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Tagungsbericht: Zwischen Bollwerk und Brücke? Der habsburgische Südosten Europas. Kultur-Raum-Konzepte seit dem 18. Jahrhundert

Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südosteuropa e. V. (KGKDS, Tübingen), Leopold-Franzens-Universität Innsbruck (Doktoratskolleg Austrian Studies), Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität  München (IKGS) und Institutul de Cercetări Socio-Umane Sibiu, Academia Română in Zusammenarbeit mit: Universitatea Babeș-Bolyai Cluj-Napoca/Klausenburg/Kolozsvár, Universitatea Lucian-Blaga-Sibiu / Hermannstadt / Nagyszeben, Demokratisches Forum der Deutschen in Hermannstadt (Kurt Scharr, Rudolf Gräf, Florian Kührer-Wielach) 

Ausrichter: Kurt Scharr, Rudolf Gräf, Florian Kührer-Wielach 

Ort: Sibiu/Hermannstadt 

Zeitraum: 29.09. bis 1.10. 2022 

Autor:innen: Isabella Brandstätter (Innsbruck), Theresa Homm (Kiel), Marco Freek (Innsbruck), Tobias Jakober (Innsbruck), Leonie Hasenauer (Innsbruck), Roland Köchl (Innsbruck) und Simon Mallas (Mainz) 

Die Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südosteuropa (KGKDS) mit Sitz in Tübingen hielt vom 29. September bis zum 1. Oktober 2022 ihre international besetzte Jahrestagung in Sibiu (Hermannstadt), Rumänien, ab. Veranstalter waren neben der KGKDS das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS) sowie das Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, in Kooperation mit der Rumänischen Akademie der Wissenschaften (Forschungsinstitut für Geisteswissenschaften Hermannstadt), in deren Räumlichkeiten die Tagung stattfand. Im Zentrum der Tagung stand die Diskussion von Raumkonzeptionen und -theorien mit Fokus auf Mittel- und Südosteuropa unter Berücksichtigung einer breiten Perspektive auf die Longue durée seit dem 18. Jahrhundert sowie die Miteinbeziehung der zeitgenössischen, jeweils größeren Öffentlichkeit des politischen und gesellschaftlichen Feldes über die engere Geschichtsschreibung hinaus. Eröffnet wurde die Tagung mit den Grußworten des Rektors der Lucian-Blaga Universität Sibiu SORIN RADU, des Präsidenten der rumänischen Akademie der Wissenschaften IOAN-AUREL POP sowie des Vorsitzenden der KGKDS MATHIAS BEER.  

HARALD HEPPNER (Graz) wies in seinem Vortrag auf den großen Einfluss des Militärs und dessen Beitrag zur Raumerfassung auf das allgemeine Raumdenken in der Gesellschaft dieser Region hin. Demzufolge gehörte die Sicherheit des eigenen Staates zu den Kernzielen politisch-militärischer Kultur und spiegelte sich in der darin enthaltenen Bemühung um „Frieden“ bzw. „Befriedung“ ebenso wider wie im spezifischen „(Raum-)Wissen“, das für militärisches Handeln unerlässlich war und selbst einer kontinuierlichen innermilitärischen Reflexion unterlag. Chronologisch in drei Zeiträume gegliedert skizzierte Heppner die jeweiligen Paradigmenwechsel, die Einfluss auf die militärische Raumwahrnehmung nahmen. Der erste Zeitraum von 1699 bis 1804 war dabei vorwiegend geprägt vom fortschreitenden Niedergang des Osmanischen Reiches, der habsburgischen Expansion nach Südosten und dem Vordringen des russländischen Reiches ans Schwarze Meer. Die zweite Periode von 1804 bis 1856 begann mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches, die eine Umorientierung Österreichs auf seine südöstlichen Besitzungen mit starkem Fokus auf die Adriaküste einleitete. Die dritte Phase von 1856 bis 1914 war bestimmt vom Entstehen weiterer Nationalstaaten unter russischem Einfluss und die vom Berliner Kongress von 1878 nur unzureichend gelöste Orientkrise, die nicht nur zu den Balkankriegen, sondern letztendlich auch zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs beitrug. Abschließend resümierte Heppner über die Auswirkungen von Grenzverschiebungen auf die sicherheitspolitische Orientierung eines Landes und damit deren Raumwahrnehmung. 

