Andreea Odoviciuc: Gegeneinander. Nebeneinander. Miteinander. Deutsch und Rumänisch als Rechts- und Verwaltungssprachen im habsburgischen Kronland Bukowina (1848-1918) (Blickpunkt Rumänien, Bd. 11). Wien, Hamburg: new academic press 2020. 137 S.
Sprache mutierte spätestens zur Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem der zentralen, nicht wegzudenkenden Kriterien nationaler wie identitätsstiftender Zuschreibungen. Bis heute gelingt es ihr nur schwer, diesen fatalen Nimbus wieder abzulegen. Das zeigt sich nahezu täglich seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022.
In einem dynamischen Milieu, das sich nach den Revolutionsjahren von 1848/49 durch eine wachsende politische Öffentlichkeit (in Form politischer Parteien, freier Presse oder von Hochschulen) einerseits und staatliche Reformen – im Spagat zwischen Zentralismus und Föderalismus – andererseits konstituierte, geriet Sprache und ihre Verwendung im Alltag zu einem Politikum per se. Im sogenannten Verheißungsparagraphen der österreichischen Dezemberverfassung von 1867 (§ 19) kulminierte diese komplexe Problematik. Seine wenigen Zeilen gaben breiten Raum für Interpretationen und blieben – einmal abgesehen von schon zeitgenössisch ungeklärten Begrifflichkeiten wie »Volksstamm« oder »landesüblich« – eine wesentliche Antwort schuldig: Wie setzt man die darin »verheißene« Gleichberechtigung um? So hatten beispielsweise mit Ausnahme des Deutschen (und durch den Ausgleich von 1867 in der transleithanischen Reichshälfte auch des Ungarischen) nahezu alle Sprachen der Habsburgermonarchie eine konkrete Gemeinsamkeit im Alltag, den ausgesprochenen Mangel beziehungsweise drängenden Nachholbedarf an Fachterminologie. (S. 28) Das nimmt Andreea Odoviciuc als Ausgangsbasis für ihre – hier in gedruckter Form – vorliegende Dissertation, die an der Alexandru-Ion-Cuza-Universität in Jassy (rum. Iaşi) unter der Leitung von Andrei Corbea-Hoişie entstand.1Das Buch ist 2023 unter gleichem Titel auch in der Reihe Forum Rumänien als Band 47 bei Frank & Timme erschienen. Hier findet sich auch ein zum vorliegenden Exemplar identisches Inhaltsverzeichnis, <https://www.frank-timme.de/de/programm/produkt/gegeneinander-nebeneinander-miteinander?file=/site/assets/f iles/6560/978-3-7329-0944-5_inhaltsverzeichnis.pdf>. Ebenso erschien dazu ein zusammenfassender Artikel der Autorin in den Deutsch-Rumänischen Heften ( Jg. XXIV/H. 2, 2021), der online abrufbar ist, <https://www.deruge.org/wp-content /uploads /2022/04/2021_Winter.pdf>. (S. 32) An der Universität Iaşi hatte sich 2018 dazu ein breit angelegtes Forschungsvorhaben etabliert (»Deutsche Sprache und Kultur in Rumänien (1918-1933). ›Post-imperiale‹ Realitäten, öffentlicher Diskurs und Kulturfelder«).2»Limbă şi cultură germană în România (1918-1933). Realităţi ›post-imperiale‹, discurs public și cîmpuri culturale«, vgl. die offizielle Webseite <https://ro.glcr18-33.com/>. Was läge von Iaşi aus gesehen also näher, als sich auf Basis der gesetzten Fragestellung mit der Bukowina in Form einer Regionalstudie zu beschäftigen, vor allem wenn Sprache wie bei Odoviciuc als »wesentliches Element des Bukowiner […] Kulturraums« (S. 11) verstanden wird? So stellt die Autorin denn auch konsequent das »translatorische Phänomen und seine Auswirkungen« (S. 9) in einen unmittelbaren Bezug zur Herausbildung rumänischer Fachterminologie und betont – am Beispiel des östlichsten Kronlandes – für diesen Prozess in der Habsburgermonarchie an zentraler Stelle den Einfluss der deutschen Sprache.
