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Robert Offner, Thomas Șindilariu: Schwarzer Tod und Pestabwehr im frühneuzeitlichen Hermannstadt | Rezension

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Robert Offner, Thomas Șindilariu (Hgg.): Schwarzer Tod und Pestabwehr im frühneuzeitlichen Hermannstadt (Quellen zur Geschichte der Stadt Hermannstadt, Bd. 6). Hermannstadt, Bonn: Schiller Verlag 2020. 231 S., 13 S/W-Abbildungen, Faksimile.

Zwei Jahre globale Covid-19-Pandemie mit all ihren individuellen und kollektiven Begleiterscheinungen und Auswirkungen haben der Weltöffentlichkeit auf drastische Weise klar gemacht, dass das Thema „Seuchen“ auch im 21. Jahrhundert ungebrochene Aktualität besitzt. Nach den Worten des Historikers Malte Thießen handelt es sich bei Seuchen um die „sozialsten aller Krankheiten“, die ganze Gesellschaften treffen, kollektive Ängste schüren und soziale Spannungen verschärfen. Das galt auch für das ausgehende Mittelalter und die Frühe Neuzeit, als diverse Pestwellen die Menschen auf dem europäischen Kontinent heimsuchten. Die vorliegende Zusammenstellung historischer Studien und zeitgenössischer Quellen vermittelt einen Einblick in den Umgang mit einer häufig wiederkehrenden Seuche – der Pest – am Beispiel einer der wichtigsten Handelsstädte Südosteuropas. Robert Offner (Regensburg) und Thomas Șindilariu (Kronstadt, rum. Brașov, ung. Brassó) haben diesen Band herausgegeben.

In einem knappen Essay führt der Kölner Medizinhistoriker Klaus Bergdolt in die Grundlinien der Pestgeschichte in Europa im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit ein; dabei präsentiert er auch unterschiedliche zeitgenössische Theorien, mit deren Hilfe die Seuche und ihr Aufkommen erklärt wurden. Bergdolts Budapester Fachkollege László András Magyar leistet einen detail- und faktenreichen Überblick über die Geschichte der vom 14. bis zum frühen 19. Jahrhundert in einem durchschnittlichen Abstand von etwa zehn Jahren in Siebenbürgen auftretenden Pestepidemien, ihre Auswirkungen, die zum Schutz der Bevölkerung ergriffenen Maßnahmen, die Vielfalt der siebenbürgischen Pestliteratur (Schriften, Ratgeber und Traktate) sowie die Anstrengungen der Gesundheitsversorgung in diesem Teil des damaligen Königreichs Ungarn bis hin zur Schaffung eines Cordon sanitaire im 18. Jahrhundert zur Eindämmung der Pest.

Der Regensburger Transfusionsmediziner Robert Offner, selbst aus Siebenbürgen gebürtig, stellt in seinem Aufsatz Stadtärzte in Hermannstadt (rum. Sibiu, ung. Nagyszeben) im 16. Jahrhundert vor, insbesondere die bisher nur wenig erforschten Lebensläufe von Johann Salzmann, Sebastian Pauschner und Johann Stubing. Die Biogramme illustrieren auf eindrucksvolle Weise die peregrinatio academica der Ärzte, die häufig an zentralen medizinischen Bildungsstätten Europas ausgebildet worden waren, ehe sie ihr Amt in Hermannstadt antraten. Auch der Stadtmedicus Johann Salzmann hatte in Wien studiert und war mit Herrschern und Gelehrten seiner Zeit bekannt. In Wien veröffentlichte er 1510 eine lateinische Pestschrift, deren deutsche Version unter dem Titel Ein nutzliche ordnung und regiment wider die Pestilentz 1521 ebenfalls in Wien gedruckt wurde. Sebastian Pauschner führte der Karriereweg von Leutschau (sk. Levoča, ung. Lőcse) über Krakau (pl. Kraków) und Oberitalien nach Siebenbürgen. Seine 1530 veröffentlichte Schrift Eine kleine Unterrichtung: Wie Mann sich halten Soll, In der Zeidt, der ungünstigen Pestilentz wurde bereits 1910 in einem Beitrag im Archiv für Geschichte der Medizin in Leipzig erneut abgedruckt. Auch Johann Stubing, gebürtig aus dem mährischen Iglau (tsch. Jihlava), gelangte nach Umwegen nach Hermannstadt. Er brachte 1561 in Wien die Abhandlung De Pestilentia libri tres heraus.

Die beiden Schriften Salzmanns, die Veröffentlichung Pauschners und das Vorwort zu Stubings Traktat sind im vorliegenden Band als Faksimile reproduziert. Damit werden sowohl Interessenten an der siebenbürgischen Regionalhistorie als auch an der allgemeinen Medizin- und Kulturgeschichte wertvolle Quellen an die Hand gegeben. Sie reflektieren den Wissensstand der Medizin des 16. Jahrhunderts, können aber auch als normative Dokumente für die Hermannstädter Geschichte gesehen werden. Denn wie die Herausgeber in ihrer Einführung herausstellen, konnte beispielsweise dank der umsichtigen Politik des Stadtrats im Jahre 1510 ein Übergreifen der im Königreich Ungarn grassierenden Pest auf Hermannstadt verhindert werden; die Expertise des Stadtmedicus Johannes Salzmann wird dabei besonders herausgestellt, der Ausgangs- und Kontaktsperren, die Aufhebung des Handels und des Schulbetriebs, ein Verbot von Märkten, Festen, Hochzeiten und des Besuchs kleiner Kirchen, aber auch das Räuchern und das Entzünden großer öffentlicher Feuer empfohlen hatte. In seiner Schrift von 1510 zeigt Salzmann auf, dass bei entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen eine Pestepidemie nicht als sicheres Todesurteil, sondern als eine abwendbare Erscheinung betrachtet werden könne. Damit erweist er sich als Vertreter eines neuzeitlichen Weltbildes, das neben dem Urteil Gottes der menschlichen Vernunft eine erhebliche Bestimmung zuschrieb.

Auch für Sprachwissenschaftler dürften die reproduzierten Quellen eine Fundgrube sein, enthalten sie doch manche Regionalismen und vor allem das medizinische Fachvokabular ihrer Entstehungszeit, mit dem sich akademisch ausgebildete Ärzte über die Pest äußerten.

Tobias Weger

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2022), Jg. 17, IKGS Verlag, München, S. 123–125.

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