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Mariana Hausleitner: Selbstbehauptung gegen staatliche Zwangsmaßnahmen. Juden und Deutsche in Rumänien seit 1830 | Rezension

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Mariana Hausleitner: Selbstbehauptung gegen staatliche Zwangsmaßnahmen. Juden und Deutsche in Rumänien seit 1830. Berlin: Frank & Timme 2021. 338 S.

Die Historikerin Mariana Hausleitner gilt seit Jahrzehnten als ausgewiesene Expertin für Minderheiten in Südosteuropa. Ihr neuestes Buch Selbstbehauptung gegen staatliche Zwangsmaßnahmen. Juden und Deutsche in Rumänien seit 1830 setzt ihre Forschung eindrucksvoll fort. Hausleitner untersucht in ihrem Buch die Geschichte Rumäniens, indem sie die Erfahrungen der jüdischen und deutschen Minderheiten beleuchtet. Dabei folgt das Buch einer klassischen chronologischen Gliederung. Das erste substanzielle Kapitel untersucht die Lage der Deutschen und Juden in Rumänien vor 1918. Weitere Kapitel behandeln die Jahre 1918–1933, 1934–1944, 1945–1954, 1955–1964, 1964–1989 und schließlich die postkommunistische Zeit nach 1989 in einem Kapitel zur Aufarbeitung der Geschichte in Rumänien. Zwar erscheinen die einzelnen Zeitspannen auf den ersten Blick offensichtlich, doch bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass hier die Geschichte nach politischen Brüchen sowohl in Rumänien als auch in Deutschland strukturiert ist.

Und damit drängen sich wichtige Fragen auf: Wie erzählt man die Geschichte zweier Minderheiten nebeneinander? Vor allem, wie differenziert man zwischen zwei Minderheiten? Gerade in den borderlands – den Grenzgebieten, wenn man so will –, jenem Gebiet, das heute den rumänischen Staat ausmacht, waren die Gesellschaften multilingual und interkulturell. Die Anzahl der formellen Organisationen, die sich als deutsch und/ oder jüdisch bekannten, stieg erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an. Entscheidend war dabei, wie Hausleitner auch zeigt, die Fremdwahrnehmung. Im Schulwesen waren jüdische Aktivistinnen und Aktivisten um die Jahrhundertwende mitunter sehr erfolgreich in ihren Bestrebungen, die rumänische Schulbildung für jüdische Kinder zu öffnen. Gleichzeitig entwickelte sich die Universität in Jassy (rum. Iași) zur »Hochburg der Antisemiten«. (S. 38) Die genaue Wechselwirkung zwischen Aktivismus und Ablehnung bleibt ungeklärt. Sicher ist, dass gerade im Bildungswesen unterschiedliche politische Strömungen aneinandergerieten – Antisemitismus, emanzipative Bewegungen, Sozialismus, Nationalliberalismus – und sich während politischer Krisen – der Bauernaufstand von 1907 wäre ein Beispiel (S. 39–41) – gegenseitig antrieben. Dem Buch kann man klar entnehmen, dass sich die Anzahl derer, die entweder als Juden oder als Deutsche fest zu einer eindeutigen »nationalen« Identität standen, oft dann anstieg, wenn von außen auf Minderheiten Druck generiert wurde. (S. 67–77) Hausleitner untersucht Schritt für Schritt und äußerst detailliert die einzelnen Epochen und etabliert dabei einen Rhythmus, dem einfach zu folgen ist. Sie erklärt den historischen Kontext und untersucht dann, wie sich die Umstände für die beiden Minderheiten verändert haben. Dabei vergleicht sie zuerst die Geschichte der jüdischen mit der der deutschen Minderheit, dann die deutsche Geschichte. Eine Ausnahme bildet dabei die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wo Hausleitner sich zuerst mit der Lage der Deutschen beim Umsturz und Kriegsende in Rumänien ab August 1944 befasst. Im Mittelpunkt steht die Deportation der Deutschen in die Sowjetunion. Diese Geschichte ist wohlbekannt; dennoch lässt Hausleitner einige faszinierende Geschichten einfließen. Beim Rückzug der Wehrmacht aus Rumänien kam es zu Vorfällen im Westen Rumäniens, welche die deutsche Minderheit spalteten. In Hatzfeld (rum. Jimbolia) und Arad wurden jeweils sieben beziehungsweise zwei deutsche Linke von Nazis im September 1944 hingerichtet. (S. 153) Während des chaotischen Umbruchs warb gleichzeitig die rumänische Eiserne Garde mit Flugblättern für einen erbitterten Kampf gegen die westlichen Alliierten, die als »Sklaven der Juden« verunglimpft wurden. Währenddessen hielt sich die rumäniendeutsche Führungsriege um Andreas Schmidt, Fritz Cloos, Josef Komanschek und Wilhelm Deppner in Berlin auf. Im Frühjahr 1945 wurden alle verhaftet und in die Sowjetunion deportiert, wo Andreas Schmidt unter noch ungeklärten Umständen wohl im Jahr 1948 starb. Frappierend ist dabei die kurze Anmerkung, wie leicht die Überlebenden nach ihrer Entlassung weiter Karriere machen konnten: Komanschek, Deppner und Cloos wurden nach Adenauers diplomatischen Bemühungen 1955 entlassen. Cloos arrangierte sich mit dem neuen System in Rumänien als Securitate-Informant, während Komanschek Karriere in der Leitung der Landsmannschaft der Banater Schwaben machte. (S. 157)

