Gerhard Seewann, Michael Portmann: Donauschwaben. Deutsche Siedler in Südosteuropa. Potsdam: Verlag des Deutschen Kulturforums östliches Europa 2020. 371 S.
Von Ágnes Tóth
Es ist immer eine besondere Herausforderung, wenn man wissenschaftliche Fragen und Probleme für ein Laienpublikum überschaubar und leicht zugänglich zusammenfassen möchte. Warum? Erstens müssen die Verfasser nicht nur die neuesten Forschungsergebnisse, sondern auch alle Details gut kennen. Nur so lässt sich eine Synthese erstellen, die die Priorität der Ereignisse und eine empfindliche Bilanz der Prozesse zeigen kann. Zweitens besteht die Schwierigkeit dieses Vorhabens darin, dass man den gewohnten wissenschaftlichen Apparat (zum Beispiel Fußnoten, Bemerkungen etc.) nur begrenzt benutzen kann, obwohl man die einzelnen Aussagen im Text immer begründen und den Lesern auch eine Möglichkeit zur weiteren Orientierung bieten soll. Die Autoren des Bandes Donauschwaben nahmen diese schwere Aufgabe auf sich, als sie das Buch zu schreiben begannen. Vor allem mussten sie die Bevölkerungsgruppen, deren Geschichte sie behandeln wollten, klar definieren, denn das ist gar nicht so selbstverständlich. Zwar wurden alle Einwanderer, die aus den südwestlichen Gebieten des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation ins Königreich Ungarn einwanderten und entlang der mittleren Donau angesiedelt wurden, von den ungarischen Behörden stereotyp als „Schwaben“ bezeichnet, doch waren diese Zehntausende keineswegs eine einheitliche Gruppe. Die Siedler des 18. Jahrhunderts waren sprachlich und ethnisch sehr heterogen, konfessionell sehr vielfältig und auch in ihrer sozialen Schichtung unterschiedlich. Neben Bauern kamen vor allem Handwerker, deren Anteil innerhalb der Kolonisten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erheblich zunahm. Sie hatten nur wenige Kontakte zu ihren Herkunftsländern, und auch untereinander hatten sie kaum Beziehungen ausgebaut. Dazu kommt, dass die Bedingungen in den Gebieten, in denen diese Personen angesiedelt wurden, sehr unterschiedlich waren. Später hatten auch die einzelnen Regionen in der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie eigene, besondere Entwicklungswege. Deshalb waren sich die Siedler selbst bis ins 20. Jahrhundert keiner Gemeinsamkeiten oder Gemeinschaftlichkeiten bewusst. Der Wendepunkt war der Erste Weltkrieg und der Zerfall der Doppelmonarchie. Die neuen Staatsgrenzen durchtrennten zahlreiche deutsche Siedlungsgebiete. So waren viele Deutsche nicht mehr Schwaben in Ungarn, sondern zählten zu der deutschen Minderheit in Rumänien, in Jugoslawien und in Ungarn.
Die neue Situation nach dem Ersten Weltkrieg ergab „ein neues Gemeinschaftsbewusstsein: das Bewusstsein, einer grenzübergreifenden ethnischen Gruppe mit einer gemeinsamen Vergangenheit anzugehören, die nach einer neuen Bezeichnung verlangte“ (S. 13), wie es die Verfasser formulieren.
Die Bezeichnung „Donauschwabe“ wurde aus diesem Bedürfnis 1923 von den beiden Geografen Robert Sieger, Professor an der Universität Graz, und Hermann Rüdiger, Mitarbeiter am Deutschen Ausland-Institut in Stuttgart, eingeführt. Allerdings wurde der Inhalt des Begriffs während des 20. Jahrhunderts mehrmals geändert (zum Beispiel wurde er Ende der 1930er-Jahre zunächst von den Schwaben in Jugoslawien als Eigenbezeichnung übernommen, oder diese Gruppen sahen sich nach dem Zweiten Weltkrieg wiederum als Ungarndeutsche, bis 1991 als Jugoslawiendeutsche sowie – in Rumänien – als Banater und Sathmarer Schwaben). Wie die Autoren des Buches feststellen, ist die Gruppenidentität der Donauschwaben keine naturgegebene Selbstverständlichkeit. Den Begriff kann man jedoch heute allgemein als Sammelbezeichnung für die Nachkommen all derjenigen Siedler, die im 18. Jahrhundert aus deutschen Territorien in das Königreich Ungarn eingewandert waren, verwenden.
