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Helmut Moll (Hg.): Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts | Rezension

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Helmut Moll (Hg.): Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts. Herausgegeben von Helmut Moll im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, 2 Bände, 7. überarbeitete und aktualisierte Auflage, Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2019, LXXVIII und 1828 Seiten – ISBN 978-3-506-78012-6, € 99.

Das monumentale Werk Deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts ist nun 2019 in siebter Auflage erschienen. Die erste Auflage wurde im Jahr 1999 veröffentlicht. Offensichtlich stößt ein solches lexikalisches Werk auf genügend Interesse, was sehr erfreulich ist. Der verstorbene Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, gab dem Herausgeber, Prälat Dr. theol. Helmut Moll, die Erstellung eines Martyrologiums deutscher und deutschstämmiger Märtyrer in Auftrag. Damit folgte er dem Aufruf von Papst Johannes Paul II. zur Dokumentation der Märtyrer des 20. Jahrhunderts in seinem Apostolischen Schreiben Tertio millenio adveniente aus dem Jahr 1994, in dem er folgendes schrieb: »Am Ende des zweiten Jahrtausends ist die Kirche erneut zur Märtyrerkirche geworden. Die Verfolgung von Gläubigen – Priestern, Ordensleuten und Laien – hat in verschiedenen Teilen der Welt eine reiche Saat von Märtyrern bewirkt. […] Das ist ein Zeugnis, das nicht vergessen werden darf. […] Wie beim Konsistorium empfohlen wurde, muß von den Ortskirchen alles unternommen werden, um durch das Anlegen der notwendigen Dokumentation nicht die Erinnerung zu verlieren an diejenigen, die das Martyrium erlitten haben« (S. XXXVIIf.). Diesem Anliegen des Papstes verpflichtet sich der Herausgeber. So konnte noch die erste Auflage pünktlich vor der Jahrtausendwende 1999 dem Papst persönlich überreicht werden. In Folge erschienen binnen zwei Jahrzehnten sechs neue Auflagen (2.: 2000; 3.: 2001; 4.: 2006; 5.: 2010; 6. 2015; 7.: 2019), die stets durchgesehen, erweitert und aktualisiert wurden. Die jeweiligen Vorworte legen über diese Fortschritte Rechenschaft ab, wobei leider zur aktuellen siebten Auflage kein Vorwort vorliegt, sodass nicht deutlich wird, was genau »überarbeitet und aktualisiert« wurde. Bei einem flüchtigen Vergleich mit der sechsten Auflage fällt auf, dass das Literaturverzeichnis und das Ortsregister aktualisiert worden sind, doch ansonsten fallen keine nennenswerten Unterschiede auf. Allerdings ist die 7. Auflage immerhin 400 Seiten umfangreicher als die 2. Auflage.

Das zweibändige Werk mit insgesamt 1828 Seiten gliedert sich wie folgt: Inhaltsverzeichnis (S. V–XXXI), Geleitwort von Karl Kardinal Lehmann (S. XXXIIIf.), Vorwort von Joachim Kardinal Meisner (S. XXXVf.), Theologische Einführung von Helmut Moll (S. XXXVII–LII), Vorworte zu den vierten bis sechsten Auflagen (S. LIIf.), Verzeichnis der Beauftragen sowie Autorenverzeichnis (S. LV–LXIII, einige der Autoren sind bereits verstorben), Quellen- und Literaturverzeichnis (S. LXV–LXXVI, allerdings nur von Werken, die mindestens dreimal genannt werden). Die Biogramme der Märtyrerinnen und Märtyrer machen natürlich den Hauptteil des Buches aus (S. 1–1721). Sehr hilfreich für die Orientierung im Buch ist der Index im Schlussteil: Personenregister, das unterteilt ist in katholische Märtyrer (S. 1723–1736), in »Nichtkatholiken in ökumenischen Gruppen« (S. 1736, wobei über letztere keine eigenen Biogramme vorhanden sind) sowie in »Sonstige Personen des 20. Jahrhunderts (S. 1736–1777); Ortsregister (S. 1778–1825) und Abbildungsverzeichnis (S. 1826–1828). Die Namen der Märtyrer finden sich auch Online (https://www.deutsches-martyrologium.de/start/), allerdings ohne die Beschreibungen und vor allem ohne eine Suchfunktion.

