Helmut Braun: »Du hast mit deinen Sternen nicht gespart.« Rose Ausländer und Paul Celan (Celan-Studien, Neue Folge, Bd. 7 & Materialien zur Literatur, Bd. 8). Aachen, Weilerswist: Rimbaud Verlag, Ralf Liebe 2021. 127 S.
Erschienen ist die Erweiterung eines Vortrags von 2002 zu einem Thema, das von Interesse ist: zur Beziehung Rose Ausländers zu Paul Celan. Diese Beziehung ist lange falsch gedeutet worden, Celan als Lehrer Rose Ausländers, was zwei Gründe hat.
Erstens hat sich Rose Ausländer im Laufe ihres Lebens immer jünger gemacht, um mit ihrem Debüt nicht an dem Jugendkult zu scheitern, der ein unverbrauchtes Genie suchte. Da die Lyrikerin ein Leben voller Zäsuren hatte, in Emigration, dann durch den Zweiten Weltkrieg ohne Publikationsmöglichkeit, hernach in den USA mit englischsprachigen Gedichten befasst, war sie nicht mehr die junge Stimme von früher, als es ihr möglich wurde, für ein deutschsprachiges Publikum zu publizieren. Folglich glaubte man, die Lyrikerin und der Lyriker seien ungefähr gleichen Alters, nicht durch fast zwei Jahrzehnte getrennt.
Zweitens betonte Rose Ausländer ihre Nähe zu Celan, auch dies aus nachvollziehbaren Gründen; er war etabliert, sie wurde erst bekannt, also betonte sie Gemeinsames, bis man es überschätzte und aus der Gemeinsamkeit eben jenes Verhältnis geradezu von Lehrer und Schülerin konstruieren wollte. Die Ähnlichkeiten sind teils gegeben, Czernowitz, die dort Gelesenen, dazu manches Motiv, wobei die Metaphern teils zuerst bei Rose Ausländer zu finden sind. Zugleich vertritt sie zuletzt eine andere (nämlich US-amerikanisch inspirierte) Moderne, inspiriert von unter anderem Marianne Moore.
Beide Fehleinschätzungen halfen Rose Ausländer zunächst; aber sie schadeten ihr bald auch, denn als so etwas wie eine Schülerin missverstanden, stand sie immer wieder in der Rezeption auch im Schatten Celans. Eine weitere, eher kuriose Folge war übrigens, dass man die beiden auch als Paar sehen wollte – ein Gerücht ohne jede Grundlage.
Aus all diesen Gründen ist das neue Buch von Helmut Braun zunächst einmal vorbehaltlos zu begrüßen. Er beginnt mit einer Zeittafel Rose Ausländers sowie Paul Celans, dann werden Ausländers Erinnerungen an eine Stadt wiederabgedruckt, ihre Memoiren an Czernowitz. Die Shoah in Czernowitz, nicht zuletzt wütete das faschistische Rumänien hier, wird in einem weiteren Teil behandelt. Dann kommt Helmut Braun auf Rose Ausländer und Paul Celan zu sprechen. »Bekanntschaft, Freundschaft, Liebe?« (S. 33) – In der Tat haben »beide […] Mitte 1942 ein Kellerversteck aufgesucht«, doch »es waren verschiedene Keller« (S. 33) …
Zum Treffen kommt es aber dann doch; und hier besteht nun in der Tat ein Interesse der Lyrikerin – ob sie »sofort elektrisiert« (S. 35) war, wie Edith Silbermann schreibt, sei dahingestellt – an Celan, genauer: an dessen Werk, der seinerseits bei aller Wertschätzung den Kontakt zu ihr auch später nicht sucht, offenbar auch wegen der Ambivalenz allen Erinnerns: »an die versunkene Heimat und die fernen Freunde« (S. 72f.), wie es in seiner Widmung in ihrem Exemplar von Mohn und Gedächtnis heißt. Die Texte und Faksimiles der Texte, die der Band hierzu und auch sonst immer wieder in Folge bietet, sind von guter Qualität und eine sinnvolle Ergänzung.
Der Band folgt der Chronologie, und zwar von diesem Kontakt bis zum Schweigen. Zur Zeit des Erscheinens von Mohn und Gedächtnis kehrt die Lyrikerin wieder in den deutschen Sprachraum zurück – und lebt in der Folge erstmals in Deutschland; sie besucht 1957 Celan und lernt auch dessen Gemahlin Gisèle de Lestrange und seinen Sohn Eric kennen. Rose Ausländer und Paul Celan verbindet gegenseitiger Respekt, den die Rezeption wie angedeutet zu Unrecht als einseitigen wahrnahm: »Celan habe Ausländer bewogen«, und zwar 1. »wieder Gedichte zu schreiben« und 2. »aus dem konventionellen Schreiben […] in die Moderne« (S. 85) zu finden. Der Kontakt reißt zuletzt jedenfalls ab, ein Brief von 1958 wird von Celan nicht mehr beantwortet, was Rose Ausländer akzeptiert; Grüße werden indes noch übermittelt.
Zuletzt bleiben die Annäherungen der Lyrikerin an Celans Werk in der Form von Gedichten. Und es bleibt die Auseinandersetzung mit der Metapher, die Celan bei Rose Ausländer gelesen haben dürfte, jedenfalls spricht alles dafür, und die Frage, wie Texte sich zueinander verhalten, wo sie sich aufeinander beziehen. Israel Chalfens unsägliche Form des Protokolls wird dabei von Helmut Braun zurecht thematisiert. Den Band beschließen die Gedichte Rose Ausländers auf Celan, jedenfalls die, die das explizit sind – und worin sie die »Schwarzmilch« (S. 116) wieder ihrem Werk zuführt.
Man könnte ergänzen, dass Rose Ausländer vielleicht auch bei anderen Motiven und Wendungen an Celan dachte: »Erst jenseits der Kastanien ist die Welt«, schreibt er. Gehört das, was diese Grenze ist, gehören die Kastanien schon der Welt zu? Jedenfalls schreibt Rose Ausländer etwas dieser Art, als sie – als Weitgereiste und in vorgerücktem Alter – womöglich nicht nur einfach beschreibt, wo sie sitzt, sondern auch Celans Text aufgreifend von den Kastanien schreibt. »Nordpark, mein grüner Nachbar. / Seine Fontänen bestimmen meinen Sommer./ Unter seinen Kastanien sitze ich im Regen«…
Insgesamt liegt ein jedenfalls interessanter Band vor, manchmal nicht so sorgfältig, wie man es sich wünschte – bis zu einer Reihe von schlecht lektorierten Passagen: »Als dann noch bekannt wurde, die Schwarze Milch sei auch eine Übernahme aus fremdem Text. Wurde dies heftig bestritten.« (S. 102) –, bei den Erweiterungen auch nicht immer zugleich aktualisiert, was insbesondere die Forschungsliteratur betrifft, die mit sechs Ausnahmen nach 2000 nur mehr aus von Braun selbst Herausgegebenem besteht, aber ein Buch, das Freude macht und Interessierten vieles erschließt.
Martin Hainz
Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2023), Jg. 18, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 107-108.