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Die Razzia in der Šajkaška und in Novi Sad 1942

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Von Zoran Janjetović

Die Šajkaška (dt. hist. Tschaikisten-Distrikt) ist ein Gebiet am südöstlichen Zipfel der Batschka (sr. Bačka), zwischen der Donau, der Theiß, dem Großen Batschka-Kanal und bis Temerin und Nadalj im Westen, wo seit dem 15. Jahrhundert die einheimischen Serben mit den Booten („Tschaike“) an der Grenze Flusswache hielten. Die größte Stadt ist Neusatz (sr. Novi Sad, ung. Újvidék), die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden ist. Ab dem 18. Jahrhundert entwickelte sie sich zum wichtigsten serbischen Kulturzentrum im Habsburgerreich. Im 19. Jahrhundert wurde Novi Sad zum Sitz der Matica srpska (älteste serbische Kulturvereinigung) und des Serbischen Volkstheaters. Wegen ihrer Bedeutung galt die Stadt im Volksmund als „Serbisches Athen“. Nach dem Ersten Weltkrieg verlor sie für die Serben wegen der Nähe zu Belgrad ein wenig an politischer und kultureller Bedeutung, entwickelte sich aber im neuen Staat zum Zentrum der deutschen nationalen Minderheit. 1929 erfuhr Novi Sad jedoch wieder eine politische Aufwertung durch den Sitz der Donaubanschaft (sr. Dunavska banovina) als eine von neun neuen administrativen Provinzen.

Nach der Niederlage und Zerstückelung Jugoslawiens im Krieg gegen Deutschland und seine Verbündeten im April 1941 wurde die Batschka erneut Ungarn eingegliedert. Da Budapest eine Restauration der Lage vor dem Ersten Weltkrieg anstrebte, verlor Novi Sad den ersten Rang gegenüber Sombor (ung. Zombor), dem traditionellen Zentrum der Batsch-Bodroger Gespanschaft. Wegen ihrer mehrheitlich serbischen Bevölkerung (60 Prozent Serben, darüber hinaus rund 10 Prozent Deutsche, fast 10 Prozent Juden, Magyaren und andere verteilten sich auf den Rest) und deren kulturellen Einrichtungen, des Gymnasiums und des Bischofssitzes war die Stadt für die Serben auch im vergrößerten Ungarn von großer Bedeutung.

Die Wiedereinführung der ungarischen Oberhoheit in der Batschka ging mit wahllosen Erschießungen und Gewaltexzessen gegen die serbische und jüdische Bevölkerung einher, gefolgt von einer dauerhaften nationalen Diskriminierung und Unterdrückung dieser beiden Gruppen. Die Donauschwaben waren mit der Wiedereinführung der ungarischen Administration nicht zufrieden, beugten sich aber den Anweisungen aus dem mit Ungarn verbündeten Deutschen Reich. Auf die nationalen Bedürfnisse anderer Volksgruppen (Slowaken, Rusinen, Kroaten) war die Budapester Regierung eher geneigt einzugehen und diese in gewissen Grenzen zu tolerieren, solange sie nicht zu offensiv vorgetragen wurden.

Der einzige echte Widerstand kam von der Kommunistischen Partei Jugoslawiens (KPJ). Im April 1941 hatte sie in der Batschka etwa 400 Mitglieder, ungefähr 30 Prozent davon Ungarn und der Rest fast nur Serben. Die kommunistische Jugendorganisation zählte rund 1.200 Mitglieder. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion begann die KPJ – auf Moskaus Befehl – mit dem Aufstand gegen die Okkupanten. Er zeigte sich am stärksten in den überwiegend serbisch besiedelten Teilen Jugoslawiens, da das Okkupationsregime überall auf Unterdrückung der Serben basierte. In der Batschka, wo die Serben weniger als ein Drittel der Bevölkerung ausmachten und die KPJ noch schwächer als anderswo war, tobte sich der Aufstand vor allem in Form von Erntebränden und vereinzelten Attacken auf Gendarmen und Soldaten aus. Durch Überläufer unter den ungarischen Kommunisten und mehrere erfolgreiche Polizeiaktionen wurde ein großer Teil der Kommunisten verhaftet und der Aufstand im Herbst 1941 lahmgelegt.

