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Zum siebzigsten Geburtstag von Werner Kremm

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Eine Würdigung

Von Rudolf Gräf

Am 7. Oktober 1951 in Großsanktnikolaus (rum. Sânnicolau Mare, ung. Nagyszentmiklós), der westlichsten Stadt des heutigen Rumäniens im Banat geboren, kann man sich heute Werner Kremm fast nicht mehr außerhalb des Stadtbildes von Reschitza (rum. Reșița) vorstellen.

Eingeschult wurde er in seinem Geburtsort, wo er auch das deutschsprachige Lyzeum besuchte und 1970 das Abitur machte – und zwar an der deutschsprachigen Abteilung. Es folgte das Studium der Germanistik an der Temeswarer Universität (rum. Timișoara), obwohl Werner Kremm von früh an reges Interesse für Naturwissenschaften zeigte, unter anderem durch die beeindruckende Memorierung des berühmten und bekannten Tierlebens Alfred Brehms.

Trotz des enormen Interesses für alles Bewegliche studierte Werner Kremm, wie gesagt, Germanistik in einer Zeit, in der es schien, dass sich die politische Lage in Rumänien verbessern würde. Das Ende der 1960er- und der Anfang der 1970er-Jahre erschien – täuschend – günstig für die politische Zukunft Rumäniens und setzte auch Energien frei, die sich im Kulturellen äußerten. Davon blieb auch die deutsche Minderheit nicht unberührt. Und es behauptete sich ein Phänomen, das unter normalen Umständen unerklärlich ist: In einem Land, in dem die Angehörigen der deutschen Minderheit immer weniger wurden – Krieg, Deportation. Kriegsgefangenschaft, Kalter Krieg und der dadurch veranlasste Auswanderungsprozess nagten an der Substanz dieser Minderheit –, behaupte sich im Kulturleben des Banats und Rumäniens eine literarische Gruppierung, eine Strömung, die Angehörige einer Generation meist junger Banater Schwaben und Berglanddeutscher umfasste – und aus deren Umfeld eine Nobelpreisträgerin für Literatur hervorgehen sollte, was wiederum den damals dominierenden Marxismus widersprechen sollte. Zur ideologischen Orientierung dieser literarischen Gruppe kann ich nichts Vertiefendes sagen, jedenfalls glaube ich, wollten diese damals jungen Menschen frei sein, frei schreiben können und sich im damaligen politischen Kontext an den Wurzeln des Marxismus, am Neomarxismus und an der Frankfurter Schule orientierten. Es blieb ihnen unter den damaligen politischen Umständen auch nichts anderes übrig, wenn sie etwas verändern wollten. Durch das damalige Rumänien, dessen politische Führung sich unterdessen gänzlich umorientiert hatte, was sich in den sogenannten Thesen aus dem Jahre 1971 widerspiegelt, laut derer die Kunst- und Kulturschaffenden, wie es damals hieß, sich vollends der Parteipolitik unterordnen sollten, blies nun ein kalter, neostalinistischer Wind, der das Leben dieser und der nachfolgenden Generation gehörig beeinflussen – und in vielerlei Hinsicht vermasseln – sollte.

Werner Kremm gehörte der sogenannten Aktionsgruppe Banat – deren Anfänge im Lyzeum in Großsanktnikolaus zu verzeichnen sind – an, ein Name der gleich zwei damals verdächtige und subversive Worte enthielt: Aktionsgruppe – was fast wie der Name einer marxistischen Untergrundorganisation klang – und Banat, das man in Bukarest langsam aus dem Bewusstsein der Bevölkerung drängen wollte, um die Begrifflichkeit „Südwesten Rumäniens“ durchzusetzen (genau wie man in der Epoche der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie den Begriff Südungarn für dasselbe Banat behaupten wollte). In diesem Rahmen entstanden seine ersten literarischen Versuche. Die Gruppe wurde jedoch auseinandergesprengt, und Werner Kremm veröffentlichte danach nur mehr gelegentlich literarische Beiträge. Möglich, dass weitere folgen.

Nach dem Abschluss des Studiums arbeitete er als Deutschlehrer in Bokschan (rum. Bocșa), wo er auch seine spätere Frau Ana kennenlernte und Deutsch als Fremdsprache unterrichtete. Ab 1980 war er beim Neuen Weg angestellt, dem er mit kleinen, unbedeutenden Unterbrechungen bis heute – nach der Wende Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien – treu geblieben ist. Seit 1993 ist er der verantwortliche Redakteur der Neuen Banater Zeitung und reiht sich so unter die Macher und Gestalter der Banater Zeitungen ein – seit dem Beginn des Banater Zeitungswesens von Joseph Heimerl bis Nikolaus Berwanger. Und – was sehr wichtig ist: Er hatte auch NachfolgerInnen, so dass das deutschsprachige Zeitungswesen im Banat nach der Pensionierung von Werner Kremm nicht stillstand.

