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Eine Stadt der Brücken. Novi Sad, Kulturhauptstadt Europas 2022

Sakralbauten in Neusatz/Novi Sad (Jahr unbekannt, wahrscheinlich vor 1906) © Széchényi-Nationalbibliothek Budapest, Poster- und Kleindrucksammlung, Sign. U124

Sakralbauten in Neusatz/Novi Sad (Jahr unbekannt, wahrscheinlich vor 1906)
© Széchényi-Nationalbibliothek Budapest, Poster- und Kleindrucksammlung, Sign. U124

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Von Angela Ilić

Im Jahr 2022 trägt erneut eine südosteuropäische Stadt, Neusatz (sr. Novi Sad, ung. Újvidék, sk. Nový Sad, ruth. Новый Сад), als erste in Serbien überhaupt, den Titel Europäische Kulturhauptstadt. Die 80 Kilometer nördlich von Belgrad an der Donau liegende zweitgrößte Stadt Serbiens verbindet nicht nur die beiden Donauufer miteinander, sondern sie steht auch für eine überbrückende Funktion im übertragenen Sinne. Als so wichtig wird die Brückenfunktion Novi Sads erachtet, dass die Organisatoren das Kulturhauptstadtprogramm unter das Motto Vier Brücken für Kultur gestellt haben: Die Brücke der Liebe, die Brücke der Freiheit, die Brücke der Hoffnung und die Brücke des Regenbogens sollten das Programm des Kulturhauptstadtjahres prägen.

Novi Sad mit seiner multikulturellen Bevölkerung und strategischen Lage blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Die Stadtgründung hängt eng mit der Entstehung der Festung Peterwardein (sr. Petrovaradin, ung. Pétervárad) am gegenüberliegenden Donauufer zusammen. Die Festung wurde am Ende des 17. Jahrhunderts erbaut und danach stetig erweitert. Sie spielte eine entscheidende Rolle beim Schutz der südlichen Grenzgebiete Ungarns, vor allem gegenüber dem Osmanischen Reich.

In der Nähe der wachsenden habsburgischen Festung entwickelten sich im Laufe der Zeit weitere Siedlungen. Der am gegenüberliegenden Donauufer entstandene Brückenkopf wurde „Peterwardeiner Schanze“ oder aufgrund seiner zahlreichen serbischen Bewohner „Ratzenstadt“ genannt. 1748 wurde er, damals mit 4.620 Einwohnern, unter dem Namen „Neoplanta“ zur königlichen Freistadt erhoben.

Von Anfang an war die sprachliche und religiöse beziehungsweise konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung in Neoplanta sehr divers. Zeitgenössische Reiseberichte betonten immer wieder die große Vielfalt und die zahlreichen Gotteshäuser der verschiedenen Konfessionen und Religionsgemeinschaften. Neben den orthodoxen Serben lebten dort zahlreiche deutsche Händler und Handwerker. Viele Siedler (die späteren Donauschwaben) kamen aus unterschiedlichen Teilen des Heiligen Römischen Reiches und von jenseits seiner Grenzen nach Novi Sad und in die Region Batschka (sr. Bačka, ung. Bácska). Mit den Ulmer Schachteln war die Reise auf dem Wasserweg von Ulm bis Novi Sad relativ unkompliziert. Aus den habsburgischen Territorien zogen ungarisch-, slowakisch- und in viel kleinerer Zahl tschechischsprachige Katholiken und später Protestanten sowie Juden zu. Weitere Einwanderungswellen brachten zahlreiche Armenier, Bulgaren und Griechen, vorwiegend Händler, in die Stadt und ihre Umgebung. Auf den naheliegenden Hügeln von Fruška Gora wurden vom 15. bis zum 18. Jahrhundert insgesamt 35 serbisch-orthodoxe Klöster errichtet, von denen heute noch 17 stehen.

Im 19. Jahrhundert wurde an den zahlreichen – und zum Großteil von den verschiedenen Religionsgemeinschaften getragenen – Schulen auf Deutsch, Serbisch, Ungarisch und sogar auf Griechisch unterrichtet. Die 1826 in Pest gegründete Matica srpska,[1] ein Verein zur gezielten Förderung serbischer literarischer und national orientierter Tätigkeiten, zog 1864 nach Novi Sad, wo sie seitdem ihren Hauptsitz hat. Der Umzug der Matica war der Impuls für die Entstehung eines Kreises von Gelehrten und Künstlern, die die serbische Wissenschaft und Literatur maßgeblich prägten. Aufgrund deren Beitrags zur Förderung der Kultur und Bildung wurde Novi Sad häufig als serbisches Athen bezeichnet. Dieser Schwerpunkt ist bis heute erkennbar: In der Stadt lebten und arbeiteten zahlreiche international bekannte Schriftsteller, Dramaturgen, Musiker und weitere Künstler, darunter Jovan Jovanović Zmaj (1833–1904), Branislav Nušić (1864–1938), später Aleksandar Tišma (1924–2003), Danilo Kiš (1935–1989) oder Đorđe Balašević (1953–2021). Nicht nur der Beitrag zur serbischen Kultur und Wissenschaft sollte jedoch hervorgehoben werden: Unter anderem lebten und wirkten der ungarische Schriftsteller Lajos Zilahy (1891–1974) und der slowakische Dichter, Philologe und Wissenschaftler Pavel Jozef Šafárik (1795–1861) zeitweilig in der Stadt.

Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts konnte man auf den Straßen Novi Sads öfters „diesen verrückten Schwiegersohn von Marić“ treffen, der mit seiner ungezähmten Haartracht und seinem ungewöhnlichen Verhalten die Einwohner zum Staunen brachte. Albert Einstein (1879–1955) kam zu mehreren längeren Besuchen bei der Familie seiner ersten Frau, Mileva Marić (1875–1948), ins Nachbardorf Kać. Die serbische Physikerin war Einsteins Kommilitonin am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich gewesen.

Zu den wichtigsten historischen Ereignissen in und um Novi Sad gehört zweifellos der Friedensvertrag von Karlowitz (sr. Sremski Karlovci, ung. Karlóca), der 1699 zwischen dem Osmanischen Reich und dem Heiligen Römischen Reich mit seinen Verbündeten unterzeichnet wurde und den Großen Türkenkrieg beendete. In der Schlacht von Peterwardein im Jahr 1716 feierte Prinz Eugen von Savoyen (1663–1736) einen bedeutenden Sieg über die osmanischen Truppen. Während des ungarischen Revolutionskrieges von 1848/1849 befand sich die Stadt in den Händen der Aufständischen und wurde stark beschädigt. Novi Sad blieb bis zum Ende des Ersten Weltkriegs bei Ungarn, danach wurde es ins Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, das spätere Königreich Jugoslawien, eingegliedert. Im Zweiten Weltkrieg, zwischen 1941 und 1945, stand es unter ungarischer Besatzung. Hier am Donauufer fand eines der schwersten Verbrechen des Krieges statt, das sich 2022 zum 80. Mal jährte: die Massenerschießungen im Januar 1942, bei denen mehr als 1.200 vor allem jüdische und serbische, vereinzelt auch ungarische und deutsche Zivilisten getötet und ihre Leichen in die Donau geworfen wurden.

Nicht nur die jüdische Bevölkerung wurde dezimiert; 1944 flüchteten die meisten Donauschwaben aus der Batschka. Diejenigen, die blieben, Alt und Jung, wurden in Arbeitslager geschickt, wo viele von ihnen starben. Dessen ungeachtet sind zahlreiche Spuren der Erinnerung an die ehemaligen deutschen und deutschsprachigen Einwohner der Stadt erhalten. Die historischen Straßennamen reflektieren die Zäsuren der vergangenen Jahrhunderte: häufig anfänglich auf Deutsch, dann auf Ungarisch und zuletzt auf Serbisch. Auch das kyrillische und das lateinische Alphabet koexistieren friedlich miteinander.

Drei Brücken verbinden die Stadt heute mit Petrovaradin. Ihre Vorgänger wurden mehrmals zerstört: in den Jahren 1848–1849, im Zweiten Weltkrieg, dann durch die NATO-Luftangriffe 1999. Die Brücke der Freiheit (sr. Most slobode) fiel diesen im April 1999 zum Opfer. Inzwischen wiedererbaut, steht sie symbolisch für die Resilienz der Stadt und ihrer Einwohner.

Heute ist Novi Sad Hauptstadt der Autonomen Provinz Vojvodina, eine pulsierende Universitätsstadt mit ungefähr 350.000 Einwohnern (einschließlich der Vororte, darunter Petrovaradin). Obwohl sich die Zusammensetzung der Stadtbevölkerung verändert hat, bleibt die ethnische und sprachliche Vielfalt ein Markenzeichen von Novi Sad: 2002 bildeten Serben 75,50 Prozent der Einwohner, Ungarn 5,24 Prozent, Jugoslawen[2] 3,17 Prozent, Slowaken 2,41 Prozent, Kroaten 2,09 Prozent, Montenegriner 1,68 Prozent. Weitere 16 nationale Minderheiten sind in der Stadt vertreten, darunter Ruthenen/Rusinen, Roma, Mazedonier, Rumänen, Slowenen und Deutsche.

In den Ausgaben der Jahrgänge 2022 und 2023 werden wir in den Spiegelungen – in der Printausgabe und online – ausgewählte Beiträge veröffentlichen, die nicht nur verschiedene Aspekte aus der Geschichte dieser multikulturellen Stadt, sondern auch ihre Verbindungen zu den anderen vorherigen beziehungsweise zukünftigen Europäischen Kulturhauptstädten in der Region, Rijeka (2020/2021) und Temeswar (2023), hervorheben. Bereits der erste Beitrag in diesem Heft stellt eine wenig bekannte Verbindung zwischen den drei Städten vor.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!

 

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2022), Jg. 17, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 200–203.

[1] Nach dem Vorbild der Matica srpska entstanden im 19. Jahrhundert zahlreiche ähnliche Vereine in der slawischsprachigen Welt, unter anderem Matice česká in Prag/Praha (1831), Matica ilirska in Agram/Zagreb (1842), Matica slovenská in Martin (1863) und Slovenska matica in Laibach/Ljubljana (1864).

[2] Eine noch in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien eingeführte Kategorie bei den Volkszählungen, die besonders in den ethnisch meistgemischten Teilen des Landes, in Bosnien-Herzegowina und in der Vojvodina, sowie unter Bediensteten der Jugoslawischen Volksarmee großen Anklang fand. Vor allem ein hoher Anteil der aus ethnisch bzw. religiös gemischten Ehen stammenden Menschen bezeichneten sich häufig als Jugoslawen – zum Teil auch nach dem Zerfall Jugoslawiens.

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