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Jan Cornelius, Adina Popescu: Bukarest – Berlin, ohne Rückkehr? | Rezension

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Deutschland – Rumänien: Ein unterhaltsamer Dialog

Jan Cornelius, Adina Popescu: Bukarest – Berlin, ohne Rückkehr? Oder: Wieso sind die Rumänen nicht so wie die Deutschen? Roman. Klagenfurt/Celovec: Wieser Verlag 2021. 195 S.

Der vorliegende „Roman“, wie es im Untertitel heißt, ist in Wirklichkeit ein Schriftverkehr, also ein Dialog. Es handelt sich um ein Gespräch, in dem unterschiedliche Denkweisen und Erfahrungen aufeinanderprallen, aber auch miteinander harmonieren. Interessant wird er vor allem dadurch, dass Jan Cornelius aus dem Banat kommt und später nach Deutschland geflohen ist, während Adina Popescu seit ihrer Geburt in Rumänien lebt. Der Dialog bewegt sich zusätzlich auf weiteren Ebenen. Adina Popescu formuliert es anfangs so: „Es wäre eine Art Tennis-Doppel mit netznahe zugespielten Bällen. Oder auch das ein Spiel: Adina versus Jan. Ost versus West und Ost mit West zugleich. Ein wahrhaft vielschichtiges Spiel. Verschiedene Generationen. […] Eine Bukaresterin gegen einen Banater. Eine Ostlerin gegen einen Westler, eine Rumänin gegen einen Deutschen. Also verschiedene Mentalitäten. Oder doch nicht? Eine Schriftstellerin gegen einen Schriftsteller. Frau gegen Mann. Wir könnten Partner und Gegner sein.“ (S. 22)

Die Geschichte des Buches beginnt mit einem Artikel Adina Popescus in der Zeitung Dilema veche [Altes Dilemma], in dem sie über ihre gemischten Gefühle gegenüber ihrem Heimat- und Wohnort Bukarest schreibt. Sie mag zwar einzelne Plätze und Geschäfte, beklagt sich aber über die unzureichende Infrastruktur, die verschmutzten Straßen und die Unfreundlichkeit vieler Menschen und beschreibt die westeuropäischen Städte als Ideal. Mit einer humorvollen Antwort von Jan Cornelius zum im Vergleich zu deutschen Städten deutlich chaotischeren Bukarest wird der Dialog angestoßen. Als dieser dann nicht mehr in der Zeitung fortgesetzt werden kann, beschließen die beiden, ein Buch zu schreiben.

Dieses besteht hauptsächlich aus kurzen Erzählungen aus den Leben der Autorin und des Autors in Briefform. Einerseits berichten sie von einmaligen Erlebnissen, andererseits erhält der Leser, die Leserin Einblicke ins Privatleben und in alltägliche Herausforderungen, mit denen beide sehr offen umgehen. Dadurch werden auch die schwierigeren Themen wie das bei Adina Popescu vorkommende Gefühl der Perspektivlosigkeit in Rumänien nachvollziehbar und gut zugänglich.

Das Thema der Unterschiede zwischen Rumänien und Deutschland und zwischen Rumänen und Deutschen zieht sich durch das gesamte Buch. Spannend ist dabei, wie verschieden die beiden Autoren diese bewerten. Wie schon zu Beginn angedeutet, sieht Adina Popescu in Rumänien vor allem die vielen Probleme, das Durcheinander und die Unsicherheit. Von einer Fahrt mit der Straßenbahn in Bukarest schreibt sie, es gebe dort „keine Freude […], lediglich Dunkelheit und Probleme“ (S. 169). Sie bewundert die Ordnung und die Ruhe in den westlichen Ländern und bekundet, sie würde lieber im Westen leben. Jan Cornelius dagegen zeigt die gleichen Aspekte in einem ganz anderen Licht. Für ihn ist Rumänien ein Ort der Lockerheit und Ungezwungenheit und bietet „reichlich Raum für ungeahnte Emotionen, Überraschungen und Abenteuer“ (S. 58), eine etwas romantische Verklärung der beschriebenen Zustände. Die Ordnung in Deutschland empfindet er im Gegensatz zu ihr als Steifheit, über die er sich häufig mit kleinen Anekdoten lustig macht. Trotz der Differenzen zeichnen sie jedoch ein gemeinsames Bild von Rumänien, das Jan Cornelius mit „Widersprüchlichkeit und Charme“ (S. 63) zusammenfasst.