PAULUS ADELSGRUBER (Chișinău) widmete sich in seinem Vortrag der mentalitätsgeschichtlichen Dynamik, die die Entstehung von spezifischen Kulturbildern dieses Raums begünstigte. Die neuen politischen Realitäten nach der Inbesitznahme der Bukowina durch Österreich 1775 und Bessarabiens durch Russland 1812 führten demnach nicht nur zu neuen kulturellen wie sozio-ökonomischen Gegebenheiten; sie erzeugten auch spezifische Eigen- und Fremdbilder der neuen Entitäten, die von zeitgenössischen Reiseautoren in ihren Berichten aufgegriffen bzw. selbst produziert oder reproduziert wurden. Anhand der vier ausgewählten Reiseberichte von Christian von Struwe (1791), Joseph R. Rohrer (1802), Antoine und Barthélemy Bachevill (1817) sowie Johann Georg Kohl (1837) analysierte Adelsgruber deren verschiedene Raumwahrnehmungen unter Berücksichtigung der zeitlichen, biographischen und örtlichen Gegebenheiten. Resümierend nannte Adelsgruber als Hauptfaktoren für die Urteilsbildung der Autoren ihre politische und gesellschaftliche Verankerung, die politische Lage zum Zeitpunkt der Reise, den eigentlichen Reisezweck sowie die eingeschlagene Richtung der Reise.  

Als Ersatz für einen ausgefallenen Vortrag nutzte ISABELLA BRANDSTÄTTER (Innsbruck) das frei gewordene Zeitfenster, um das an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck angesiedelte „Doktoratskolleg Austrian Studies“ vorzustellen. Das Doktoratskolleg dient sowohl als Plattform für interdisziplinäre Zusammenarbeit als auch als Basis für gemeinsame Lehre und Forschung zum größer gedachten ‚Kulturraum Österreich‘ entlang der Zeitachse vom Heiligen Römischen Reich über die Habsburgermonarchie bis in die Zeit der Zweiten Republik. Beteiligt ist eine Vielzahl von Fächern aus fünf Fakultäten der Universität: Geschichtswissenschaften, Kunstgeschichte, Translationswissenschaft, Slawistik, Germanistik, Rechtswissenschaft und Archäologie. Das Ziel des Kollegs ist es, Promovierenden optimale Rahmenbedingungen für die Arbeit an ihrer Dissertation zu bieten, interdisziplinären Austausch zu gewährleisten und die internationale Vernetzung zu fördern.  

ATTILA VERÓK (Eger) untersuchte die Gründung von Privat- und Institutionsbibliotheken in Siebenbürgen im 18. und 19. Jahrhundert. Verók schloss von deren Beständen wie auch von den Umständen ihres Zustandekommens auf eine Veränderung der Raumkonzepte im untersuchten Zeitrahmen. Während er bei der Privatbibliothek des Universalgelehrten Martin Schmeizl (1679–1747), die dieser in Jena und Halle als Fachbibliothek über Ungarn und Siebenbürgen gründete und die vier Jahre nach seinem Tod ins damalige Hermannstadt umzog, noch klar eine Entstehung im Geist des gemeinsam genutzten Raumes von Ungarn, Rumänen und Deutschen erkennen konnte, stellte er bei den untersuchten Bibliotheken, die um 1800 gegründet wurden, eine einseitiger werdende Tendenz fest. In den Bibliotheken der ungarischen Grafen Sámuel Teleki (1739–1822) und Ferenc Széchényi (1754–1820) beobachtete Verók eine Dominanz ungarischer Bestände; in der Bibliothek von Samuel Brukenthal (1721–1803), trotz der Einverleibung der Bibliotheca Schmeizeliana, einen Schwerpunkt auf geistige Produkte der deutschsprachigen siebenbürgischen Bevölkerung. Dennoch erkannte Verók sowohl bei Teleki als auch bei Brukenthal weiterhin den Geist der Multikulturalität. Er kam zum Schluss, dass die Nationalstaatidee nicht mit den Voraussetzungen in der Region (Mehrsprachigkeit, Multiethnizität, Multireligiosität in ursprünglicher Koexistenz) übereinstimmte.  

