Die Protokolle des Landeskonsistoriums der Evangelischen Landeskirche in Rumänien 1919–1944. Bearbeitet, kritisch ediert und herausgegeben von Ulrich Andreas Wien und Dirk Schuster unter Mitarbeit von Timo Hagen. Hermannstadt: Honterus-Verlag 2021. Urkundenbuch der evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien. Band 4/1 – Protokolle 1919–1926, XCIV + 573 S.; Band 4/2 – Protokolle 1928–1932, S. V + 574–1092.; Band 4/3 – Protokolle 1933–1938, S. V–LXX + 1093–1732; Band 4/4 – Protokolle 1939–1944, S. V–VI + 1733–2123.
Die vier Bände enthalten die Sitzungsprotokolle des Landeskonsistoriums (fortan: LK) der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien (fortan: EKR) aus der Zwischenkriegszeit. Das LK ist die Regierung der EKR und dient der laufenden Aufgabenerfüllung der Kirche, es leitet die Gesamtgemeinde und ist zugleich Beratungs- und Entscheidungsstelle. Seine Mitglieder sind der Bischof, der Landeskirchenkurator, der Bischofsvikar, drei geistliche sowie sechs weltliche Mitglieder.1Kirchenordnung der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien, <https:// www.evang.ro/fileadmin/user_upload/Kirchenordnung_KO_Internetversion.pdf>, S. 28–29, 4.6.2023. Dadurch dokumentiert die vorliegende Quellenedition die effektive Geschäftsführung der EKR in einer schwierigen Periode ihrer Geschichte, gekennzeichnet durch den Anschluss Siebenbürgens an Rumänien infolge des Zusammenbruchs der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, die Weltwirtschaftskrise sowie die verstärkte Orientierung an Deutschland, vor allem während der Zeit des Dritten Reichs.
Gleich im Vorwort wird festgehalten, dass die »Kirchenregierung« der EKR mehr als ein kirchliches Gremium war. Sie vertrat eine seit dem 12. Jahrhundert bestehende Volkskirche deutscher Muttersprache. Seit der Auflösung der Selbstverwaltung der Siebenbürger Sachsen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts diente die Landeskirche als eine Art »Volksvertretung« der doppelten Minderheit. Somit ist die vorliegende Quellenedition ein wichtiger Beitrag zur Erforschung der Geschichte der Siebenbürger Sachsen.
In der doppelten Einleitung (1. Band, S. IX–XCIV; 2. Band, S. VIII–LXXX) bietet Ulrich Andreas Wien zuerst einen gründlichen Überblick zur Geschichte der Landeskirche bis 1918. Die Gemeinden der Siebenbürger Sachsen waren mehrheitlich vom Siebenbürgischen Bistum in Weissenburg (rum. Alba Iulia) exemt und dem Graner (ung. Esztergom) Erzbistum unterstellt. 1550 hatte die Nationsuniversität, wie der Landtag der Sachsen hieß, die Einführung der Reformation angeordnet. 1553 wurde die Institution des Superintendenten aufgestellt, zuerst für die ehemals exemten Gemeinden, später für die zum Bistum gehörenden Hörigengemeinden. Dadurch wurde eine Institution geschaffen, die alle Gemeinden vertrat. Die Geistlichen bildeten auf den Synoden die sogenannte Geistliche Universität.
Im Rahmen des Fürstentums Siebenbürgen kam es unter staatlichem Druck 1572 zur Annahme des Augsburger Bekenntnisses von 1530. Dadurch erhielten die sächsischen Kirchen die Voraussetzung zur lutherischen Konfessionalisierung. Die Landeskirche war in Kapiteln organisiert, die schon seit dem Mittelalter für die Privilegien der Geistlichen des jeweiligen Kirchsprengels eintraten sowie für Ehe-, Moral- und Disziplinarprozesse zuständig waren.
Der Superintendent war zunächst der Garant der reinen Lehre und für die Einberufung der Synode zuständig. Eine seiner Eingriffsmöglichkeiten war die Generalkirchenvisitation. Mit der Zeit, vor allem nach der Integration Siebenbürgens ins Habsburgerreich, erkämpfte er sich weitere Vorrechte im Bereich der Ordination und der Ehegerichtsbarkeit. Durch die relative rechtliche Gleichstellung der evangelischen Kirchen in Österreich im Protestantenpatent von 1861 eröffnete sich auch für die siebenbürgische Landeskirche die Möglichkeit, sich eine eigene, demokratische Kirchenverfassung zu schaffen. 1867 wurde im Zusammengang des Ausgleiches Österreich-Ungarn geschaffen. Damit begann ein abrupter Übergang von der privilegierten Ständenation des Mittelalters zu einer nationalen Minderheit in dem nationalisierenden und streng zentralisierten Staat Ungarn, in dessen Innenangelegenheiten der Kaiser und König in Wien nicht eingreifen konnte.
