Roxana Nubert, Ileana Pintilie, Franz Metz: Beiträge zur modernen Kultur der Deutschen im Banat. Eine interdisziplinäre Untersuchung. Wien: Praesens Verlag 2021. 629 S.
Von Halrun Reinholz
Eine „moderne Kulturgeschichte der Deutschen im Banat“ zu beschreiben, hat sich dieses imposant umfangreiche Werk zum Ziel gesetzt. Es ist eine Ergänzung und Fortsetzung des bereits 2006 im selben Verlag erschienenen Buches Mitteleuropäische Paradigmen in Südosteuropa – Ein Beitrag zur Kultur der Deutschen im Banat. Eine thematisch wichtige Ergänzung besteht dabei im Bereich der Musikgeschichte, die Franz Metz als hinzugekommener Autor beisteuert. Ileana Pintilie, Kunst- und Kulturwissenschaftlerin an der Temeswarer Universität, befasst sich in ihrem Beitrag mit der Stadtgeschichte Temeswars (rum. Timişoara) aus kulturhistorischer Sicht, während die Literaturwissenschaftlerin Roxana Nubert Betrachtungen zur Banater deutschen Literatur beiträgt. Das Zusammenspiel dieser drei Teilaspekte zielt darauf ab, die Banater Regionalkultur in den mitteleuropäischen Kontext zu setzen, zu belegen, dass sie die Grenzen einer Regionalkultur in vielen Bereichen überschreitet. Dieses Land sei, so die Autoren in ihrer Vorbemerkung, durch seinen Sonderstatus nach der Eroberung durch die Habsburger „in der Tradition österreichischer Länder zu verstehen“. (S. 9) Die Analysen der kulturellen Teilbereiche sind demnach darauf ausgerichtet, in Einzelaspekten und an Beispielen darzulegen, dass die „kulturellen Werte“ der Deutschen im Banat „den Rahmen einer Regionalkultur gesprengt haben und in den mitteleuropäischen Kontext integriert werden können“. (S. 10)
Ileana Pintilie geht auf gut über 200 Seiten auf die Stadtentwicklung und Architekturgeschichte Temeswars ein, das hier allerdinge beispielhaft auch für andere Städte des Banats steht. Das von Wien direkt verwaltete Kronland wurde nach der Eroberung als „Provinzmetropole“ (S. 45) von österreichischen Beamten und Verwaltern in der Traditionslinie Wien – Budapest, zum Teil Prag (tsch. Praha), Krakau (pl. Kraków) organisiert und gestaltet. Als Teil der ungarischen Reichshälfte entwickelte sich Temeswar dann um 1900 zu einer dynamischen, kosmopolitischen Stadt im liberalen Zeitgeist. Monumentaler Eklektizismus bildete neben Jugendstil sowie zeitgemäßen Wohn- und Industriebauten die Infrastruktur der Stadt. Die Autorin geht sehr ausführlich auf einzelne Architekten und Bauwerke, auf Schul-, Militär- und Verwaltungsgebäude, Brücken, Parkanlagen und Denkmäler ein, lässt auch die Wohngebäude der Stadtteile nicht außer Acht. Dadurch liefert sie ein umfangreiches Kompendium der Temeswarer Baugeschichte, das durch einen Bildteil und eine Literaturliste ergänzt wird. Ein eigenes Kapitel ist den deutschen Künstlern aus dem Banat gewidmet, die durch ihre Weltgewandtheit und Multikulturalität das Banat mit Mitteleuropa verknüpfen. Leider ist das Lektorat dieses (aus dem Rumänischen übersetzten) Teils etwas mangelhaft: Unbeholfene Formulierungen („Architektur und Dekoration“, Kapitelüberschrift, S. 59) oder durch Unachtsamkeit offensichtlich falsche Zahlenangaben fallen immer wieder ins Auge, was angesichts des gehaltvollen Inhalts ärgerlich ist.
Im zweiten Teil bietet der in München lebende Musikwissenschaftler und profunde Kenner des Banater Musiklebens Franz Metz „Moderne Ansätze zur Banater Musikgeschichte“. Im Wesentlichen zeigt er dabei auf, dass seit der Eroberung durch die Habsburger musikalisch gesehen ein stetes „Geben und Nehmen“ (S. 241) zwischen Wien und Temeswar stattgefunden habe. Wien als Zentrum der Musik habe nach Mitteleuropa ausgestrahlt, sei aber gleichzeitig ein Auffangbecken verschiedenster Einflüsse aus der ganzen Monarchie gewesen, deren Musiker unterschiedlichster Herkunft sich von Stadt zu Stadt – und so auch nach Temeswar – bewegt hätten. Förderer und Vorbild der Banater Musikkultur war zunächst der kaiserliche Hof, doch auch über Orgelbauer, Militärmusik und Musiktheater fand musikalischer Austausch innerhalb der Monarchie statt. Weniger bekannt ist die Rezeption späterer Musikströmungen wie der Wiener Schule um Arnold Schönberg im Banat, auch unter rumänischen Musikern. Diesem bislang wegen Verdrängung durch nationalistische Strömungen kaum thematisierten Aspekt des musikalischen Kontakts widmet Metz ein eigenes Kapitel. Auch dieser Teil des Bandes endet mit einer hilfreichen Bibliografie.