MONA GARLOFF (Innsbruck) untersuchte Umstände und Bedingungen der Verbreitung des Buchangebots des Wiener Verlegers Johann Thomas von Trattner (1717–1798) in den südöstlichen Ländern der Donaumonarchie. Die Quellenbasis bildeten dabei seine Verlagskataloge. Zentral für den Ausbau seines Schulbuchverlages zu einem Medienimperium mit einer Ausdehnung bis nach Hermannstadt war die Protektion durch Maria Theresia. Neben Schulbüchern und administrativen Schriften konzentrierte er sich auf landeskundliche Bücher für das gesamte habsburgische Territorium. In der Versorgung dieses Raumes mit deutschsprachiger Literatur und dem Aufbau entsprechender Gewerbestrukturen verbanden sich sowohl politisches Interesse des Hofes als auch wirtschaftliches Interesse des Unternehmers. Garloff lenkte den Blick auf die unterschiedlich gearteten Konkurrenzverhältnisse in den verschiedenen Regionen des Habsburgerreiches. Die Lage in Hermannstadt gestaltete sich kompliziert, da der ortsansässige Drucker Martin Hochmeister dort bereits eine Monopolstellung innehatte, sodass Trattner über Kommissionen mit diesem zusammenarbeiten musste. Die stärkere Verbreitung der deutschsprachigen Literatur nach Südosten ging auch mit einem zögerlichen intellektuellen Erwachen der Siebenbürger Sachsen einher, das sich u. a. in der Gründung der siebenbürgischen Quartalsschrift, der ersten wissenschaftlichen Zeitschrift Siebenbürgens, 1790 äußerte. 

Der Vortrag von ROBERT PFÜTZNER (Sibiu) untersuchte den Ideentransfer zwischen deutschen und rumänischen Pädagogen. Er stellte fest, dass es bei großen internationalen Themen bis heute Gemeinsamkeiten gebe; dass aber große Unterschiede in Grundsatzfragen vorhanden seien. Zudem konstatierte er eine Trennung der Denkräume im 20. Jahrhundert, obwohl es im Gegensatz dazu im 19. Jahrhundert durchaus einen regen Austausch gegeben habe. Um den Wandel der pädagogischen Beziehungen zu beschreiben, griff er auf Gunter Weidenhaus’ drei Typen „sozialer Raumzeit“ zurück: Den „konzentrisch-linearen“, den „netzwerkartig-episodischen“ und den „inselhaft-zyklischen“ Typus. Pfützner stellte fest, dass aktuelle deutschsprachige Fachliteratur der Pädagogik keine Bezüge zu Rumänien aufweise, rumänische Fachliteratur aber sehr wohl auf deutsche rekurriere. Er kam zum Ergebnis, dass es sich bereits im 19. Jahrhundert um eine einseitige Beziehung handelte. Rezipiert wurden in der frühen rumänischen Pädagogik nicht nur die Ideen der Mainstream-Pädagogik, sondern auch reformpädagogische Ansätze aus Jena. Heinz Brandsch unternahm 1936 einen Versuch, Ideen der rumänischen Pädagogik in Deutschland bzw. bei den Siebenbürger Sachsen bekannt zu machen, die meisten deutschen Forschungsarbeiten zur rumänischen Pädagogik verfolgten jedoch eher eine vergleichende historische Perspektive, meist mit dem Fokus auf der Pädagogik der Siebenbürger Sachsen.  

Der Kunsthistoriker TIMO HAGEN (Bonn) fokussierte in seinem Vortrag auf den habsburgischen Südosten um 1900, dessen vielschichtig zu interpretierende Architektur nicht nur vom Kaisertum bzw. dem Königreich Ungarn, sondern auch von unterschiedlichsten nationalen wie religiösen Orientierungen geprägt war. Diese Kulturraumvorstellungen konkurrierten miteinander, überlappten sich aber vielerorts. Siebenbürgen war eine Peripherie mit vielen Zentren, deren Baupraxis sich sehr oft an tatsächlichen (politischen) Zentren orientierte. Als „Zentrum des Wissens“ bot die kaiserliche und Haupt- und Residenzstadt Wien zahlreiche historische Vorlagen, zumal viele – wenn nicht alle – siebenbürgische Architekten dort studiert hatten. Wichtigstes Sujet war dabei die Grenzziehung zwischen Orient und Okzident. Es bestand Konsens im Hinblick auf die christliche „Bollwerkfunktion“ (mittelalterliche Wehrarchitekturanlehnung), was jedoch keine Hervorhebung der lateinischen Kirche implizierte. Anhand zahlreicher Beispiele führte Timo Hagen aus, dass sich das tradierte Bild eines südosteuropäischen Grenzwalls durchaus als Region mit verbindendem Charakter neu interpretieren ließe. Vormals nach nationalistischen Motiven eingeordnete Kulturbauten könnten nach den Geschehnissen des 20. Jahrhunderts gleichzeitig mehreren Raumverständnissen zugeschrieben werden.  