Die Geschichte einer ethnischen, konfessionellen oder nationalen Minderheit kann man nicht an und in sich untersuchen. Man muss parallel dazu immer auch die Prozesse in der Region, in dem Land und in der Mehrheitsgesellschaft analysieren. Nur so kann man die Unterschiede, die Bruchlinien innerhalb der Gesellschaft feststellen und deren Ursachen aufdecken. Diese Fragen zu beantworten ist besonders schwer, weil die Aufarbeitungen teilweise noch gar nicht oder nur sehr beschränkt zur Verfügung stehen. Der Grund dafür ist, dass die Geschichtsschreibung in diesen mittel- und südosteuropäischen Ländern den historischen Verlauf von Ereignissen meistens nur unter nationalen Aspekten betrachtet und auf einen breiteren Kontext nur selten Rücksicht nimmt.
Die Autoren gehen davon aus, dass man immer auch einen Vergleich anstellen soll, was absolut zu begrüßen ist, denn nur so kann man die Differenzen und die Eigenart der Prozesse aufzeigen. Diese Absicht wurde von den Autoren konsequent durchgeführt. So konnten sie die Geschichte einer vielfältigen, teilweise diversen, absolut nicht homogenen Gruppe als eine einheitliche Geschichte mit unterschiedlich geprägten Schicksalswegen präsentieren. Diese Betrachtungsweise ergibt ein komplexeres Bild in vielen Fragen als das gegenwärtig verbreitete.
Die Geschichte der Donauschwaben wurde im Band in neun Hauptkapitel unterteilt, die die Ereignisse in chronologischer Folge behandeln. Die ersten vier Kapitel besprechen die Geschichte der Donauschwaben in einer einheitlichen Struktur. Die verschiedenen Siedlungsgebiete werden in den Unterkapiteln aufgearbeitet. Nach 1914 wird das Schicksal der Donauschwaben-Gruppen nach einzelnen Ländern (Ungarn, Jugoslawien, Rumänien) behandelt. Das 8. Kapitel bietet einen Überblick über die Donauschwaben nach der politischen Wende (1989/90). Im letzten Kapitel findet man die wichtigsten Informationen über den Neuanfang in Deutschland, Österreich und Übersee. Der sozialistischen Zeit wird in diesem Buch leider weniger Aufmerksamkeit geschenkt als den früheren Zeitperioden. Diese Tatsache ist vielleicht darauf zurückzuführen, dass die diesbezüglichen Forschungsergebnisse noch nicht oder nur in geringem Maße zur Verfügung stehen.
Bei einem Buch, das man für ein breites Publikum schreibt, müssen immer auch die passenden Mittel der Präsentation gefunden werden. Diese Aufgabe konnten die Autoren gut lösen. Die von ihnen ausgewählten Bilder, Karten und Auszüge der Dokumente fungieren nicht nur als einfache Illustrationen, sondern auch als wichtige Ergänzung des Textes. Das heißt: Diese Dokumente haben einen eigenen Informationswert im Zusammenhang mit der Geschichte. Besonders interessant sind die Auszüge der Egodokumente (Briefe, Tagebücher, Erinnerungen etc.), in denen die Personen gezeigt werden, die an den Geschehnissen beteiligt waren. Diese Dokumente wurden mit Überschriften, die ebenfalls Zusatzinformationen beinhalten, sehr informativ kontextualisiert.
Die Erläuterungen zu den Fachbegriffen sind auch für die Leser sehr wichtig, zum Beispiel Komitate, Kuruzzen, Neoacquistica, die Wiener Schiedssprüche etc. Sie wurden in dem Buch auch typographisch getrennt sichtbar gemacht. Diese Kommentare liefern den Lesern eine wertvolle Lesehilfe. Die Zeittafel, in der sich die wichtigsten Daten der Ereignisse finden, und das ausgewählte Literatur- und Quellenverzeichnis dienen gleichfalls der weiteren Orientierung der Leser. Im Buch findet sich noch ein Personen- und Ortsverzeichnis, wobei letzteres einen Überblick über die Ortsnamenänderungen gibt.
Die Herausgeber schreiben im Vorwort Folgendes: Die bis jetzt veröffentlichten populären Publikationen „über die Donauschwaben sind vor allem landsmannschaftlich geprägte Darstellungen, die sich auf die Geschichte einzelner Ortschaften und Regionen beziehen. […] Die (kultur-)historische Südosteuropaforschung, die in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht hat, befasst sich auf wissenschaftlichem Niveau immer wieder auch mit den Donauschwaben. Die Publikationen richten sich aber zunächst an das interessierte Fachpublikum und nicht an ein breites Lesepublikum. Was bisher fehlte, ist ein illustriertes Handbuch, das auf wissenschaftlicher Grundlage die wesentlichen Stränge der donauschwäbischen Geschichte anschaulich erzählt und in Kontexte einbindet.“ (S. 10) Wer das Buch Donauschwaben gelesen hat, kann feststellen, dass ein solches, von den Herausgebern im Vorwort beschriebenes Buch nicht mehr fehlt.
Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2021), Jg. 16, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 103–105.