komplexe Arbeit am Projekt zur Rumänischen Kulturwoche zu sehr in Anspruch, als dass ich darauf hätte zurückkommen können. Aber auch in diesem Zusammenhang blieb mir Ingo ein wichtiger Rat- und Ideengeber.

In der Welt der häufig als chaotisch, desorganisiert, unkommunikativ, egozentrisch und narzisstisch bezeichneten Künstler – ein Klischee vielleicht, aber nicht gänzlich aus der Luft gegriffen – sah und sehe ich Ingo Glass als die Ausnahme. Sein Engagement für Künstlerkollegen, sein Verständnis und Mitgefühl für deren oft problematische Lebensverhältnisse gründete auf seinem Selbstverständnis, „wie wichtig das Bekenntnis zur Gruppe ist“ (Zitat Ingo Glass).

Neben Persönlichkeiten wie Ion Dumitru, der mit seinem Verlag im Dienste der im Exil lebenden rumänischen Schriftsteller stand, Radu Bărbulescu, dessen Observator– Hefte eine bedeutende Plattform rumänischer Exil-Lyrik darstellten, oder Biţi Ghermani, Professor an der Hochschule für Politik München und bedeutender Förderer rumänischer Studenten in München, war Ingo Glass eine unverzichtbare Institution.

Die leitenden Positionen, die er in seinem Berufsleben ausfüllte – als Konservator des Museums für Moderne und Zeitgenössische Rumänische Kunst in Galatz (rum. Galați), als Kulturreferent des Deutschen Kulturhauses Friedrich Schiller in Bukarest, als Kustos des Üblacker-Häusls in München, als Ausstellungsgestalter der Ausstellungen des Kulturreferats der Landeshauptstadt München und der Künstlerwerkstatt Lothringer Straße in München, als erster Vorsitzender der Sektion Bayern des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler, als Vorstandsmitglied der Esslinger Künstlergilde e. V. –, hat er nicht nur dazu genutzt, herausragende Ausstellungsprojekte anzustoßen und als Kurator und Organisator zu realisieren, sondern auch dazu, als Künstlerkollege helfend und unterstützend sichtbar und wirksam zu sein.

Wir alle, lieber Ingo, sagen Dir von Herzen: Danke!

 

Maria Lie-Steiner hat an der Bukarester Akademie der Bildenden Künste Malerei, Restauration und Grafik studiert. Ihre Werke wurden in Rumänien, Deutschland, in der Schweiz und in Italien ausgestellt. Seit 1995 lebt sie in München und engagiert sich in zahlreichen Kulturprojekten. Sie ist Initiatorin und war langjährige Organisatorin der Rumänischen Kulturwoche in München.

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2023), Jg. 18, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 210–211.