Im Anschluss referierte HEIKE FABRITIUS (Gundelsheim) über bildende Künstler und deren großflächige repräsentative Gemälde mit historischen Szenen, welche für die Öffentlichkeit geschaffen wurden. Im Fokus standen die drei Künstler Bertalan Székely (1835–1910), Gyula Benczúr (1844–1920) und Fernec Eisenhut (1857–1903), die unabhängig voneinander an Werken zur Erinnerung an das „Türkengedächtnis“ arbeiteten. Brücken und Bollwerke waren oftmals auftauchende Motive. Wesentliche Komponenten dieser Gemälde bildeten Verteidigungsszenen sowie im Fall eines gegenwärtig in der Budapester Burg hängenden Bildes, die Rückeroberung der Stadt durch christliche Heerführer. Fabritius verwies auf den enormen gesellschaftspolitischen Einfluss, den Kunst im Hinblick auf Raumkonzeptionen gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte. Im letzten Vortragsteil führte Fabritius detaillierte Forschungserkenntnisse zur „Bukowina-Mappe“ des Künstlers Oskar Laske (1874–1951) aus, dessen Motive nicht nur raumpolitische, sondern auch emotionale Konnotationen zu den Schauplätzen des Ersten Weltkriegs zulassen würden.  

Die Session wurde vom Vortrag des Kunsthistorikers ROBERT BORN (Oldenburg) abgerundet, der über kunstgeographische Regionsentwürfe zu Südosteuropa im 20. Jahrhundert unter dem Titel „Reichsstil oder aufgeklärter Barock“ referierte. Er konzentrierte sich dabei vorwiegend anhand zahlreicher Beispiele (von Wien mit der Kirche am Hof sowie der Mariensäule ausgehend) auf innerethnische und -konfessionelle Austauschprozesse und deren Kunstdarstellung zur Jahrhundertwende. 

Am Abend erwarteten die Tagungsteilnehmenden Festvorträge des Direktors der Diplomatischen Akademie, Botschafter EMIL BRIX und des Botschafters von Rumänien in der Republik Österreich EMIL HUREZEANU im Spiegelsaal des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR). In seiner Einführung bezeichnete KURT SCHARR (Innsbruck), der gemeinsam mit FLORIAN KÜHRER-WIELACH (München) durch den Abend begleitete, die Vortragenden als „Ansprechpartner beider Seiten der im Tagungsprogramm zitierten ‚Brücke‘“. 

EMIL BRIX hinterfragte zu Beginn seines Vortrags die im Tagungstitel vorkommenden Begriffe „Bollwerk“ und „Brücke“, bevor er den zeitlich-räumlichen Fokus auf den von Russland betriebenen Krieg in der Ukraine verlegte und die Frage nach Raumkonzepten im 18. Jahrhundert mit den aktuellen Ereignissen verknüpfte. Ebenso verwies er auf die ungebrochene Relevanz von Diskussionen zu Raumkonzeptionen. Brix nannte als Beispiel die international nicht anerkannte Abstimmung in den Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson, die damit der Russländischen Föderation angeschlossen werden sollten. Er plädierte für das völkerrechtlich akzeptierte Raumkonzept, welches allerdings von Moskau hinterfragt würde. Mit Blick auf Identität und Gemeinschaft stellte Brix fest, dass diese Vorgehensweise ein Versuch sei, „das Nationale zum Thema zu machen“. Ob es dennoch Raum zum Dialog gebe, müsse vorerst eine rhetorische Frage bleiben, vor allem da es momentan kein glaubwürdiges russisches Gegenüber gebe. Brix schloss zudem weitere atomare Drohungen nicht aus. Als Beispiel für politische Akteure, die selbst innerhalb der EU bestehende Raumkonzeptionen zur Disposition stellen würden, erwähnte er den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Brix schloss seinen Impulsvortrag mit einem Bekenntnis für ein Europa, das nicht zulassen dürfe, dass „Sprache, Religion und Volkszughörigkeit Grenzen definieren“.  