Trotzdem konnte Anfang November 1941 die erste Šajkaš-Partisanenabteilung gegründet werden, die zwischen 30 und 60 Mann hatte und in der Nähe der Šajkaš-Dörfer Čurug (ung. Csurog), Josefsdorf (sr. Žabalj, ung. Zsablya), Đurđevo (ung. Sajkásgyörgye) und Frauendorf (sr. Gospođinci, ung. Boldogasszonyfalva) operierte. Sie war an einigen kleineren Schießereien mit den ungarischen Sicherheitsorganen beteiligt, bei denen es Opfer auf beiden Seiten gab. Am 4. Januar 1942 erlitt die Abteilung eine ernste Niederlage, woraufhin sich ihre Mitglieder in die umliegenden Dörfer zerstreuten. Auf Basis von erfundenen Nachrichten über einen angeblich bevorstehenden Serbenaufstand und einen massenhaften Zulauf aus dem Banat entschloss sich das ungarische Innenministerium dazu, die ganze Gegend zu durchforsten, die Partisanen auszumerzen und die aufsässige Bevölkerung einzuschüchtern. Zu diesem Zweck wurde Verstärkung geholt: Die 15. Infanteriebrigade aus Sombor unter Oberst Josef Grassy wurde nach Novi Sad verlegt und die 21. Brigade aus Hallasch (ung. Kiskunhalas) nach Žabalj. Der gepanzerte Zug der 2. Kavalleriebrigade patrouillierte entlang der Grenze der Aktionszone. Ferenc Szombathelyi, Chef des Hauptgeneralstabs, ernannte den General-Leutnant Ferenc Feketehalmy-Czeydner, Kommandeur des 5. Armee-Korps in Segedin (ung. Szeged), zum Befehlshaber der gesamten Operation, während der Kommandeur der 9. Infanterie-Regimente, Oberstleutnant László Deák, mit der Leitung vor Ort betraut war. Die ganze Šajkaška wurde abgeriegelt. Die Razzia, die zehn bis 15 Tage dauern sollte, begann am 6. Januar 1942 mit der Aushebung von Čurug, wo ungefähr 890 Menschen ermordet wurden. An der Tat beteiligten sich auch ungefähr 50 bewaffnete ungarische Zivilisten unter der Führung der örtlichen Notare. Viele Opfer wurden gefoltert, um das Geständnis von ihnen zu erpressen, einen bewaffneten Aufstand geplant zu haben. Ungefähr 400 kamen ums Leben bei einem Fluchtversuch, als die Geiseln aus einer Scheune losgebrochen sind. Ähnlich ging man in anderen Ortschaften des Titeler und Žabaljer Bezirks vor. Gewöhnlich wurde in jedem Ort ein Identifikationsausschuss gegründet, in dem die angesehensten Ungarn saßen, die die Identität beziehungsweise die politische Zuverlässigkeit der serbischen und jüdischen Bewohner „überprüften“ und praktisch über Leben und Tod entschieden. Dabei waren häufig alter Hass, Streitigkeiten, Nationalismus, persönlicher Neid, Habsucht und andere Motive maßgebender als Staatsloyalität der Opfer, die vor ihrer Ermordung oftmals grausam gefoltert wurden. Am stärksten waren Čurug, Josefsdorf, Đurđevo, Mošorin (ung. Mozsor) und Frauendorf betroffen, während prominente, rechtschaffene Ungarn in Nadalj, Kać, Waldneudorf (sr. Budisava, ung. Tiszakálmánfalva), Gornji und Donji Kovilj (ung. Kabol) ihre serbischen Mitbürger vor den Gräueltaten retteten. Insgesamt kamen nach jugoslawischen Nachkriegserhebungen 2.345 Menschen im Šajkaš-Gebiet um, nach offiziellen ungarischen Angaben waren es 2.291.

Allerdings waren die Täter damit noch nicht zufrieden. So meldete am 12. Januar 1942 Feketehalmy-Czeydner dem Verteidigungsminister Károly Bartha, dem Innenminister Ferenc Keresztes-Fischer und dem Chef des Hauptgeneralstabs Ferenc Szombathelyi, dass die Partisanen sich nach Novi Sad abgesetzt hätten, so dass man die Razzia auch dort durchführen sollte. Die Minister gaben grünes Licht und in den darauffolgenden Tagen wurde ein Plan ausgearbeitet. Auf der Konferenz in Thomasberg (sr. Srbobran, ung. Szenttamás) am 19. Januar 1942 beauftragte Feketehalmy-Czeydner den Oberst Grassy mit der Durchführung der Razzia in Novi Sad.

