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Gabriela Adameșteanu: Das Provisorium der Liebe | Rezension

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Bemerkungen einer Zeitgenossin

Gabriela Adameșteanu: Das Provisorium der Liebe. Roman. Aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme. Berlin: Aufbau Verlag 2021. 480 S.

In mein rumänisches Exemplar des Romans Provizorat [Das Provisorium der Liebe] schrieb die Autorin: Zur Erinnerung an unser Leben in Drumul Taberei.

Wir haben eine Weile beide im selben Bukarester Hochhausviertel gelebt, und ihr Sohn ging in die Schule, in der ich als Deutschlehrerin arbeitete. Ich habe mein Bukarest in dem Buch wiedererkannt und teilweise auch das Milieu, das die Autorin schildert. Was mir eher fremd war, bezog sich auf die fürchterliche Zeit ab 1940 und die erste Zeit im Kommunismus, als die vielbeschworene rumänisch-russische Freundschaft, über die wir in der Schule unterrichtet wurden, seltsame, hässliche Blüten trieb und die Familienakten eine entscheidende Rolle spielten. Die Nachkommen aus Familien mit einem politischen Makel (aus der Sicht der Kommunisten) wurden in Sippenhaft genommen und ihre Leben waren von vornherein beschädigt.

Der Leser lernt Letiția Branea in dem Roman Der gleiche Weg an jedem Tag kennen (1975 auf Rumänisch erschienen, 2013 von Georg Aescht ins Deutsche übersetzt), ein junges Mädchen, das mit der Mutter und einem Onkel, der ihr den Vater ersetzt, in beengten Verhältnissen in der Provinz lebt und davon träumt, in der Hauptstadt zum Studium zugelassen zu werden. Ihr Vater ist im Gefängnis, und es gibt ein Familiengeheimnis, das in den Akten der Securitate vermerkt ist. Letiția hat aber das Glück, dass eine politische Tauwetterperiode anbricht und sie trotzdem studieren darf.

„Wer […] ist Letiția Branea?“ (S. 216 und S. 430) Diese Frage wird im Roman zweimal gestellt, einmal vom Pförtner im Studentinnenwohnheim, der ihr die Nachricht vom Tod des Onkels überbringt, und das zweite Mal von einer Studentin, die Letiția mitteilt, dass ihr Geliebter Petru vor dem Heim auf sie wartet. Diese Frage könnte als Motto über dem ganzen Buch stehen, denn es geht hier um die komplizierte Identitätsfindung einer jungen, sensiblen Frau. Sie heiratet Petru Arcan nach dem Tod ihres Onkels aus Liebe und aus Zukunftsangst, aber auch um den Makel in ihrer Familiengeschichte hinter sich zu lassen. Letzteres gelingt ihr nicht, denn Petru sieht in Letițias Akte den Grund dafür, dass seine Doktorarbeit nicht zugelassen wird und er ein ewiger Doktorand bleibt.

Der zweite Roman der Trilogie Das Provisorium der Liebe (2010) erscheint erst fünfunddreißig Jahre später und wird 2021 ins Deutsche übersetzt. Letiția Arcans Ehe ist gescheitert, sie hat einen Geliebten. Mit Petru führt sie eine sprachlose Ehe. Sie trifft sich mit ihrem Kollegen Sorin Olaru, dessen Herkunft nur die Securitate kennt, im unwirtlichen Zimmer des Freundes Florinel. Diese Treffen verlaufen immer nach dem gleichen Muster: Sie verschwinden während der Arbeitszeit nacheinander aus dem „Gebäude“ (S. 12), in dem sie arbeiten, fahren getrennt zu Florinels Zimmer. Dort trinken sie Bitter, Campari und zuletzt rumänischen Wacholderschnaps, weil es in den sozialistischen Läden nichts anderes mehr gibt, reißen sich die Kleider vom Leib und haben Sex. Danach ist Sorin ein anderer und doziert über die Lebenslage, in der sie sich befinden. Er glaubt, zu einer „glücklichen Generation“ (S. 56) zu gehören, für die die Sünden der Väter, Onkel und Tanten, wie sie in den Akten vermerkt sind, nicht mehr von Bedeutung sind, aber er irrt sich. Letiția ist ein unpolitischer Mensch, verhält sich vorsichtig, wie sie es von ihrem Onkel gelernt hat, führt ein Tagebuch, beginnt zu schreiben und irritiert damit den Geliebten, der entschlossen ist, Karriere zu machen, und an einem Ethik-Kodex im Auftrag des Großen Genossen arbeitet.