EMIL HUREZEANU (Wien/Bukarest) schloss daran mit seinem Beitrag zum Thema „Österreich und Rumänien“ an. Sein Impuls war vor allem mikrohistorisch angelegt und zielte auf die Frage nach Regionalität und Globalität im weitesten Sinne ab. Anhand mehrerer Beispiele skizzierte Hurezeanu für den Vorabend zum Ersten Weltkrieg ein teilweise dominierendes Gegeneinander in der Doppelmonarchie. Außerdem hob Hurezeanu mit hervor, dass jeder Krieg mit einem Frieden ende; die Frage sei dabei nur, ob es ein guter oder schlechter Friede sei. Der Botschafter spannte damit den Bogen zum Krieg zwischen der Ukraine und Russland. Am Schluss forderte Hurezeanu dazu auf, nicht zu sorglos, aber auch nicht zu ängstlich zu sein, würde sich doch die Welt trotz allem weiterdrehen, „so wie sie es immer getan hat.“ 

Den Anfang des folgenden Panels machte MELCHIOR JAKUBOWSKI (Warschau), der die Frage nach der tatsächlichen Einzigartigkeit der Bukowina in Hinblick auf das multikulturelle Zusammenleben stellte. In der Forschung und im breiteren historischen Verständnis werde die Bukowina als „Schweiz des Ostens“ oder „Europa in Miniatur“ gesehen, die Menschen dort sogar als besondere „homines bucovinensae“. Jakubowski zog für seinen Vergleich zwei andere Regionen heran: Latgale (Lettgallen) im heutigen Litauen und Suwałki (Suwalken) in Polen. Wie bei der Bukowina handelt es sich dabei um multiethnische und multikonfessionelle Regionen. Eine gewisse friedliche Koexistenz der Gruppen versuchte Jakubowski durch nachgewiesene Ehen und Taufen sichtbar zu machen. Zum einen zeigte sich, dass es immer auch Mischehen zwischen den Konfessionen gab, vor allem aber auch verschiedene Religionen gelegentlich das gleiche Gebäude für Gottesdienste, Eheschließungen und Taufen (oft aus pragmatischen Gründen) nutzten. Ähnliches galt für gemeinschaftlich genutzte Friedhöfe. In seinem Resümee postulierte Jakubowski daher, dass die Bukowina in ihren Eigenschaften keineswegs eine einzigartige Erscheinung gewesen sei, die durch die habsburgische Herrschaft begünstigt wurde. Das Spezielle an dieser Region sei hingegen vor allem, dass sie – bereits vor dem Ersten Weltkrieg – gut erforscht wurde und weiterhin wird. 

Mit der Verbindung der Bukowina zur Donaumonarchie beschäftigte sich der Vortrag des Germanisten JOSEPH MOSER (West-Chester, USA). In der Stadt Czernowitz hätte die Habsburgermonarchie ihren östlichsten Ankerpunkt gehabt. Architektonisch ist die damalige Hauptstadt des Kronlandes stark an Wien angelehnt. Vor allem die jüdische Bevölkerung, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts emanzipieren konnte und den größten Teil der städtischen Bewohner stellte, habe zur Orientierung an der Hauptstadt der Monarchie beigetragen. Auch vonseiten des Kaisers wurde der Bau einer „Vorbildstadt“ dezidiert befürwortet. Mit dieser architektonischen Manifestation des Hauses Österreich im Osten eröffnete sich auch die Möglichkeit, sich zu assimilieren und aufzusteigen, ohne in ‚den Westen‘ zu ziehen. Vertreibung, Migration und Flucht der meist deutschsprachigen Juden vor, im und nach dem Zweiten Weltkrieg habe allerdings dazu geführt, dass das Czernowitz der Monarchie zu einem „Nicht-Ort“ wurde.  

MARIANA HAUSLEITNER (Berlin) eröffnete das anschließende Panel mit einem Referat über die Föderationspläne der Bukowiner und Bukarester Sozialdemokraten zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Nach der Einführung des allgemeinen Wahlrechtes 1907 war die Sozialdemokratie im österreichischen Teil des Habsburgerreichs gefordert mitzugestalten. Es galt dabei nationale Spannungen abzuschwächen. Wie Hausleitner argumentierte, sollte durch den wirtschaftlichen Großraum einer Donauföderation auch die Arbeiterschaft rückständiger Randgebiete gestärkt werden. In der Bukowina näherte man sich durch die Sozialdemokraten mit dem Abgeordneten George Grigorovici diesen Bestrebungen an. Christian Racovski warb in Bukarest hingegen für das Konzept der Balkanföderation und propagierte deren Aufnahme in die Programme aller sozialistischen Gemeinschaften des Balkans. Entgegen dieser Zielsetzung versuchte die rumänische Regierung territoriale Ausweitungen zu bewirken. Die Verfolgung solcher Expansionsbestrebungen im Rahmen der Balkankriege 1912/13 wurde von Sozialdemokraten aus Rumänien, Bulgarien und Serbien kritisiert. Auch beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges begegneten sie den kriegerischen Auseinandersetzungen mit der Idee der Balkanföderation. 1918 wich Grigorovici von der Föderationsidee ab und sprach sich für den Anschluss an Rumänien aus. Seine Vorstellungen wurden in weiterer Folge in Großrumänien als Annäherung zur Sowjetunion gedeutet und damit als Begründung des Verbots der Kommunistischen Partei herangezogen.  