Die theologische Einführung des Herausgebers legt Rechenschaft über die Aufnahmekriterien ab. Voraussetzung ist das Zeugnis für Jesus Christus und die Teilhabe am Opfer Christi. Dabei folgt der Herausgeber dem Kriterienkatalog des italienischen Kanonisten Prosper Lambertini (dem späteren Papst Benedikt XIV.): a) Tatsache des gewaltsamen Todes (martyrium materialiter), b) Motiv des Glaubens- und Kirchenhasses bei den Verfolgern (martyrium formaliter ex parte tyranni), c) bewusste innere Annahme des Willens Gottes trotz Lebensbedrohung (martyrium formaliter ex parte victimae). Alle drei Kriterien müssen für eine Aufnahme im Katalog erfüllt werden: ein schwieriges Unterfangen, da die Quellen nicht immer genügend Auskunft über das Leben der Märtyrer und über die genauen Motive der Verfolger geben. So mussten auch manche Kandidaten nach sorgfältiger Prüfung ausgeschlossen werden (selbstverständlich nur coram ecclesia, nicht coram Deo). Weit weniger klar wird über das geografische beziehungsweise über das ethnische Kriterium Rechenschaft abgelegt. Die etwa 700 Biogramme der Blutzeugen werden »ausschließlich auf Deutschland sowie auf die Deutschen im Ausland« (S. XLI) bezogen, aber wie das ethnische Kriterium insbesondere in den östlichen und südöstlichen Ländern und Gebieten eindeutig anzuwenden ist, wird nicht erwähnt. Jedenfalls werden die Martyrien in vier Kategorien unterteilt: 1.) die Zeit des Nationalsozialismus (S. 1–1090, unterteilt in Bistümer, Visitaturen, Ordensmänner und -frauen); die Zeit des Kommunismus (S. 1093–1243, unterteilt in »mit Deutschland verbundenen Geistlichen« und in »Russlanddeutschen Geistlichen und Laien« sowie in Geistlichen und Laien im Sudetenland, in Albanien, in der Slowakei und bei den Donauschwaben); Reinheitsmartyrien (S. 1245–1389, unterteilt in »Schutzlose weibliche Jugendliche«, »Schutzlose Ordensschwestern und -frauen«, »Getötete Beschützer/innen«); und Blutzeugen aus den Missionsgebieten (S. 1391–1721, unterteilt in chronologischer Reihenfolge in Missionsgebieten in aller Welt). Schon allein bei den Seitenzahlen springt die Vielzahl der Märtyrer aus der Zeit des Nationalsozialismus ins Auge. Dennoch wird ebenfalls die hohe Zahl an Martyrien aus der Zeit des Kommunismus sichtbar, die zweite totalitäre Ideologie des 20. Jahrhunderts, deren Schrecken im Geschichtsbewusstsein weit weniger präsent sind (zugleich erstaunlich, dass es in der DDR keine Opfer gab, die den genannten drei theologischen Kriterien Genüge leisteten). Ob bei den Reinheitsmartyrien das zweite Kriterium des »Glaubens- und Kirchenhasses« immer eindeutig vorhanden war, wage ich bei einer flüchtigen Durchsicht der Biogramme ein wenig zu bezweifeln. Eindrücklich und überraschend ist jedoch der Märtyrertod zahlreicher deutscher Missionare in den Missionsgebieten in aller Welt. In all diesen Biogrammen findet sich ein reicher Fundus nicht nur an Lebensbildern, sondern auch an Kirchen- und Missionsgeschichte im »Zeitalter der Extreme« (Eric Hobsbawm) des 20. Jahrhunderts. Sehr hilfreich ist daher, dass zu den Biogrammen Werk-, Quellen- und Literaturangaben zu finden sind. Das unterstreicht den lexikalischen Konsultationscharakter des Buches, sodass für eine detailliertere Beschäftigung mit einer Person weiterführende Hinweise zu finden sind.