Der Historiker und Theologe Georg Daniel Teutsch (1817–1893) wurde 1867 zum Superintendenten gewählt. Im Verband mit weltlichen Fachleuten vertrat er die Etablierung einer neuen Identität, die des »Siebenbürger Sachsen« im Gegensatz zum vorherrschenden lokalen und rechtlichen Selbstbewusstsein des hörigen Sachsen beziehungsweise des »freien« Sachsen. Zur Verwirklichung dieses Ideals bediente sich Teutsch vor allem der Historiografie; er schrieb eine volkstümliche Geschichte der Siebenbürger Sachsen, in der er diese als eine kirchlich-ethnisch einheitliche Gruppe darstellte, die schon seit ihren Anfängen die Attacken der ihr feindlich gesinnten Ungarn in der Gestalt des Adels abwehren musste. Weitere Instrumente waren die kirchliche Administration, die konfessionellen Bildungsanstalten und die sozial-kirchlichen Vereine. Diese Abwehrmentalität, die am ehesten mit dem Bild der befestigten Kirchenburg zu vergleichen wäre, dominierte die Politik der Landeskirche in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg trat eine leichte Entspannung zwischen Staat und Kirche ein.
Während des Ersten Weltkriegs benahmen sich die Sachsen wie exemplarische Bürger und verteidigten ihr Vaterland. Eine besondere Herausforderung stellte der rumänische Angriff am 28. August 1916 auf Südsiebenbürgen dar, viele Bürger und Bauern flohen nach Ungarn. Die meisten kehrten nach dem Zurückschlagen der rumänischen Armee durch deutsche Verbände ab Mitte September 1916 zurück.
Nach dem Zerfall der Doppelmonarchie plädierte die siebenbürgisch-sächsische Elite für den Anschluss der Region an das Königreich Rumänien. Die Angst vor Kommunismus und die schöne Mär von der Selbstbestimmung der Völker hatte überzeugt, dass die Minderheiten in diesem Land bessere Garantien zur Selbstverwaltung bekommen würden, als sie sie in Ungarn hatten. Die Enttäuschung trat bald ein und Ulrich Andreas Wien beschreibt den Übergang auch treffend: »Aus einer westkirchlich geprägten, plurikonfessionellen Gesamtgesellschaft sowie aus einem juristisch und administrativ weitestgehend verlässlichen politischen Rahmen wurde die regionale Bevölkerung herausgerissen. Nach einer kurzen Übergangszeit landete sie in einem Staatswesen, das mit pluralen, heterogenen Identitäten überfordert, von einer ostkirchlich-orthodoxen Mentalität geprägt war und dessen Politiker überwiegend eine Klientelpolitik praktizierten sowie sich an einem balkanische Gepflogenheiten kultivierenden Politikstil orientierten«. (Einleitung I, S. XLI– XLII) Der Anschluss änderte wenig; nach wie vor musste man als doppelte Minderheit in die Abwehr.
Die Landeskirche wurde vom rumänischen Staat als Person öffentlichen Rechts anerkannt und ihre neue Kirchenordnung 1927 von König Ferdinand I. bestätigt. Trotz der Möglichkeit im geschützten rechtlichen Rahmen fortzuwirken zu dürfen, sah sich die Landeskirche mehreren Herausforderungen gestellt. Die finanzielle Lage war schlecht und viertiefte sich infolge der Weltwirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit. Das Kirchenvolk war nicht mehr in der Lage oder verweigerte sogar den finanziellen Aufwand zum Erhalt des kirchlichen Schulwesens. Das neue Kultusgesetz 1928 erlaubte die Gründung von neuen Kultusgemeinschaften und in den meisten Gemeinden entstanden freikirchliche Gemeinden aus den Reihen der ehemals evangelischen Bewohner, die entweder mit den finanziellen Forderungen der Landeskirche oder deren nationalistischer Verkündigung – oder sogar mit beiden – unzufrieden waren. Der härteste Schlag war die 1921 durchgeführte Agrarreform, welche zur Enteignung fast der Hälfte der Grundstücke der Kirchengemeinden und Dekanate führte. Die politische Währungsreform und inflationsfördernde Wirtschaftspolitik Bukarests führten zur Verarmung weiterer Teile der Gesellschaft und Institutionen in den ehemals ungarischen Gebieten. Die völlige Anerkennung und staatliche Mitfinanzierung des kirchlichen Schulwesens sowie die Genehmigung des Staatsabiturs in deutscher Sprache beschäftigte die Landeskirche bis 1940.