JOHANN NICOLAI (Birmingham/Tallinn) lenkte den Blick auf die jüdische Bevölkerung in Nachfolgestaaten der Doppelmonarchie nach dem Ersten Weltkrieg. Er hob hervor, dass Polen und Großrumänien um 1920 eine beträchtliche jüdische Population aufwiesen. Nachdem Polen im 18. Jahrhundert geteilt wurde, unterstand die Bevölkerung anderen politischen Autoritäten. In Preußen wurde die Loyalität gegenüber dem Staat durch die Judenemanzipation, in Österreich durch den Ausgleich zementiert. Die polnische Politik missbilligte positive Einstellungen gegenüber ausländischen Machthabern von Seiten der ehemals polnischen Juden. In Rumänien kamen der jüdischen Minderheit zwar staatsbürgerliche Rechte zu, dennoch blieb ihnen der Zugang zu Universitäten, Militär und Verwaltung verwehrt. Mit der Weltwirtschaftskrise erstarkten Verschwörungstheorien, wonach sich Juden den rumänischen Staat aufteilen und sich die Bevölkerung unterwerfen wollten. Im gesellschaftlich heterogenen Großrumänien wurde ein Feindbild konstruiert, das Juden als Sündenböcke missbrauchte. Nicolai stellte zur Diskussion, ob Ressentiments gegen jüdische Minderheiten in Polen und Großrumänien aus dem Streben nach einer eigenen nationalen Identität hervortraten. Mit dem Zionismus argumentierend wurde die Forderung erhoben, Juden sollten in ihr „eigenes Land“ migrieren. Verglichen mit „monoethnischen Nationalstaaten“, folgerte Nicolai, sei die multiethnische Habsburgermonarchie in bürgerrechtlicher und identitätsbildender Hinsicht vorteilhafter für Juden gewesen. 

KÁLMÁN ÁRPÁD KOVÁCS (Budapest) steuerte den letzten Beitrag zu diesem Themenblock bei. Eingangs hob der Referent die bis in die Gegenwart anhaltende Bedeutung der Friedensverträge von Trianon für das kollektive Nationalbewusstsein Ungarns hervor. Kovács verglich die andauernde Präsenz dieses Ereignisses mit der über 150 Jahre langen „Mohács-Epoche“, die sich vom 16. bis in das 17. Jahrhundert erstreckte. Seine Analysen basierten auf zwanzig Texten von fünfzehn Autoren, welche zwischen 1920 und 1972 entstanden. Die Schriftsteller thematisierten dabei Ereignisse wie Entwicklungen, die Trianon vorgelagert waren. Kovács beschrieb Mohács als initiales Ereignis für die untersuchten Darstellungen. Seinen Schwerpunkt legte er auf das 19. und beginnende 20. Jahrhundert. In seiner Untersuchung ging Kovács der Frage nach, inwiefern Nationalismen, nachbarstaatliche Irredentismen, Imperialismen der Großmächte, „revolutionäre Inkompetenz“ in Ungarn und die Herrschaft der Habsburger sowie soziale Probleme in den ausgewählten Texten angesprochen wurden. Kovács bezeichnete die Perspektive der analysierten Autoren als „bußfertige Geschichtsauffassung“, welche im Gegensatz zur bolschewistisch-kommunistischen Selbstkritik stünde. 

