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Die Synodalverhandlungen der evangelischen Superintendentur Birthälm | Rezension

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Ulrich A. Wien, Martin Armgart (Hgg.): Die Synodalverhandlungen der evangelischen Superintendentur Birthälm 1601–1752. Urkundenbuch der evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien. Band 3. Hermannstadt: Honterus-Druckerei 2019. 1666 S.

„Diesen Christus verehren wir, wir erkennen ihn an und bekennen uns ebenso einmütig zu der Übereinstimmung der wahren und christlichen Religion. Diese Übereinstimmung ist durch […] die Synodalartikel ebenso bestätigt worden, die von der Zeit der Reformation an verfasst, anerkannt und öfters bekräftigt worden sind.“[1]

Das einleitende Zitat ist dem ersten Punkt der Mediascher Synodalartikel von 1615 entnommen. Bekanntermaßen[2] stellt diese Synode einen Wendepunkt innerhalb des siebenbürgischen Luthertums dar. Auf ihr wurden verschiedene Stimmen laut, die bis dahin nebeneinander koexistiert hatten: Mit Zacharias Weyrauch war 1614 ein lutherischer Theologe zum Birthälmer Superintendenten gewählt worden, der nun versuchte, eine Lehr- und Frömmigkeitseinheit in den ihm untergeordneten Gemeinden herzustellen (S. 39–47, S. 1069–1078). Dabei wird deutlich, dass die eigene Tradition, die kondensiert in den Synodalartikeln entgegentritt, immer stärker zum Referenzpunkt bei internen Konflikten wurde. Dies galt für die strenger lutherische Gruppe ebenso wie für die theologisch zu den Reformierten offenere Gegenseite.

Um folglich die Entwicklungen des siebenbürgischen Luthertums im 17. und 18. Jahrhundert adäquat zu erfassen, sind die synodalen Debatten der Frühen Neuzeit von hoher Wichtigkeit. Sie liegen nun kritisch ediert im dritten Band des Urkundenbuchs der Evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien vor, wodurch die Herausgeber Ulrich A. Wien und Martin Armgart an die Tätigkeiten Georg Daniel Teutschs anknüpfen.[3]

Den Anfang des dreibändigen Werks bilden ein Vorwort der Herausgeber und ein Abschnitt zur Bedeutung der Edition von Edit Szegedi. Entsprechend Paul Philippis Votum, die siebenbürgische Geschichtsschreibung müsse den ethnischen und sprachlichen Partikularismus überwinden,[4] sind die beiden Abschnitte in den drei größten Sprachen der siebenbürgischen Geschichtsforschung, Ungarisch, Rumänisch und Deutsch, dargeboten.

Insbesondere Szegedi unternimmt es dabei, das 17. und 18. Jahrhundert Siebenbürgens als Forschungsfeld zu plausibilisieren (S. XVII–XXVIII, Zitate folgen hier dem deutschen Text), denn „kirchenhistorisch ist die Lage [die Erforschung des 17. Jahrhunderts] katastrophal“ (S. XVII), obwohl das 17. Jahrhundert eine erste Phase für das „Nachdenken über die sächsische Identität“ (ebd.) bildet. Das Zeugnis, das die Klausenburger Historikerin der Erforschung des 18. Jahrhunderts ausstellt, fällt zwar milder aus, doch hier bediente sich die Forschung lange eklektischer Methoden, um ihr eigenes Bild zu untermauern (S. XVIIf.).

Dementgegen stellen die Synodalverhandlungen aus Szegedis Sicht eine herausragende Möglichkeit dar, die Stereotypenbildung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu korrigieren und herauszufordern. In ihnen tritt gerade nicht ein monolithischer lutherischer Block auf (S. XVIII), sondern ein plurales Luthertum, das um die eigene Identität zwischen Erneuerungsverbot (1572/1577) und „Alleingültigkeit des Augsburgischen Bekenntnisses (1572) auf dem Königsboden“ rang (ebd.).