Hausleitner behandelt im Folgen- den die Erfahrungen der in Rumänien lebenden Juden in der unmittelbaren Nachkriegszeit und verbindet dabei »jüdische« Geschichte mit den Kriegsverbrecherprozessen in der Monarchie und im frühkommunistischen Rumänien. (S. 201–212) Darüber hinaus beleuchtet Hausleitner immer wieder wichtige Momente in der Geschichte Rumäniens aus dem Blickwinkel der Minderheiten. Die Proteste im Sommer 1977 im Valea Jiului werden hierbei mit der Homogenisierungspolitik Ceaușescus in Verbindung gebracht, die sich unter anderem gegen Minderheiten richtete. Dieter Schlesak wird hier zitiert, der die Oppositionsfigur Paul Goma noch im Jahr 2005 als »rumänischen Solschenizyn« charakterisierte. (S. 261) Gomas Verbindung zu den Minderheiten ist jedoch weitaus unrühmlicher. Im neuen Jahrtausend verstrickte sich Paul Goma immer weiter in antisemitische Verschwörungsmythen. In seinem Aufsatz Săptămâna roșie [Die rote Woche] (2003) outete sich Goma als Holocaustleugner, was seine angebliche Position als Verfechter der Freiheit, vor allem für Minderheiten, unhaltbar machte. Auch wenn Hausleitner auf diese Thematik nicht eingeht, ist es doch beeindruckend, wie schonungslos sie die Barrieren innerhalb der rumäniendeutschen Minderheit gegen eine Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit aufdeckt. (S. 275–291) Die Kontinuitäten zur Nazizeit um Figuren wie etwa Heinrich Zillich werden im Buch mit dem Erscheinen einer selbstkritischeren Generation gegen Ende des 20. Jahrhunderts, angefangen mit Johann Böhm, verbunden. (S. 281) Und selbstverständlich sollte Marianna Hausleitner auch selbst als Teil der neueren kritischen rumäniendeutschen Geschichtsschreibung genannt werden. Die Geschichte der Minderheiten innerhalb Rumäniens nach 1990 stellt Hausleitner als einen Niedergang dar. (S. 299) Sie hadert vor allem mit der Aufarbeitung der faschistischen und kommunistischen Geschichte Rumäniens, die gemeinhin als langsam verstanden wird, und mit der fast obsessiven rumänisch-ungarischen Konkurrenz in Siebenbürgen. Allerdings bleibt unerwähnt, dass die zahlenmäßige Schwächung der deutschen und jüdischen Minderheiten Rumäniens durch kulturelle »Revivals« in den letzten zwanzig Jahren teilweise kompensiert wurde. Deutsche und jüdische Kultureinrichtungen, Schulen und Events bilden eine zentrale Facette eines neuen rumänischen Selbstverständnisses, auch wenn Hausleitner zu Recht auf die gelegentlichen chauvinistischen Anfeindungen gegen Klaus Johannis aus der Mehrheitsgesellschaft Rumäniens hinweist. (S. 302)

Diese komplexe und verflochtene Geschichte beider Minderheiten lässt sich nur schwer in einer gekürzten Version darstellen, doch Hausleitner schafft es vorbildlich Details mit einer Übersicht zu verbinden. Und dennoch hängt ein ständiges Fragezeichen über der korrekten Beziehung und Verbindung zwischen der deutschen und der jüdischen Geschichte in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Was bedeutet es, die Deportation der Deutschen aus Rumänien vor die Nachkriegsgeschichte der Juden in Rumänien zu stellen? Was würde passieren, wenn man die Reihenfolge umkehren würde? Und könnte man eine wahrlich verflochtene Geschichte der beiden Minderheiten darstellen? Denn die deutsche und die jüdische Minderheit waren keinesfalls hermetisch versiegelt. Hausleitners Beispiele umfassen Organisationen, die sich primär um Gruppenidentität bemühten, wie etwa das Jüdische Antifaschistische Komitee, die Landsmannschaften in der Bundesrepublik Deutschland oder eben die Deutsche Volkspartei in Rumänien. Auch unter den Individuen, die im Buch vorkommen, finden sich oft Personen, die sich relativ klar zu der einen oder anderen Minderheit bekannten. Weitaus schwieriger ist es, mit Personen umzugehen, die sich nicht klar einordnen lassen. Hier sei Heinz Stănescu (geborener Rottenberg) als Beispiel zu erwähnen, der queere, jüdische Literaturkritiker und Autor, der maßgeblich die rumäniendeutsche Literatur der Nachkriegszeit prägte, als Securitate-Informant aktiv war und später Bundesdeutscher wurde. Kann man solche Individuen wirklich auf die eine oder andere Schiene (ergo die deutsche oder die jüdische) setzen? Vermutlich eher nicht, und darin besteht auch die Herausforderung, aufbauend auf den umfassenden Werken Mariana Hausleitners, die zukünftige Forschungsagenda zu bestimmen.

James Koranyi

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2023), Jg. 18, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 118-121.