Verteilt auf vier Hauptkapitel (Theoretische Grundlagen und methodisches Verfahren; Zur Vielgestaltigkeit der Habsburgermonarchie; Die Bukowina als Bühne der Vielfalt; Zur Entfaltung der rumänischen juristisch-administrativen Terminologie) analysiert Odoviciuc das Thema in seiner Entwicklung seit 1848 bis zum Ende der Monarchie 1918. Die Kapiteluntergliederung ist nicht unbedingt leserfreundlich und hätte für den Druck einer Straffung bedurft, was dem Inhalt freilich keinen Abbruch tut. Die einleitenden Kapitel beruhen im Wesentlichen auf Literatur und bieten – zugeschnitten auf die Fragestellung – eine ausreichende Diskussion des Forschungsstandes. Herangezogen werden vorwiegend die für den Raum maßgeblichen Arbeiten von Robert A. Kann, Moritz Csáky, Gerald Stourzh und – was insbesondere die Sprachenfrage in der Habsburgermonarchie betrifft – die grundlegende Studie von Michaela Wolf (Die vielsprachige Seele Kakaniens. Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848-1918, Wien 2012). Die Autorin zitiert, für eine Qualifikationsarbeit ungewöhnlich, wichtige Literatur oftmals nur indirekt, ohne auf das jeweilige Original zurückzugreifen. Ebenso fehlen in der Literaturliste ihre eigenen Publikationen, auf die sie allerdings in der Einleitung selbst verweist. (S. 10) Als Anregung wäre zu prüfen, ob das erwähnte Tagebuch (S. 40, Fußnote 142) von Nicolae Odoviciuc als kritisch kommentiertes Ego-Dokument nicht einem breiteren Publikum erschlossen werden sollte.
Ausgehend von der gerafften gesellschaftspolitischen Darstellung der Habsburgermonarchie in dieser Frage und ihrem maßstäblichen Herunterbrechen auf die Bukowina, kann der Abschnitt über die Terminologie als der eigentliche Hauptteil gesehen werden. Er liefert wichtige Ergebnisse. Von zentralstaatlicher Seite stand – als Konsequenz der Revolution von 1848, hinter die Wien keinesfalls zurück konnte – ein Bemühen im Vordergrund, das versuchte, zwischen den aufstrebenden Nationalitäten und ihrem Verlangen nach politischer Mitsprache bis hin zur Autonomie zu vermitteln. Praktischer Ausdruck dessen waren das Reichsgesetzblatt und – mit Unterbrechung seit 1853 – seine Übersetzung in alle zehn anerkannten Sprachen der Monarchie, wobei das Deutsche stets als authentische Referenz galt und seine Dominanz beibehielt. (S. 63, S. 79) Dem gegenüber standen ein wachsendes Selbstbewusstsein der »Völker« in Cisleithanien – so eben auch der Rumänen – und ein damit einhergehendes, auf Aufwertung und Anerkennung abzielendes Bemühen um »Latinisierung und Okzidentalisierung« der eigenen Sprache. (S. 66) Auf dieser Spannung fußt der empirisch ergiebigste Teil der Studie von Odoviciuc. Sie hält resümierend fest, dass ungeachtet der nationalisierenden Tendenzen in der Herausbildung des modernen Rumänisch der Einfluss des Deutschen durch die Übersetzungen und die damit zusammenhängenden kulturellen Transferprozesse insbesondere in juristischen Texten beträchtlich waren und bis heute ihre Auswirkungen zeigen. (S. 128) Das deutsch-rumänische Fachglossar im Anhang mit Verweisen zur jeweiligen Wortherkunft ist (wie auch die kleineren beispielhaften Tabellen zur Entwicklung der rumänischen Terminologie) als beachtliche Leistung der Autorin zu würdigen. Sie liefert damit für die vergleichende Grundlagenforschung auf diesem Feld wesentliche Grundlagen. So zeigt sich etwa auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen (zum Beispiel den Schulbüchern, den Zeitungsperiodika oder in der Belletristik) allein am Beispiel der Bukowina, welche Bedeutung dem »kulturschaffenden Phänomen des Übersetzens« (S. 75) sowohl von den zentralstaatlichen Behörden als auch den regionalen Interessensgruppen im Alltag beigemessen wurde. Begegneten sich doch beide darin – trotz aller Differenzen – nicht selten in einem überraschenden Konsens. Das offenbar hier im Titel der Studie nicht wertend oder alphabetisch, sondern zufällig gereihte »Gegeneinander, Nebeneinander und Miteinander« gibt die prozesshaft komplexe Entwicklung bis zum Juli 1914 in der Bukowina durchaus realistisch wieder, dominierte doch bis zur kriegerischen Eskalation und ihren katastrophalen Folgen keiner der Begriffe den gesellschaftlichen Diskurs, weder im Kronland noch in der Habsburgermonarchie als größerem Ganzen.
Kurt Scharr
Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2023), Jg. 18, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 132-134.