Neben der kirchenhistorischen Perspektive hebt sie aber auch den sozialgeschichtlichen Wert der Quellen hervor. So ist in den Synodalverhandlungen etwa die Stimme der grundhörigen Lutheraner greifbar, und es wird über die ökonomischen Dimensionen pastoraler Existenz (Zehnt) debattiert.

Die auf Szegedis geschichtswissenschaftliche Verortung folgende Einleitung durch Wien leistet dann die zu erwartende historische Einordnung der Edition, die für deren Verständnis von zentraler Bedeutung ist. Dies gelingt dem Verfasser durch den umfassenden Bogen von der antiken über die mittelalterliche zur nachreformatorischen Synodaltradition. Daran schließt er Ausführungen zum 17. und 18. Jahrhundert an und liefert erste Einblicke in den Inhalt der Protokolle: Insbesondere das Verhältnis von weltlicher und geistlicher Universität steht dabei im Fokus. Die beiden Seiten traten zwar oft als Verbündete auf, noch öfter aber als Gegenspielerinnen (S. XLI–XLIII). Dieses Spannungsfeld bildet dabei allerdings nur eines der sechs möglichen Forschungsdesiderate, die Wien am Ende seiner Einleitung noch präsentiert.

Der historisch-methodische Teil ist Armgart zu verdanken. Er nimmt dabei kritisch zu den verwendeten sechs Handschriften Stellung. Dies ist von hoher Bedeutsamkeit, gibt es doch teilweise divergierende Berichte über dieselbe Synode. Zudem ermöglicht es den Lesern, die Quellen selbst auch noch einmal zu bewerten. Ebenso nützlich ist auch das den Verhandlungen vorangestellte Glossar, das die Lektüre zusätzlich unterstützt.

Daraufhin werden die Synodalverhandlungen selbst dargeboten, wobei die Quellentexte im lateinischen Original in den Bänden 3/1 und 3/2 geliefert werden. Ihnen geht jeweils eine deutschsprachige, zusammenfassende Einführung voran, die einen schnellen Erstkontakt ermöglicht. Band 3/3 bietet hingegen ausgewählte Übersetzungen der lateinischen Texte ins Deutsche, die aber gelegentlich nur einen Ausschnitt wiedergeben und die Quellen damit einem breiteren Publikum zur Verfügung stellen. Den Abschluss des dritten Bandes bilden zwei nach Geografie und Personennamen geordnete Indices.

Die Bedeutung der Synodalprotokolle steht für kirchenhistorisch Interessierte außer Frage. Ihre Verfügbarkeit ermöglicht auch dem von Siebenbürgen und seinen Handschriften weiter entfernten Publikum eine Partizipation am Forschungsdiskurs. Dies hat Irene Dingels Vortrag auf der Tagung „Grenzen überschreiten. 500 Jahre Reformation in Siebenbürgen. 70 Jahre Protestantisch-Theologisches Institut“ (31.10.–3.11.2019, Hermannstadt, rum. Sibiu, ung. Nagyszeben) gezeigt, indem sie die Protokolle nutzte, um das theologische Erbe Melanchthons im siebenbürgischen Luthertum des 17. Jahrhunderts darzulegen.[5]

Gleichwohl ist es bedauerlich, dass es den Herausgebern nicht möglich war, das sprachliche Nebeneinander der ersten beiden Abschnitte durchzuhalten. Dies hätte freilich weitere Buchdeckel gesprengt und die damit verbundene zusätzliche Arbeit wäre immens, wenn nicht unmöglich gewesen. Dies steht symptomatisch für ein bleibendes Problem des siebenbürgischen Forschungsdiskurses: Latein bildet nicht mehr eine verbindende lingua franca; Englisch tut es (noch) nicht.