Fast 300 Seiten umfasst das dem „deutschsprachigen Schrifttum im Banat“ gewidmete Kapitel von Roxana Nubert, derzeit Leiterin des Germanistiklehrstuhls an der Temeswarer Universität. Sie geht ausführlich auf die Besonderheiten einer Regionalliteratur im multiethnischen Umfeld ein, die sich zunächst ebenfalls durch den Zuzug von Kulturträgern aus Österreich beziehungsweise der Monarchie entwickeln konnte. In diesem Zusammenhang widmet sie der Herausbildung einer deutschsprachigen Presselandschaft und Theaterszene ein besonderes Augenmerk, die sie als Voraussetzung für die Entstehung einer Literaturlandschaft als entscheidend ansieht. Erst im 19. Jahrhundert sieht sie, unter Berufung auf Horst Fassel, die Herausbildung eines „ethnolokalen“ Selbstbewusstseins (S. 337) im Banat, das im Spannungsfeld zu den sprachlichen Assimilationsbestrebungen der ungarischen Regierung steht und gerade deshalb auch erste Beschäftigungen mit der eigenen Banater Identität beinhaltet, die durch Adam Müller-Guttenbrunn ihre Vollendung finden. Ab 1918 findet das Banat durch den Wegfall des Assimilationsdrucks den verspäteten Anschluss an die literarische Moderne, auch durch Gründung von Literaturzeitschriften und Feuilletons. Erst durch die „Stunde Null“ (S. 407) der Nachkriegszeit und mit der Aktionsgruppe Banat sieht Nubert die Banater deutsche Literatur zum „integralen Bestandteil des deutschen Schrifttums“ (S. 427) werden. Diese Schriftsteller und ihr Umfeld sehen sich in ihrem Selbstverständnis als Teil der deutschen Kulturnation, als von Brecht und der Gruppe 47 beeinflusste Marxisten, die sich mit ihrer Banater Identität kritisch auseinandersetzen. Ausführlich geht Nubert auf drei der Autoren und das Spezifische ihrer Werke ein – Richard Wagner, Herta Müller und Johann Lippet. Die Verleihung des Literatur-Nobelpreises an Herta Müller ist gleichsam die Bestätigung, dass die einstige Regionalliteratur den Anschluss an Mitteleuropa gefunden hat – was, das sei angemerkt, nicht zuletzt auch daran liegt, dass die Autoren das Herkunftsgebiet verlassen haben und im gesamtdeutschen Kontext schreiben. Neben Zitaten und Bildmaterial liefert Roxana Nubert zu den jeweiligen Unterkapiteln eigene umfangreiche Literaturlisten.
Eine Zusammenfassung bietet am Schluss des Buches noch einmal die Klammer zu den drei Teilbereichen, die, sich ergänzend, die Parallelen der kulturellen Entwicklung im Banat im Lauf seiner dreihundertjährigen Geschichte aufzeigen. Dass die Geschichte politisch wechselhaft verlief und auch die Teilung des Banats eine kontinuierliche Entwicklung unterbrach, wird nicht explizit thematisiert, ist jedoch als Blaupause erkennbar. Im Fokus stehen die Fäden, die von Mitteleuropa ins Banat und in die Gegenrichtung führen, und vor allem der Einfluss Österreichs, der bis heute andauert. Roxana Nubert zitiert die Aussage des Schriftstellers Richard Wagner: „In meinem Selbstverständnis war ich immer ein deutscher Schriftsteller, aber ein deutscher Schriftsteller aus diesem ostmitteleuropäischen Zusammenhang, aus dieser habsburgischen Region, dem Banat“. (S. 421) Was Wagner hier für Schriftsteller formuliert, gilt für alle Aspekte der Banater Kulturgeschichte, die in unterschiedlichem Ausmaß das Ergebnis der Auseinandersetzung zwischen Rand und Mitte, zwischen lokalen Eigenheiten und den Entwicklungslinien in Mitteleuropa abbildet. „Die deutsche Herkunft ermöglicht mir den Blick von Ost nach West als Sehnsucht nach der Mitte“, (S. 629) wird Richard Wagner zitiert. Und weiter: „Ist Schreiben am Rand ohne die Nachahmung der Mitte überhaupt möglich?“. (S. 629) Der vorliegende umfangreiche Band zur Banater Kulturgeschichte zeigt, dass die Orientierung an der Mitte nicht nur für das Schreiben gilt, dass Kulturaustausch von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil der Herausbildung einer regionalen Identität im multiethnischen Umfeld des Banats war. Und vieles deutet darauf hin, dass diese Einflüsse auch in EU-Zeiten noch relevant sind. Allein schon unter diesem Aspekt ist der vorliegende Band ein wichtiges, informatives und fundiertes kulturgeschichtliches Werk.
Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2024), Jg. 19, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 132-135.