Die Präsentation der Ergebnisse des Nachwuchsseminars zum Thema „Der Südosten Europas – Eine Erfindung?“ von THERESA HOMM (Kiel), SIMON MALLAS (Mainz), TOBIAS JAKOBER (Innsbruck), MARCO FREEK (Innsbruck), LEONIE HASENAUER (Innsbruck), ROLAND KÖCHL (Innsbruck) und ISABELLA BRANDSTÄTTER (Innsbruck) bildeten den Auftakt des folgenden Themenblocks. Die inhaltliche Näherung an Siebenbürgen als Raumkonstrukt erfolgte über einen historischen Längsschnitt. Dabei diskutierte Themen waren u. a. die mittelalterliche „Landnahme“, Die neuzeitliche Komponente des Beitrags bildete die Grenzfunktion der Habsburgischen Zeit in den Karpaten und der damit verbundene Topos der ‚Antemurale Christianitatis‘ (‚Bollwerk der Christenheit‘). Zudem richtete sich ein Fokus auf die habsburgische Verwaltungsgeschichte und die Rolle regionaler Eliten, dargestellt am Beispiel Simon von Brukenthals als Statthalter Maria Theresias in Siebenbürgen sowie dessen heutige Rezeption. Außerdem von Interesse war in dieser Annäherung die Entstehung Großrumäniens nach dem Ersten Weltkrieg sowie die forcierte Entwicklung der Schwerindustrie während der sozialistischen Periode und die darauf aufbauende sozialistische Identität während der Zeit des rumänischen Nationalkommunismus. Ein besonderes Augenmerk lag auf Alba Iulia/Karlsburg und der dort in der Architektur der Anlage sichtbar werdenden Geschichtspolitik unterschiedlicher Epochen. Insgesamt ließen sich neben Sprache im Allgemeinen drei identitätsstiftende Momente ausmachen: Raum, Politik und Religion. Somit gilt der siebenbürgische Raum als einer, in dem sowohl christlich-muslimische Konflikte sowie innerchristliche (konfessionelle) Differenzierung in Form von Protestantismus, Katholizismus, rumänischer Orthodoxie und griechisch-katholischen Unierten als auch politische Vorstellungen der Habsburgermonarchie und des Osmanischen Reichs aufeinandertrafen.  

Im Beitrag von RALF THOMAS GÖLLNER (Regensburg) wurde die Dualität der Systeme in Bezug auf Weltanschauung auf dem europäischen Kontinent bis ins letzte Drittel des 20. Jahrhunderts besprochen. Der Zusammenbruch der sozialistischen Systeme nach 1989 führte zu einer Neugestaltung der politisch-ökonomischen Allianz ganz Europas – nicht zuletzt im Sinne der einzelnen EU-Erweiterungsphasen. Das im Zuge dessen gedachte Europa-Konzept einer sozio-ökonomischen Globalisierung wurde v. a. für die Makroebene konzipiert. Jedoch blieben supranationale und regionale Aspekte lange davon unberührt und deren Handlungswirksamkeit konnte nur latent entfaltet werden. Hier könne die EU laut Göllner neue Perspektiven schaffen. Die Konzeption von Raum finde dabei aber nicht im innerstaatlichen, sondern im makro- und euroregionalen, grenzüberschreitenden Raum statt. Grundsätzlich geht es dabei um die Wiederherstellung funktioneller und historisch gewachsener, grenzüberschreitender Räume. Diese Idee findet man im Rahmen der Mitgliedsstaaten und der Europäischen Union im Gesamten durch verschiedene Initiativen: Neben der Erwähnung verschiedener Interreg-Programme zwischen Ungarn-Rumänien, Ungarn-Slowakei, Ungarn-Kroatien, Rumänien-Bulgarien ging es in diesem Beitrag um die Euroregionen, die innerhalb des Europäischen Verbunds Territorialer Zusammenarbeit (EVTZ) stattfinden. Das Ziel dieser Verbände ist es, einen konkludenten Raum in einem historisch-ethnisch heterogenen Siedlungsraum zu schaffen.  

Am Abend fand unter Moderation von KURT SCHARR (Innsbruck) eine Lesung der Autorin MONIKA CZERNIN (Wien/München) aus ihrem Buch „Der Kaiser reist inkognito. Joseph II. und das Europa der Aufklärung“ im Hochmeister-Haus statt. Über die historisch recherchierten Inhalte schilderte Czernin, wie Joseph II. im Sinne von Aufklärung und Staatsreform den Osten seines Reiches bereiste, um ein möglichst unverfälschtes Situationsbild der Dinge vor Ort zu gewinnen, stets das Ideal des Aufbaus eines modernen Staates im Blick.  

Eine Exkursion in die Umgebung von Sibiu am Samstag bildete den Abschluss der Tagung. So stellte der Pastor in Cisnădie (Heltau) seine frisch renovierte Kirche mit den freigelegten vorreformatorischen Fresken sowie kürzlich restaurierte Handschriften aus dem Archiv der Gemeinde vor. In Rășinari (Städterdorf/Reschinar) stand die rumänisch-orthodoxe Kirche sowie Andrei ȘAGUNA im Zentrum der Diskussion und zuletzt in Cisnădioara (Michelsberg) die ehemalige Kirchenburg oberhalb des Ortes. 