Auch die kirchenrechtliche Terminologie kann ein Problem darstellen. So hält Wien mit guten Gründen fest: „Im Selbstverständnis der Geistlichen Universität des 17. Jahrhunderts waren ihre Synoden kirchenleitende, von weltlicher Einflussnahme unabhängige „Generalssynoden“, anstelle der ehemaligen National- oder Provinzialsynoden im mittelalterlichen Ungarn, allerdings nunmehr auf die jeweilige […] konfessionelle Einheit bezogen, was im mittelalterlichen Verständnis wohl als Partikularsynode bezeichnet worden wäre“. (S. XLIV)

Der Pfarrer David Hermann (gest. 1682)[6] bezeugt in seinen Fundamenta Iurisdictionis Ecclesiasticae externae Saxonicae jedoch: „Doch es muss zwischen Generalsynoden und Partial- oder Nationalsynoden unterschieden werden. Das Aufgebot jener betrifft den Fürsten, das dieser die Superintendenten. So versammelte König Johann II. etliche Generalsynoden, als einst eine Meinungsverschiedenheit über das Mahl des Herrn und die Hochheilige Trinität zwischen der sächsischen und den ungarischen Parteien oder Kirchen hervorgebrochen war“.[7]

Dieses Beispiel verdeutlicht: Es ist noch viel Arbeit zu leisten, bis das siebenbürgische Luthertum ausreichend erforscht ist. Für die kirchengeschichtliche und die kulturgeschichtlich interessierte Forschung ist allerdings mit der vorliegenden Edition ein Werk bereitgestellt worden, dessen Einblick in die verschiedenen Schichten und Aspekte der siebenbürgisch-lutherischen Kulturlandschaft von unschätzbarem Wert ist und das einen weiteren Mosaikstein im Bild des europäischen Luthertums bildet.

 

[1] Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (i. F.: EKO). Bd. 24: Siebenbürgen. Das Fürstentum Siebenbürgen. Das Rechtsgebiet und die Kirche der Siebenbürger Sachsen, bearb. von Martin Armgart unter Mitwirkung von Karin Meese. Tübingen 2012, S. 500f.: Quem Christum colimus, agnoscimus et confitemur iuxta unanime in consensum verae et Christianae religionis, qui consensus apporbatus est in […] item, articulis synodiciis inde a reformationis tempore conditis, approbatis et saepius confirmatis. (Übersetzung durch den Verfasser)

[2] Vgl. exemplarisch die Einführung Martin Armgarts zu den Synodalartikeln in EKO, Bd. 24, S. 173.

[3] Georg Daniel Teutsch: Urkundenbuch der Evangelischen Landeskirche A. B. in Siebenbürgen (i. F.: UKB). Erster Theil, Hermannstadt 1862; ders.: UKB. Zweiter Theil: Die Synodalverhandlungen der Evang. Landeskirche A. B. in Siebenbürgen im Reformationsjahrhundert. Hermannstadt 1883.

[4] Paul Philippi: Kritik an der siebenbürgisch-sächsischen Geschichtsschreibung. In: ders. (Hg.): Land des Segens? Fragen an die Geschichte Siebenbürgens und seiner Sachsen. Köln, Weimar, Wien 2008, S. 312–315.

[5] Der Titel des noch nicht im Druck erschienenen Vortrags lautete: Das Corpus Doctrinae Philippicum und seine Nachwirkung.

[6] Ernst Wagner: Die Pfarrer und Lehrer der Evangelischen Kirche A. B. in Siebenbürgen. I. Bd.: Von der Reformation bis zum Jahre 1700. Köln, Weimar, Wien 1998, S. 203.

[7] Archiv der Honterusgemeinde Kronstadt, I.A.13/2, David Hermann: Fundamenta Iurisdictionis Ecclesiasticae externae Saxonicae in Transilvania. Mediasch 1655, fol. 39–99, hier fol. 57: Distinguendum tamen inter Synodos Generales et Partiales seu Nationales. Illorum indictio ad Principem spectat, harum ad Superintendentes. Sic oborta olim controversia de Coena Domini, et SS. Trinitate inter Saxonicam et Hungaricas factiones vel Ecclesias, Rex Johannes IIdus aliquot Synodos coegit Generales. (Übersetzung durch den Verfasser)

 

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2021), Jg. 16, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 105–108.

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