„Sagt dir der Ethik-Kodex wirklich nichts? Gar nichts? Denk doch mal nach! Der Kodex der Sozialistischen Ethik und Rechtlichkeit?!“ (S. 11) Nach solchen Worten erkennt Letiția den Geliebten nicht wieder und fast vierhundertfünfzig Seiten später wird sie ihn dafür hassen und Rachegefühle hegen, während er Karriere macht und eine Beziehung zu einer anderen, sehr zielstrebigen Kollegin aufbaut, die eine „gesunde Herkunft“ (S. 252) hat und in ihn verliebt ist.

In diesem Roman gibt es eine andere Frage, die leitmotivisch immer wieder gestellt wird, jene nach Letițias gefährlichen Fruchtbarkeitstagen, an denen sie Sex unterlassen sollte, denn ihr stehen keine Verhütungsmittel zur Verfügung. Zum Schluss passiert, was sie um jeden Preis vermeiden möchte: Sie ist schwanger von Sorin, den sie am liebsten verlassen möchte. „Im Geiste würde er sich nicht von ihr trennen, während sie ihn vergessen würde, denn das wollte sie“ (S. 477). Petru kommt von einer Dienstreise in den Westen nicht zurück. Letiția sucht nach einer Möglichkeit, die unerwünschte Schwangerschaft loszuwerden.

Es gibt viele wunderbare Passagen in dem Roman, so zum Beispiel jene, in der eine Busfahrt von Sorin beschrieben wird (S. 237). Diese Beschreibung enthält auch eine Charakterisierung von Sorins Persönlichkeit und gibt uns eine Ahnung davon, wie er Karriere machen und insgesamt durchs Leben kommen wird.

Gabriela Adameșteanu gelingt es meisterhaft vor dem Hintergrund geschichtlicher Ereignisse die Liebe, die Sexualität, die Entfremdung der Liebenden zu schildern, das Leben Letițias zwischen zwei Männern, ihre Abhängigkeit von ihnen und schließlich den Verlust des Geliebten und des Ehemanns.

Der dritte Roman über Letiția Arcan Fontana di Trevi ist 2018 erschienen und leider noch nicht ins Deutsche übersetzt. Die inzwischen nach Deutschland und später nach Frankreich ausgewanderte Letiția kommt nach Rumänien zurück, um Erbangelegenheiten zu regeln. Sie wohnt in Bukarest bei einem aus der Studentenzeit befreundeten Paar und sie debattieren von unterschiedlichen Positionen aus über die vergangenen politischen und privaten Ereignisse. Der Sozialismus und seine furchtbaren Auswüchse sind nur noch eine Erinnerung. Letiția erinnert sich auch an ihre große Liebe, an Sorin, den sie nicht vergessen kann. Sie ist kinderlos, lebt wieder mit Petru, ihrem viel älteren Ehemann, zusammen, der sich weigert, das Land noch einmal zu betreten, während sie auf der Suche nach der vergangenen Zeit und ihrer Jugend immer wieder nach Rumänien zurückkehrt.

Man kann jeden dieser drei Romane als selbstständiges Buch lesen, aber der Leser hat mehr davon, wenn er alle Bände der Trilogie lesen kann.

Das Provisorium der Liebe ist von Eva Ruth Wemme in ein im großen Ganzen flüssiges, gut lesbares Deutsch übersetzt worden. An einigen Stellen der Übersetzung hatte ich jedoch Verständnisschwierigkeiten, weil die Logik im Text nicht stimmte. Beim Vergleich mit dem Original fielen mir gravierende, sinnverändernde Übersetzungsfehler, die Verniedlichung der Sprache und immer wieder auch eine falsche Wortwahl auf. Es wäre bitter nötig, dass jemand, der Land und Leute und vor allem die rumänische Sprache besser kennt, den Text der deutschen Ausgabe vor einer neuen Auflage gründlich überarbeitet.

Der Trilogie der wunderbaren Schriftstellerin Gabriela Adameșteanu über die Liebe und das Leben in der sozialistischen Diktatur wünsche ich viele Auflagen und viele interessierte Leser.

Karin Gündisch

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2022), Jg. 17, IKGS Verlag, München, S. 237–239.

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