Der Nationalsozialismus fand fast von Anfang an Sympathisanten unter den Siebenbürger Sachsen. Bischof Viktor Glondys (1882–1949) hatte bereits 1931 aufgerufen, dass das Gebot der Nächstenliebe den Rassenhass zu überwinden habe, allerdings begrüßte er 1934 die »Auferstehung des deutschen Volkes« durch das »Wunder« Hitler. Seine Ambivalenz sowie die seit 1938 preisgegebene Kritik an dem Rassismus der NS-Ideologie zugunsten einer Symbiose von Nationalsozialismus und Kirche sind bekannte Merkmale einer deutschen Minderheit, die sich im Reich bemerkbar machen will. Die Resistenz der Landeskirche gegenüber den Nationalsozialisten nahm kontinuierlich ab, bis es 1942 zu einem Gesamtabkommen zwischen ihr und der nationalsozialistischen Partei Deutsche Volksgruppe in Rumänien (fortan: DVR) kam, das praktisch eine Gleichschaltung bedeutete. Die NS-Fraktion im LK nutzte von Anfang an die finanzielle Schwäche der Kirche als Schulerhalterin und Managerin der Ruhegehaltskasse der ehemaligen kirchlichen Angestellten aus, um die oberste Kirchenleitung zu diskreditieren und im Volk antiklerikalen Hass zu schüren.
Aus der deutsch-evangelischen Volkskirche wurde eine sächsische Nationalkirche ganz im Sinne der Deutschen Christen. Die »Nazifizierung« der Landeskirche kulminierte 1940 im Verdrängen Glondys’ aus dem Bischofsamt und 1941 durch die Wahl des »Parteisoldaten« Wilhelm Staedel (1886–1971) zu seinem Nachfolger. Die Übergabe des kirchlichen Schulwesens an die DVR erfolgte bald darauf und war ein deutliches Zeichen der Kapitulation der Landeskirche gegenüber der NS-Fraktion. Ulrich Andreas Wien beschreibt diesen Sieg als das Ergebnis eines ambivalenten Prozesses: »Gleichschaltung und Selbstgleichschaltung, Nazifizierung und Selbstnazifizierung vollzogen sich komplementär«. (Einleitung II, S. LXI) Die Nationalkirche brach im September 1944 zusammen, nachdem am 23. August Rumänien die Front wechselte und nun an der Seite der UdSSR Hitler-Deutschland zu bekämpfen anfing.
Vor dem Protokoll jeder Landeskirchenversammlung steht ein Verzeichnis mit den vom LK behandelten Gegenständen in chronologischer Reihenfolge. Jedem Gegenstand geht eine laufende Zahl voraus sowie die Seitenzahl nach, wo sie sich abgedruckt befindet. Dadurch kann der interessierte Leser entweder zu einem spannenden Themenbereich aus den Einleitungen die LK-Beschlüsse nachlesen oder frei durch dieselben stöbern, bis er etwas von Interesse finden kann. Der Wortlaut der Gegenstände ist der ursprüngliche, die Abkürzungen werden ausgeschrieben, allerdings keine erklärenden Fußnoten gesetzt. Diese erfolgen im Haupttext der Edition. Die Wiedergabe des Textes ist für die Edition nur minimal verändert worden. Der vierte Band enthält die Kurzbiografien der wichtigsten Persönlichkeiten aus den Protokollen und endet mit einem Abkürzungsverzeichnis.
Die Edition ist so gedacht, dass die zwei Einleitungen einen umfassenden Einblick in die Geschichte der evangelischen Kirchengeschichte A. B. in Rumänien auch für den in siebenbürgischen Angelegenheiten nicht sachkundigen Leser anbieten; die LK-Protokolle können dafür eher den historisch interessierten Forscher animieren. Trotz der knappen Formulierungen überwältigt das Arbeitsvolumen der evangelischen Kirchenregierung aus der Zwischenkriegszeit.
András Bándi
Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2023), Jg. 18, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 126-129.