Seine Berichte über die Wirtschaft des Banater Berglandes mit seinen, damals schnaubenden Industrieorten Reschitza, Steierdorf (rum. Anina) oder Bokschan und Neumoldowa (rum. Moldova Nouă), aber auch über die einschlafenden Orte, die kulturell noch irgendwie etwas zu bieten hatten – wie Orawitz (rum. Oravița) –, zeichnen sich durch Sachkenntnis, Objektivität und einen kaum versteckten Hang zur fundierten Kritik aus. Mit demselben scharfen Blick betrachtete er das Banater Bergland nach 1989, eine Periode, in der er die Deindustrialisierung des Banater Berglandes beispielhaft schilderte und sich sein Interesse auch auf die allgemeine Entwicklung des Landes richtete.

Werner Kremm blieb auch nach der Wende in Rumänien – in Reschitza, auch wenn er in Großsanktnikolaus renoviert und sich dort für eine lange Rentenzeit vorbereitet hat – und sich so zu den Glücklichen zählen darf, die ihr Alter in ihrem Geburtsort verbringen dürfen. Wie gesagt, Reschitza kann man sich ohne Werner Kremm nicht vorstellen. Dort verfasste er eine Reihe von Büchern, etwa den Reiseführer Rumänisches Banat, Graz 1998, und besonders seine Momentaufnahmen. Rumänien unter der Lupe, 2016 (er bereitet eben den zweiten Band vor), in denen er mit scharfem Blick die Zeit nach der Wende beobachtet und kritisch beschreibt. Es sind Bücher, die für jene, die diese Region und dieses Land verstehen wollen, unentbehrlich sind. Ebenso enthalten zahlreiche Bände, die Werner Kremm übersetzt oder als Herausgeber betreut hat, Texte, an denen man nicht vorbeikommt, wenn man das Land, die Region, die Menschen und die Zeiten im Banat kennenlernen und verstehen will.

In der Zeit nach 1989, als sich im Banat zahlreiche Hilfsorganisationen, Stiftungen und Organisationen aktiv gezeigt haben, wurde Werner Kremm für die lokalen Behörden unverzichtbar – sowohl als Übersetzer wie auch als (meistens inoffizieller) Berater. Nicht zuletzt dadurch wurde er zu einem der besten Kenner der politischen und wirtschaftlichen Lage des Banats.

Selbst habe ich Werner Kremm in den 1980er-Jahren kennengelernt – als junger Geschichtslehrer und später als Museumsangestellter in Reschitza. Es folgte eine langjährige Zeit schöner Zusammenarbeit und freundschaftlicher Beziehungen. Die Verbindung wurde vielleicht auch durch die Tatsache intensiviert, dass wir beide mit rumänischen Frauen verheiratet sind – einerseits etwas absolut normales, andererseits von einigen Seiten auch mit Vorbehalten bedacht. Auch die Tatsache, dass wir beide der Meinung waren, dass wir eine gute Zukunft in Rumänien haben könnten, was sich (zum Teil) bewahrheitete, hat uns verbunden – nicht zuletzt die Freundschaft unserer Kinder und schließlich die Freude an der Arbeit.

Werner Kremm ist in der gewesenen Arbeiterstadt ein „geistiger Arbeiter“ im besten Sinne des Wortes geblieben. Aus dem multiethnischen Großsanktnikolaus kommend, ist er ins multiethnische Reschitza gezogen und hat dort durch sein genaues Beobachten, sein Schreiben und seine Haltung maßgeblich am kulturellen Leben mitgewirkt.

Ad multos annos! – Oder aus dem „Reschitzaerischen“ übersetzt: Sollst lang leben und gesund bleiben!

Rudolf Gräf, ehemaliger Vizerektor der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg (rum. Cluj-Napoca), ist Historiker und Direktor des Forschungsinstituts für Geisteswissenschaften Hermannstadt (rum. Sibiu). Gebürtig aus Reschitza (rum. Reșița), hat er zahlreiche Bücher und Studien zur Geschichte des Banats, vor allem des Banater Berglandes, veröffentlicht.

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2021), Jg. 16, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 227–229.

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