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Edith Ottschofski: Clipe – Augenblicke – Clins d’œil | Rezension

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Mehrsprachiger Leckerbissen

Edith Ottschofski: Clipe – Augenblicke – Clins d’œil. Gedichte (Seria poezie). Übersetzungen von Nora Iuga und Alain Jadot. Bukarest: Casa de pariuri literare 2021. 28 S.

Die Mehrsprachigkeit ist Edith Ottschofski schon in die Wiege gelegt worden. Die gebürtige Temeswarerin wuchs in dem mehrsprachigen Umfeld ihrer Heimatstadt auf, das sie auch in ihrer Lyrik immer wieder thematisiert. Durch ihr Französisch-Studium erweitert sie ihre Sprach- und Kulturkompetenz um eine weitere Dimension. In ihrer neuesten Publikation, die 2021 dreisprachig erschienen ist, geht es jedoch weniger um ihre eigene sprachliche Performanz, vielmehr werden ihre Gedichte von zwei Muttersprachlern jeweils ins Rumänische und Französische übersetzt. Das Ergebnis ist ein dreisprachiges schmales Bändchen, das der Bukarester Verlag Casa de pariuri literare [Haus der literarischen Wetten] herausgebracht hat.

„Und wenn ich in dein augenblau blick` / bläust du es mir / ein / und wenn ich mich / in dein augenbraun schickt` / schwärztest du`s mir / ein!“, schreibt Edith Ottschofski in dem titelgebenden Gedicht, das bereits 2010 in dem Gedichtband schaum der wörter erschienen war. In der vorliegenden dreisprachigen Ausgabe geht es auch nicht primär um Neuerscheinungen, vielmehr um eine harmonische Zusammenschau von übersetzungstauglicher Lyrik der in Berlin lebenden Autorin, die dadurch in verschiedenen Sprachräumen präsent ist. Das entspricht auch dem Programm des engagierten jungen Bukarester Verlags, der sich unter dem ungewöhnlichen Namen literarischer „Wetten“ (oder eher „Wetteinsätze“) zum Ziel gesetzt hat, die rumänische Literatur durch „Impulsgebung“ zu befeuern und zu bereichern. Nora Iuga, die hoch betagte (* 1931) grande dame der rumänischen Lyrik, Germanistin und Übersetzerin aus der deutschen Literatur, ist wohl zumindest Mentorin dieses Projekts, denn die erste Veröffentlichung des Verlags im Jahr seiner Entstehung 2010 war die Herausgabe ihres Gedichtbandes Spitalul manechinelor [Das Krankenhaus der Mannequins]. Im vorliegenden Buch kommt Nora Iuga als Übersetzerin der Gedichte Edith Ottschofskis ins Rumänische zu Wort. Gemeinsam mit der Autorin hat sie das Buch auch bei den Reschitzaer Literaturtagen 2021 vorgestellt. Nach ihrer Auffassung verleiht die Präsentation der Gedichte in drei verschiedenen Sprachen den lyrischen Personen durch die jeweilige sprachliche Perspektive visuell wie auditiv „neue Valenzen“. Für die französischen Valenzen sorgt Alain Jadot, der als Übersetzer in Berlin lebt.

Der erste Teil des Bandes enthält neuere Gedichte der Autorin, datiert 2019 und 2020, die wohl hauptsächlich in Bahnen des Berliner Nahverkehrs entstanden sind und entsprechende Momentaufnahmen und Beobachtungen, flüchtige begegnungen (S. 6), wie ein Titel treffend suggeriert, festhalten. „die resolute frau in der bahn / thront auf ihrem sitz / versperrt zwei andere / mit dem vollbepackten rad / […] quergeschürzt ne tasche / fährt sie durch die halbe stadt / […] beflissen sich dabei bildend / eifrig lesend / einen schundroman.“ Die Wahrnehmungen münden nicht selten in ironische, augenzwinkernde Kommentare: „der pc wartet schon / und auch das telefon / die tasche auf ihrem platz / unten neben dem sitz / die jeanshose ist nur / an beiden knien eingeritzt / petite liberté“. (petite liberté, S. 10) Eine Sonderstellung nimmt das Gedicht französisch angehaucht / in der nacht (S. 15f.) ein, das wie zufällig die drei (oder zumindest zwei) Seelen in der Brust der Autorin vereint: In Temeswar erfährt sie in der Nacht vom 15. auf den 16. April 2019 vom Brand der Kathedrale Notre-Dame in Paris, wo sie als Studentin auch mal kurzzeitig zu Hause war. „ich aber übernachte in einem zimmer / das ich aus meiner schulzeit kenne / […] den graf von monte christo / en français hatte ich mir ausgeliehen / damals / als von frankreich / nur zu träumen war“ (S. 15).

Der zweite Teil ist eine Auswahl von Gedichten aus dem Gedichtband im wohlklang unverhohlen, der 2018 im Ludwigsburger Pop-Verlag erschienen ist. Neben Alltagsreflexionen („im düsteren morgengrauen / steige ich in die bahn / die fährt mich, wie alle anderen / in den moloch großstadt“, S. 21) stehen auch Erinnerungen an Kindheitstage und an das Temeswarer Flair („in der eisigen küche / steht frau schmidt / und tranchiert / das hendl / […] die freundin unterdes / macht sich fein / für den kirchgang / sonntagfrüh / in temeswar“, madeleine, S. 17).

Ein Gedicht erinnert an Herta Müllers Buch Reisende auf einem Bein, wenn es heißt: „menschenmassen strömen in den bahnhof / hungrig und müde reihe ich mich ein / der zug fährt mich abends wieder ins grüne / stadtauswärts wandre ich auf einem Bein.“ (S. 20) Symbolhaft für den Identitätswirrwarr, dem die Autorin (wie wir alle) ausgesetzt ist, steht das dem großen Wiener Sprachspieler Ernst Jandl gewidmete Gedicht pastiche, mit dem der Band endet: „ich bin nicht gerne, wer ich bin / ich wäre nicht gerne / wer ich nicht bin / ach, wäre ich gerne / wer ich nicht bin / wäre vielleicht ich lieber, wer ich bin.“ (S. 26)

Nora Iuga empfiehlt Edith Ottschofskis Gedichtband als „Leckerbissen“. Dem möchte man sich gerne anschließen.

Halrun Reinholz

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2022), Jg. 17, IKGS Verlag, München, S. 248–249.

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