Die Fülle an Lebensdarstellungen lässt es nicht zu, dass schon auch nur annähernd auf sie eingegangen werden kann. Dennoch sollen hier einige Beobachtungen festgehalten werden. Auffällig ist, dass mit zwei Ausnahmen keine historischen Einführungen in die jeweiligen Unterkapitel vorhanden sind, was aber dem politischen und kirchlichen Verständnis gutgetan hätte. Das Vorwort zu den Russlanddeutschen oder zu Donauschwaben ist beispielsweise hilfreich für die Einordnung der folgenden Biogramme. Obwohl im Vorwort vom »Ökumenismus der Märtyrer« ( Johannes Paul II.) die Rede ist, wird dieser für das Band nicht eingelöst. Zwar werden im Personenregister evangelische Märtyrer aufgelistet (S. 1736), aber nur sieben an der Zahl genannt, und zudem sind ihnen keine eigenen Einträge gewidmet. Dies ist etwas irreführend, da in dieser Hinsicht eine gewisse Vollständigkeit suggeriert wird (siehe S. XLIIIf.: es werden »auch die christlichen Glaubenszeugen nicht-katholischer Herkunft namentlich erwähnt und ihr Glaubenszeugnis ausdrücklich gewürdigt, sofern sie in ökumenischen Gruppen tätig waren.«). So erhalten beispielsweise die bekannten Protagonisten der Weißen Rose Hans und Sophie Scholl sowie Alexander Schmorell keinen Eintrag, ebenso wenig Dietrich Bonhoeffer oder Paul Schneider. Freilich ist eine ausschließliche Fokussierung auf katholische Geistliche und Laien im Rahmen einer Beauftragung durch die Deutsche Bischofskonferenz legitim, doch wird dadurch der genannte »Ökumenismus der Märtyrer« nicht wirklich abgebildet. Weit schwerwiegender ist jedoch, dass österreichische Märtyrer nicht im Band aufscheinen (zum Beispiel Franz Jägerstätter, Schwester Restituta). Eine Unterscheidung in eine deutsche und österreichische Ethnizität ist natürlich politisch heikel, was aber die besagte Schwierigkeit dieses Kriteriums umreißt. Das wird noch einmal an den »deutschen« Märtyrern in den Nachfolgestaaten der k .u. k. Monarchie deutlich. Streng genommen dürfte man von dieser Logik her die Donauschwaben (S. 1197–1243) auch nicht in den Katalog aufnehmen. Zudem haben einige der aufgelisteten Märtyrer der Donauschwaben einen multiethnischen Hintergrund. Dies soll keine Kritik darstellen, sondern lediglich auf die Schwierigkeit des ethnischen Kriteriums hinweisen, über das jedoch im Vorwort nicht Rechenschaft abgelegt wird. Dass es neben den deutschstämmigen Märtyrern in den besagten Ländern natürlich ebenso zahlreiche Märtyrer anderer Ethnien gegeben hat, soll hier nur angemerkt werden. Ein erweiterter Katalog an »Opfern von Gewalt und Verfolgung bei den Donauschwaben« sowie weitere historische Darstellungen befinden sich im Donauschwäbischem Martyrologium, worin zum Teil dieselben Texte über die Märtyrer wie aus dem vorliegenden Werk zu finden sind.1Donauschwäbisches Martyrologium. Die Opfer von Gewalt und Verfolgung bei den Donauschwaben in Jugoslawien, Rumänien und Ungarn im 20. Jahrhundert. Märtyrer und Bekenner unter Geistlichen, Ordensleuten und Laien, hg. vom St. Gerhardswerk Stuttgart, Aachen 22018. Dieses umfangreiche Werk fand leider keinen Eingang in diese aktualisierte Auflage.

Als Papst Johannes Paul II. die erste Auflage dieses gewaltigen Katalogs von Kardinal Karl Lehmann überreicht bekommen hat, war er erstaunt und überrascht, wie viele Märtyrer es in Deutschland in den »gottlosen Systemen des Nationalsozialismus und Kommunismus« gegeben hat. Zu Recht: Dieses Martyrologium muss die Forschung und die breite Öffentlichkeit stärker zur Kenntnis nehmen. Deutsche waren nicht nur Täter, sondern aus dem Geiste des Christentums auch energische Widerstandskämpfer gegen totalitäre Ideologien und schließlich deren Opfer. Es zeigt, dass »es neben vielfältigem Versagen auch heroische Glaubenszeugnisse von Christen gegeben hat, deren Andenken gewahrt werden muß« (S. XXXVII). Die »große Wolke von Zeugen« (Hebräer 12,1) ist ein Vermächtnis, das in die Zukunft weist. So ist den Schlussworten des Herausgebers, der mit der Herausgabe dieses monumentalen Bandes große Verdienste erworben hat, deutlich zuzustimmen: »Wenn es stimmt, daß der moderne Mensch mehr auf Zeugen als auf Lehrer hört, gewinnt das mutige Beispiel der 700 Männer und Frauen aus unserem Vaterland eine aus dem Heiligen Geist erwachsende Kraft, die uns hellsichtig machen will in den Widerfahrnissen der kommenden Zeit.« (S. LII)

Gergely Csukás

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2023), Jg. 18, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 129-132.

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    Donauschwäbisches Martyrologium. Die Opfer von Gewalt und Verfolgung bei den Donauschwaben in Jugoslawien, Rumänien und Ungarn im 20. Jahrhundert. Märtyrer und Bekenner unter Geistlichen, Ordensleuten und Laien, hg. vom St. Gerhardswerk Stuttgart, Aachen 22018.