In dem Buch werden viele weitere Themen angesprochen, zwischen denen der Übergang anfangs noch wohlüberlegt und flüssig, im weiteren Verlauf aber oft zu holprig formuliert oder zu abrupt ist. Dafür stehen alle in einem Bezug zum Titelthema und beweisen trotz des ironischen, halbernsten Schreibstils eine tiefschürfende Auseinandersetzung damit. Zu den vielfältigen Bereichen gehören die Kindheit im kommunistischen Rumänien, das Altern und die Pflege, das Gesundheitssystem, die Sexismusdebatte und die therapeutische Wirkung des Schreibens. Es gibt oft Punkte, in denen sich die Autoren nicht einig sind. Den Kommunismus betrachtet Jan Cornelius im Nachhinein beispielsweise sehr locker und ironisch, während Adina Popescu darüber nicht scherzt. Im Zusammenhang mit dem Anstehen vor Geschäften schreibt sie sogar: „So hasse ich Schlangen von ganzem Herzen. Und nicht weniger hasse ich den Kommunismus“ (S. 55). Dabei wird der freundschaftliche Ton und das Verständnis füreinander nicht unterbrochen. Außerdem versprechen genau diese Passagen, in denen die Spannungen zwischen den beiden Sicht- und Lebensweisen hervortreten, den größten Erkenntnisgewinn, weil dort der Unterschied in den Perspektiven der beiden zum Ausdruck kommt.

Die Schreibstile sind insgesamt sehr locker und in einfacher Sprache gehalten. Trotzdem sind die Gedanken gut ausformuliert und die Erzählungen sehr bildhaft und anschaulich. Daran erkennt man, dass die Briefe nicht zum Selbstzweck geschrieben wurden, sondern von Anfang an mit der Absicht der Veröffentlichung. Die kurzen, erheiternden Geschichten wie ein Telefonat von Jan Cornelius mit seiner schwerhörigen Mutter und die immer wieder vorkommenden Wortspiele ziehen sich durch das ganze Buch und lockern selbst die ernsteren Gesprächsthemen auf. Manchmal wiederholen sie sich und manchmal sind die Witze nicht besonders gut, beispielsweise ein Wortwitz zu den unterschiedlichen Bedeutungen des Wortes „geil“ (S. 37), doch im Großen und Ganzen machen sie das Buch unterhaltsamer, ja teilweise sogar lustig. Vor allem Jan Cornelius kann zu jedem Thema eine seiner Anekdoten beitragen, egal ob es um abgeschlossene Mülltonnen in Deutschland, die Verwechslung der rumänischen Wurst „Pariser“ mit Kondomen oder das rumänische Gesundheitssystem geht.

Das vorliegende Buch leistet einen wertvollen Beitrag zum kulturellen Austausch, indem es die Unterschiede, aber auch die Verbindungen zwischen Deutschland und Rumänien aufzeigt. Dabei wird der Leser, die Leserin stets unterhalten, sodass das Buch leicht an einem Stück gelesen werden kann. Zusätzlich wird Rumänien als sehr facettenreich und interessant beschrieben. Jeder, der wie der Rezensent davor noch nicht viel Berührung mit Rumänien hatte, bekommt so Lust, dorthin zu reisen und sich ein eigenes Bild zu machen.

Daniel Gelderblom

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2022), Jg. 17, IKGS Verlag, München, S. 242–243.

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