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Andrei Corbea-Hoişie, Mădălina Diaconu: Geisteswissenschaften im Dialog | Rezension

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Andrei Corbea-Hoişie, Mădălina Diaconu (Hgg.): Geisteswissenschaften im Dialog. Deutsch-Rumänisch/Rumänisch-Deutsch. (Jassyer Beiträge zur Germanistik XIX.) Iași: Editura Universităţii »Alexandru Ioan Cuza« und Konstanz: Hartung-Gorre Verlag 2016. 282 S.

Von Othmar Kolar

Die Jassyer Beiträge zur Germanistik erscheinen seit 1983 in Jassy (rum. Iași), seit 1990 zusätzlich auch in Konstanz, im Auftrag des Germanistik-Lehrstuhls der Alexandru Ioan Cuza-Universität. Es handelt sich hierbei um eine sehr vielfältige und interessante Reihe, die sich mit literarischen, historischen und philosophischen Themen beschäftigt. Die beiden Herausgeber dieses Bandes bringen langjährige wissenschaftliche Beschäftigungen mit diesen Themen mit und sind sowohl in der rumänischen wie auch der deutschsprachigen Kultur zu Hause, was sie dazu prädestiniert, solch einen Sammelband zu editieren.

Ein Kriterium für die Beurteilung des Wertes eines wissenschaftlichen Werks ist, ob die eigene Zielsetzung auch erreicht wurde. In unserem Fall schreiben die Herausgeber: »Wir haben uns vorgenommen, das komplexe Phänomen des geisteswissenschaftlichen Kulturtransfers vom deutschen in den rumänischen Sprachraum – eine Übertragung von kulturellen Werten, die in viel kleinerem Maßstab und mit geringeren Folgen auch umgekehrt, vom rumänischen Kulturraum in Richtung Deutschlands und Österreichs, zu verzeichnen ist – von drei verschiedenen Standpunkten aus zu behandeln: 1. aus kulturgeschichtlicher Perspektive (Übersetzungskulturen), 2. von der Translationswissenschaft ausgehend (Übersetzen), 3. aufgrund der individuellen Erfahrung von ÜbersetzerInnen (Übersetzer)« (S. 10).

Wirft man einen Blick auf das Inhaltsverzeichnis, sieht man, dass die Herausgeber diesem Anspruch durchaus gerecht werden, auch wenn das Thema naturgemäß nur anhand von einigen konkreten Fallbeispielen, nicht aber »überblicksartig « abgehandelt wird. Insgesamt gibt es 20 allesamt lesenswerte Beiträge in drei Sprachen (Deutsch, Englisch und Französisch). Alle Aufsätze zu besprechen, würde den Rahmen einer Rezension sprengen, sodass eine subjektive Auswahl getroffen wurde. Mădălina Diaconu und Marin Diaconu beschäftigen sich mit der Kant-Rezeption in der rumänischen Kultur. Die Autoren unterscheiden hierbei fünf verschiedene Phasen ab 1818, wobei erst ab 1990 über eine ideologiefreie Rezeption gesprochen werden kann. Bedeutendster Kantianer war Titu Maiorescu (1840–1917), einer der renommiertesten Historiker und Politiker (sowie Gründungsmitglied der Junimea[1]) vor dem Ersten Weltkrieg, berühmt für seine Kritik an der »kritiklosen« Übernahme westlicher Institutionen (»forme fără fond«). Hauptvertreter des Kantianismus in der nächsten Generation war der Philosoph, Psychologe sowie Soziologe Constantin Rădulescu-Motru (1868–1956), der die gängige These vertrat, dass Kant eine Synthese zwischen Empirismus und Rationalismus geschaffen habe. In der Zwischenkriegszeit standen die wichtigsten Vertreter der Philosophie (Nae Ionescu, 1890–1940, sowie Lucian Blaga, 1895–1961) Kant kritisch gegenüber. Für ersteren als Religionsphilosoph stand die Mystik im Vordergrund, und Kant verkörperte die Vergangenheit, für letzteren ignorierte Kant die Autonomie der Metaphysiker und maß diese am Ideal der Wissenschaftlichkeit.