 

Konferenzübersicht: 

Grußworte  

Moderation: Kurt Scharr (Innsbruck)/Rudolf Gräf (Hermannstadt)

Univ.-Prof. Dr. Sorin Radu, Rektor Universitatea Lucian-Blaga Sibiu, Univ.-Prof. Dr. Ioan-Aurel Pop, Președintele Academiei Române, Dr. habil. Mathias Beer (Vorsitzender der KGKDS)
 

Panel 1: Raumwahrnehmung  

Moderation: Mona Garloff (Innsbruck)

Harald Heppner (Graz): Das Raumdenken der k. (u.) k. Armeeführung über Europas Südosten (1699-1914)

Paulus Adelsgruber (Chișinău): Zur Wahrnehmung von kulturellen Grenzen am Schnittpunkt dreier Imperien: Bukowina, Moldau und Bessarabien in Reiseberichten (1791–1838)

Peter Mario Kreuter (Regensburg): Wo bitte liegt Craiova? Die Wahrnehmung der Walachei in der österreichischen Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert (ausgefallen) 

Panel 2: Wissensräume  

Moderation: Rudolf Gräf (Hermannstadt) 

Attila Verók (Eger): Stichwort Kulturbrücke. Kultur-Raum-Konzepte im 18. und frühen 19. Jahrhundert in Siebenbürgen am Beispiel von Bibliotheks- und Vereinsgründungen

Mona Garloff (Innsbruck): Kulturelle Räume im Spiegel des Verlagsimperiums und Buchangebots Johann Thomas von Trattners in den südöstlichen Ländern der Habsburgermonarchie 

Robert Pfützner (Sibiu): Die Dialektik des Denk-Raums. Beobachtungen zur Konstitution raumzeitlicher Muster am Beispiel des pädagogischen Ideentransfers zwischen deutschen und rumänischen Pädagogen des 19. und 20. Jahrhunderts 

 

Panel 3: Kulturräume skizziert und gebaut 

Moderation: Paulus Adelsgruber (Chișinău) 

Timo Hagen (Bonn): Gebaute Kulturraumkonzepte. Kulturelle Horizonte und Orientalismen in der Architektur des habsburgischen Südostens 

Heinke Fabritius (Gundelsheim): Historienbilder und Frontskizzen: Rauminszenierungen bildender Künstler zwischen Auftragskunst, Kriegstrauma und Subversion 

Robert Born (Oldenburg): Reichsstil oder aufgeklärter Barock. Kunstgeographische Regionsentwürfe zu Südosteuropa im 20. Jahrhundert 

 

Festvortrag – Raum im Dialog  

Moderation: Kurt Scharr (Innsbruck)/Florian Kührer-Wielach (München) 

S.E. Botschafter Dr. Emil Brix (Wien): Von Imperien zu Nationalstaaten. Und zurück? Grenznarrative in Südosteuropa 

S.E. Botschafter Emil Hurezeanu (Wien/Bukarest): Österreich und Rumänien zwischen Wahlverwandtschaften und wohlwollender Gleichgültigkeit 

 

Panel 4: Projektionsraum Bukowina  

Moderation: Mathias Beer (Tübingen) 

Melchior Jakubowski (Warschau): Was Habsburg Bukovina a Unique Multicultural Microcosm? 

Joseph Moser (West-Chester): Czernowitz: Der östlichste Anker Wiens in der Donaumonarchie 

 

Panel 5: Räume-Menschen-Politik 

Moderation: Ralf Thomas Göllner (Regensburg) 

Mariana Hausleitner (Berlin): Föderationspläne der Bukowiner und Bukarester Sozialdemokraten 1907–1924

Johann Nicolai (Sibiu): Juden in den Nachfolgestaaten des Habsburgerreichs nach dem Ersten Weltkrieg 

Kálmán Árpád Kovács (Budapest): Der Weg zum Vertrag von Trianon in der ungarisch-reformierten (calvinistischen) Erinnerungsliteratur vor hundert Jahren 

 

Panel 6: Der Südosten Europas 

Europas Moderation: Florian Kührer-Wielach (München) 

Präsentation der Ergebnisse des Nachwuchsseminars: Der Südosten Europas – Eine Erfindung? Nation und Raumbildung in Südosteuropa (Rumänien) 

Ralf Thomas Göllner (Regensburg): Regionale, euroregionale und grenzüberschreitende Kooperationen als moderne Raumordnungskonzepte 

Lesung  

Moderation: Kurt Scharr (Innsbruck)

Monika Czernin (Wien/München): Der Kaiser reist inkognito. Joseph II. und das Europa der Aufklärung