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Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Wilfried Heller zum 80. Geburtstag. Das Land der Griechen mit der Seele suchend…

Wilfried Heller

… diese unterschwellige Absicht mag den ersten Anstoß dafür gegeben haben, dass sich der literaturwissenschaftlich vorgebildete Sozialgeograf Wilfried Heller mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten bereits frühzeitig in Richtung Südosteuropa orientierte.

Allerdings stellte sich schon bald heraus, dass auf dem Weg zu seinem einstweiligen geografischen Fernziel etliche interessante Themen auf ihn warteten, die er unmöglich übergehen konnte. So zeigten sich bereits in Rumänien gesellschaftliche und räumliche Entwicklungen, die die westeuropäischen Geografen schlicht übergangen hatten. Obwohl dort die Forschungsmöglichkeiten während des Kalten Krieges denkbar schlecht waren, setzte sich Wilfried Heller gegen alle Widrigkeiten durch. Was in seinem Habilitationsprojekt noch ein statistikorientierter Systemvergleich der Industrialisierungswege Griechenlands und Rumäniens war, konnte erst nach 1990 in eine vielfältige Analyse der gesellschaftlichen Transformation münden. Die Weichen dazu wurden allerdings bereits in den 1970er-Jahren gestellt.

Nachdem Heller 1970 eine Stelle als Assistent am Geographischen Institut der Georg-August-Universität Göttingen angenommen hatte, blieb er seinem regionalen Schwerpunkt treu. Er führte schon bald regelmäßige studentische Exkursionen nach Rumänien, der Türkei, Albanien, Griechenland und in die DDR durch, die ihm vielfältige Kontakte zu ausländischen Kollegen sicherten und auch kleine empirische Forschungsarbeiten ermöglichten. In Rumänien und Albanien erforderte dies eine geradezu herkulische Anstrengung, waren doch die Regime beider Länder trotz der von der Sowjetunion weitgehend unabhängigen „Sonderwege zum Kommunismus“ auf die größtmögliche Kontrolle der Aktivitäten ausländischer Besucher bedacht. Seine Bemühungen wurden mit einer erfolgreichen Habilitation zum Thema der Urbanisierung in Rumänien und Griechenland belohnt.

Damit ist nun endlich das biografische Leitmotiv dieses außergewöhnlichen Wissenschaftlers genannt. Schon als kleines Kind musste er lernen, sich gegen eine fremde Umgebung durchsetzen. Am 8. Mai 1942 in Littmitz (tsch. Litmice) bei Falkenau an der Eger (tsch. Sokolov) geboren, wurde er 1946 im Zuge der Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei zusammen mit seinen Eltern und seiner Schwester entwurzelt. Im bayerischen Grenzland, genauer gesagt in Ramsau bei Berchtesgaden, fanden die Vertriebenen eine neue Heimat. Sie trafen aber auch auf die üblichen Ressentiments der Einheimischen gegenüber den „Zugereisten“. Sein erfolgreicher Schulbesuch und anschließende Studien in Heidelberg und Erlangen zeigten eine Zielstrebigkeit an, die sich später mit der Promotion in Heidelberg und dem Wechsel nach Göttingen (1970) endgültig offenbarten. Die Heirat mit Marie-Luise in den frühen 1970er-Jahren und die Geburt ihres Sohnes stehen für sozialen Aufstieg, der für die jüngere Kriegsgeneration nicht untypisch war.

Insofern wäre die Normalerzählung zur sozialen Nachkriegsmobilität auch in diesem Fall eigentlich zu beenden. Dass dies nicht ohne weiteres möglich ist, liegt vor allem an der wissenschaftlichen Neugier und den neuen Arbeitsgebieten, die Wilfried Heller sich erschloss. Zum einen begann er gleichsam aus dem Stand mit Forschungen zur Arbeitsmigration aus Südosteuropa und der Türkei sowie zur Migration von Aussiedlern aus Südost- und Osteuropa. Zum anderen wandte er sich mit der politischen Wende 1989/90 der Grenzraumforschung sowie der sozialen und wirtschaftlichen Transformation Rumäniens als wichtigen Arbeitsgebieten zu. Selbst die historische Emigration von Egerländern in unwirtliche Regionen Neuseelands zog ihn in seinen Bann. Es war unverkennbar, dass viele seiner Arbeitsthemen im Zusammenhang mit seinen persönlichen Erlebnissen standen – der Migration in fremde Verhältnisse hinein, der Existenz als mentaler und seelischer Grenzgänger, den Einblicken in unterschiedliche Milieus und Lebenswirklichkeiten.

In dieser Periode regte er eine Vielzahl von Dissertationen, Forschungsprojekten und internationalen Konferenzen an, die sich unter anderem mit der regionalen Transformation im Grenzraum Tschechiens zu Deutschland, der Entwicklung der Grenzregionen Ungarns, der Stadtentwicklung und dem sozialen Wandel im ländlichen Umland der Großstädte Rumäniens, der neuen Einwanderung aus dem asiatischen Raum nach Südosteuropa und Fragen der ethnischen Identität von Minderheiten in Ungarn auseinandersetzten. Anfang der 1990er-Jahre erhielt er eine Berufung zum Professor für Humangeografie an der Universität Potsdam, eine Stelle, die er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2007 bekleidete. Akademische Ehrungen, die er im Ausland erhielt, rundeten seine erfolgreiche Laufbahn ab. So verlieh ihm die Universität Bukarest (Universitatea din București) 1999 eine Ehrenprofessur und 2006 die Ehrendoktorwürde. Die Babeș-Bolyai-Universität in Klausenburg (Universitatea Babeș-Bolyai din Cluj-Napoca) erkannte ihm den Doctor honoris causa zu.

Der akademischen Beschäftigung mit Südosteuropa und insbesondere Rumänien blieb Heller auch nach seiner Pensionierung treu. So engagierte er sich unter anderem in der Südosteuropa-Gesellschaft sowie der Deutsch-Rumänischen Gesellschaft mit dem Ziel, die Diskussion landeskundlicher Themen und politischer Transformationsprobleme voranzutreiben. Für seine akademischen und familiären Wegbegleiter war dies nicht verwunderlich, hatten sie sich doch an seine Entdeckerfreude sowie die Suche nach neuen Erfahrungen und originellen Denkansätzen längst gewöhnt.

  

Hans-Joachim Bürkner, geb. 1954 in Hildesheim, promovierte und habilitierte sich an der Georg-August-Universität Göttingen mit Betreuung durch Wilfried Heller. Von 1999 bis 2020 war er als Sozialforscher am Leibniz-Institut für Regionalforschung und Strukturplanung Erkner sowie im Rahmen einer Gemeinsamen Berufung als Professor für Wirtschafts- und Sozialgeografie an der Universität Potsdam tätig.

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2022), Jg. 17, IKGS Verlag, München, S. 229–230.

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