Ein anderer sehr origineller Beitrag ist der von Alex Cistelecan, der sich mit der Veröffentlichungspraxis der rumänischen Verlage nach 1989 in Bezug auf die Philosophie beschäftigt. Er kritisiert, dass man in den rumänischen Buchhandlungen fast ausschließlich Reprints der rumänischen Klassiker wie Emil Cioran (1911–1995), Constantin Noica (1909– 1987), Mircea Eliade (1907–1986) sowie Werke von deren »institutionalisierten Nachfolgern« Gabriel Liiceanu, Andrei Pleșu oder Horia-Roman Patapievici findet, aber so gut wie nichts zur Frankfurter Schule oder der Kritischen Theorie. Cistelecan ist der Meinung, dass der Mainstream der rumänischen Philosophie nach 1989 nicht nur Kommunismus sowie Marxismus ablehnt, sondern auch deren ideologische Grundlagen, nämlich die Aufklärung sowie den Universalismus der Gleichheit – womit man nur einen Schritt vom faschistischen Gedankengut der »natürlichen Überlegenheit« sowie des »spirituellen Elitismus« entfernt sei.

Magda Jeanrenaud vergleicht die Freud- Übersetzungen im französischen mit denen im rumänischen Sprachraum. Die Übertragungen ins Französische sind qualitativ viel besser – in Folge der viel wichtigeren Rolle, die die Freud-Rezeption in Frankreich spielt. In Rumänien standen führende Intellektuelle wie Nae Ionescu oder Mircea Eliade Freud und seinem Werk kritisch gegenüber, was dazu führte, dass Freud in Rumänien kaum rezipiert wurde. Bemerkenswert ist das Detail, dass Freud selbst aus dem Englischen übersetzte, wobei für ihn »übersetzen« in erster Linie »interpretieren « bedeutete. Seine Übertragungen waren allesamt lebendig und dynamisch.

Elisabeth Berger setzt sich mit dem Sonderfall der Übersetzung der Texte von Tudor Vianu (1898–1964) ins Deutsche auseinander. In dieser Hinsicht gibt es eine besonders gelungene Übersetzung durch Hans-Dieter Roth, die allerdings eine Rückübersetzung sein dürfte, weil viel dafür spricht, dass Vianu seine Texte ursprünglich auf Deutsch geschrieben haben könnte.

Ausführlich werden in diesem Sammelband konkrete Beispiele für Probleme beim Übersetzen aufgezeigt. Vorangestellt ist diesem thematischen Block ein von Mădălina Diaconu geführtes Interview mit Mircea Flonta. Dieser stellt treffend fest, dass keine andere Situation den Leser zwingt, einen Text so nachdrücklich und genau zu lesen wie die Übersetzung (S. 170). Gabriel Cercel merkt an, dass »das Daseinsideal des Translators seine paradoxe Selbstauslöschung« ist (S. 210) – mit anderen Worten, dass der Leser nicht merkt, dass es sich um eine Übersetzung handelt. Dies gilt allerdings nicht für die »Übersetzungen für den Dienstgebrauch« während der NS-Zeit, die Larisa Schippel und Julia Richter untersuchen. Für die NS-Dienststelle »Übersetzungsdienst Wien« wurden 250 Titel aus ganz Südosteuropa übersetzt, vor allem aus Ungarn (161), aber auch Rumänien (38). So wurde beispielsweise Constantin C. Giurescus Geschichte Rumäniens, fast 800 Seiten lang, möglichst wortwörtlich ins Deutsche übertragen. Der Zieltext wurde dabei regelrecht vernachlässigt: »Der Text muss nicht selbst funktionieren, er soll nicht die Illusion des Originals erschaffen, ist nicht Übersetzerwerk, nicht Fortleben, Wandlung und Erneuerung. Nein, er soll das Original durchleuchten, den Autor entlarven, ihn auf Nutzen oder Gefahr hin prüfen. Er ist Denunziant« (S. 254).

Alles in allem kann man sagen, dass es den Herausgebern durchaus gelungen ist, einen bedeutenden Beitrag zur Untersuchung des komplexen Phänomens des geisteswissenschaftlichen Kulturtransfers vom deutschen in den rumänischen Sprachraum zu leisten. Man kann die Lektüre dieses sehr vielfältigen Sammelbands nur empfehlen.

[1] Die literarische Gesellschaft Junimea wurde im Jahr 1863 in Jassy gegründet. Zu ihren Gründern zählten bedeutende rumänische Intellektuelle und Politiker wie Titu Maiorescu, Petru Carp, Theodor Rosetti, Vasile Pogor, Gheorghe Racoviță sowie Iacob Negruzzi. Ihre Zeitschrift Convorbiri literare [Literarische Gespräche] wurde eine der wichtigsten, wenn nicht sogar die wichtigste Literaturzeitschrift des Landes, in der auch Mihai Eminescu den Großteil seiner Gedichte veröffentlichte.

 

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2018), Jg. 13 (67), Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 107–109.

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