In der Nacht vom 20. auf den 21. Januar riegelten Grassys Truppen die Stadt ab und kappten die Telefonlinien. Am frühen Morgen gab Grassy den Beginn der Razzia bekannt und befahl der Bevölkerung, zu Hause zu bleiben und Kirchen, Geschäfte und Gaststätten geschlossen zu halten. Die Stadt wurde in Reviere aufgeteilt und von Patrouillen, geführt von ortskundigen ungarischen Zivilisten, durchgekämmt. Über 20.000 Personen mussten vor dem Identifikationsausschuss erscheinen und diejenigen, die ihre Identität beziehungsweise „Unschuld“ nicht beweisen konnten, kamen vor das Standgericht, das Grassy organisierte. Am ersten Tag wurden bis zu 30 Menschen ermordet und durch Eislöcher in die zugefrorene Donau geworfen. Die Entscheidungsträger waren mit den Resultaten jedoch unzufrieden und brachten dies beim Treffen am Abend des 21. Januar zum Ausdruck. Um einen Vorwand für massenhafte Erschießungen zu schaffen, wurden am 22./23. Januar Schießereien inszeniert, zur „Rechtfertigung“ dieser Aktion spielten einige Soldaten „Verwundete“. Den Opfern, die für „Aufständische“ erklärt worden waren, steckte man Pistolen und Handgranaten in die Hände und in die Taschen. Am 23. Januar gab es die meisten Toten, nachdem die Menschen direkt zur Schießstätte am Donauufer geführt worden waren.

Insgesamt wurden in Novi Sad 1.246 Opfer gezählt (nach ungarischen Angaben 879) – vor allem Angehörige der serbischen und jüdischen Ober- und Mittelschicht. Es kam zu Massenplünderungen durch Soldaten, Gendarmen und ungarische Zivilisten, die teilweise dafür aus entfernteren Orten gekommen waren. Die Versuche des Gespans Péter Fernbach und des Bürgermeisters Miklós Nagy, das Blutvergießen zu stoppen, misslangen. Die Mordaktionen wurden anschließend auch auf andere Ortschaften ausgedehnt. So wurden in Altbetsche (sr. Stari Bečej, ung. Óbecse) zwischen dem 26. und 29. Januar 110 Juden, 102 Serben und 13 Andersnationale ermordet. Schließlich ordnete der Generalstabschef Szombathelyi das Ende der Aktion an und befahl den Truppen, in ihre Kasernen zurückzukehren. Nach jugoslawischer Erhebung kamen in Novi Sad und in der Šajkaška während dieser „kalten Tage“ (wie sie nicht nur wegen der außergewöhnlichen Kälte genannt wurden) 2.578 Serben und 1.068 Juden ums Leben. Nach ungarischer Berechnung waren es 2.550 Serben, 743 Juden, elf Magyaren, 13 Rusinen, sieben Deutsche und 16 andere. Bisweilen wurden ganze Familien ausgelöscht, damit niemand Rache nehmen konnte. Die Juden waren unter den Opfern überproportional vertreten und in Novi Sad und in Stari Bečej sogar zahlreicher als die Serben.

Die Aktion hatte mehrere Ziele. Die Partisanenbewegung sollte vernichtet und zugleich die serbische Bevölkerung von weiteren Aufstandsversuchen abgeschreckt werden. Es ist noch nicht geklärt, ob diese Aktion auch als Teil des Holocaust zu betrachten ist, aber ganz sicher war sie als Schlag gegen die jüdische Bevölkerung gedacht. Außerdem gab es auch wichtige außenpolitische Gründe für die Razzia: Man hoffte in Budapest, die Unfähigkeit der deutschen Behörden im Banat unter Beweis zu stellen und das Eindringen der Partisanenbewegung in die Batschka zu verhindern und, um dadurch die Übergabe der Provinz an Ungarn zu bewegen. Noch viel wichtiger war es, dem deutschen Außenminister Joachim von Ribbentrop und dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Wilhelm Keitel, die gerade zu jener Zeit in Budapest weilten, vorzuführen, dass Ungarn nicht imstande sei, so viele Truppen – wie sie verlangten – an die Ostfront zu schicken, da man stark mit dem Kampf gegen die kommunistischen Gruppen, die aus dem Balkanraum einzufallen drohten, befasst war.

Allerdings ging die Rechnung nicht auf. Das Ansehen Ungarns im Ausland schwand weiter wie auch die Möglichkeit einer Loslösung vom Dritten Reich und einer Annäherung an die Westmächte. Im Lande wurde die Situation der Serben zwar weitgehend befriedet, die Aktion führte jedoch zum verstärkten Widerstand. Die ungarische Opposition mit Endre Bajcsy-Zsilinsky protestierte vehement gegen die barbarischen Methoden der Sicherheitskräfte. Unter Druck musste Szombathelyi eine Untersuchung zulassen, die der Reichsverweser Miklós Horthy zunächst im August 1942 stoppte, um die Moral der Offiziere nicht zu untergraben. Trotzdem wurde die (allerdings milde!) Bestrafung der involvierten Gendarmen fortgesetzt.

Die Untersuchung wurde im Oktober 1943 wieder aufgenommen, als die ungarische Spitze – nach der Kapitulation Italiens – erneut Versuche unternahm, sich aus dem Krieg zurückzuziehen. Den Familien der ermordeten Serben (nicht aber der Juden!) wurde Entschädigung gewährt und am 14. Dezember begann der Prozess gegen Feketehalmy-Czeydner und vierzehn weitere Hauptverantwortliche vor dem Königlichen Militärgericht in Budapest. Sie wurden wegen Nichtbefolgung der Befehle und Überschreitung ihrer Machtbefugnisse angeklagt, nicht aber wegen Massenmord. Die vier Erstangeklagten wurden zum Tode verurteilt, die anderen zu zehn bis 15 Jahre Haft. Mitte Januar flohen Feketehalmy-Czeydner, Grassy, Dr. Leó Deák (Batsch-Bodroger Großgespan) und Gendarmenhauptmann Márton Zöldi nach Deutschland, was – wie der Prozess selbst – einmalig in der ungarischen Militärgeschichte war. Sie fanden bei der SS Unterschlupf und kehrten wenige Monate später mit den deutschen Truppen nach Ungarn zurück. Allerdings wurden sie, wie Szombathelyi, der sich beim ersten Prozess noch der Verantwortung entziehen konnte, nach dem Krieg zum Tode verurteilt und nach Jugoslawien ausgeliefert, wo sie hingerichtet wurden.

In der Batschka selbst hatte die Razzia auch Folgen am Ende des Krieges. Nachdem die Rote Armee und die Partisanen im Oktober 1944 die Vojvodina befreit hatten, kam es zu Massenerschießungen der einheimischen Ungarn. Die Opferzahl ist nach wie vor umstritten, aber die Schätzungen bewegen sich zwischen 2.000 und 40.000. Allerdings können nicht alle diese Opfer nur als Vergeltung für die Razzia angesehen werden: Die Magyaren (ebenso wie die Deutschen und Serben) wurden in der ganzen Provinz im Rahmen des allgemeinen Vorgehens der Partisanen gegen Kollaborateure, Amtsträger des Okkupationsregimes, an Kriegsverbrechen Beschuldigte und „Klassenfeinde“ ermordet. Es steht jedoch fest, dass die Rache in der Šajkaška besonders brutal war. Auch wenn sich die Politik gegenüber der ungarischen Minderheit ab Dezember 1944 zum Besseren wendete, ging die Vergeltung in der Šajkaška weiter: Im Januar 1945 kamen auf Verlangen der serbischen Bewohner die lokalen Magyaren aus Čurug, Mošorin und anderen Orten, die von der Razzia betroffen gewesen waren, in Konzentrationslager, wo sie bis Mitte des Jahres verblieben. Auch anschließend wurde ihnen die Rückkehr in ihre Heimatorte untersagt.

In Ungarn veröffentlichte 1964 Tibor Cseres, der selbst als Offizier wenige Tage nach der Razzia die Batschka besucht hatte, den Roman Hideg napok [Kalte Tage], der ins Serbische, Rumänische, Deutsche, Polnische, Französische, Tschechische und Englische übersetzt wurde. 1966 folgte ein gleichnamiger Spielfilm. Ansonsten blieben die Verbrechen an Ungarn in der Vojvodina bis in die 1990er-Jahren unbekannt und unerforscht. Erst im Rahmen der Recherchen der kommunistischen Verbrechen wurden auch diese Ereignisse thematisiert. Mit Blick auf die gegenwärtigen guten serbisch-ungarischen Beziehungen gewinnt man den erfreulichen Eindruck, dass mindestens aus diesen tragischen Vorfällen Lehren für die Zukunft gezogen worden sind.

Zoran Janjetović ist Historiker und arbeitet als wissenschaftlicher Berater am Institut für Neuere Geschichte Serbiens (sr. Institut za noviju istoriju Srbije) in Belgrad. Er hat zahlreiche Monografien und Studien zur Geschichte der Donauschwaben veröffentlicht.

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2022), Jg. 17, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 237–240.