Einleitung
Das Banat kann als historische Region Südosteuropas auf eine wechselvolle Geschichte zurückblicken: Nach der Schlacht bei Mohács wurde es vom Osmanischen Reich erobert, 1718 durch Prinz Eugen von Savoyen und seine Truppen zurückerobert und 1779 dem Königreich Ungarn wieder einverleibt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Banat unter drei Ländern (Rumänien, Serbien, Ungarn) aufgeteilt. In Temeswar (rum. Timișoara, ung. Temesvár), das immer als Hauptstadt des historischen Banats bezeichnet wurde, bildete sich im Laufe der Jahrhunderte eine reiche kulturelle Tradition heraus, die auf der Kooperation vieler Nationalitäten und Religionen basierte: Rumänen, Serben, Ungarn, Slowaken, Juden, Katholiken, Orthodoxen, Protestanten und vor allem Deutsche (Alt-Österreicher) haben den Charakter der Stadt bestimmt. Innerhalb des Königreichs Ungarn stellte das Banat also eine ethnisch heterogene Region dar und bot als solche diverse Beispiele für das Phänomen des Kulturtransfers. Durch die multiethnische Zusammensetzung der Region und der Stadt Temeswar selbst war dies ein Ort der Begegnung verschiedener Kulturen und der Wechselwirkungen, die sie aufeinander ausübten. Gleichzeitig erhielt die Region, auch wenn sie an einer Randzone gelegen war, regelmäßig kulturelle Impulse aus Wien und aus der Hauptstadt des ungarischen Königreichs.
Das Verhältnis zwischen Presse und Stadt, die Bedingungen für das Pressewesen im Kontext der Stadtentwicklung des 18.–19. Jahrhunderts wurden in den vergangenen Jahren systematisch analysiert. Zeitungen hätten ohne Städte und umgekehrt, Städte hätten ohne Presse, nicht existieren können, denn die Zeitungen und Zeitschriften gestalteten und strukturierten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Öffentlichkeit: »Der Aufstieg der Presse ist ein Werk der Großstadt, deren Einwohner sie gleichermaßen formiert und in-formiert, indem sie dem gemeinsamen Bedürfnis nach Bildung, Massenlektüre und Unterhaltung entgegenkommt.«1Susanne Marten-Finnis, Markus Winkler: Zur Einführung: Presse und Stadt. In: Susanne Marten-Finnis (Hg.): Presse und Stadt. Zusammenhänge – Diskurse – Thesen. Bremen 2009, S. 11–25, hier: S. 11f.
Die Presse spielte eine maßgebliche Rolle bei den urbanen Modernisierungsprozessen des 19. Jahrhunderts, indem sie sich sowohl technisch wie auch strukturell bedeutend weiterentwickelte. Mit der Schnell- und Rotationspresse konnte die Auflage erhöht werden, und die Vertriebsmechanismen funktionierten ebenfalls besser. Zudem stieg mit dem Ausbau der Eisenbahn, was für die Städte eine große Veränderung bedeutete, die Reichweite der Druckerzeugnisse.
In der Habsburgermonarchie sind, im Vergleich zu Westeuropa, ähnliche Tendenzen zu beobachten, wenn auch mit kleinen Abweichungen und Verspätungen. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts florierte die Presse bereits und bildete mit der Verbreitung des bürgerlichen Gedankenguts eine enge Symbiose. »[N]eben den je nach Region, Gesellschaft und Kultur unterschiedlichen Zügen wird in Mitteleuropa das Motiv der erwünschten Entstehung der bürgerlichen Nation, des bürgerlichen Nationalstaates besonders betont.«2Dorottya Lipták: Illustrierte Bildungs- und Unterhaltungspresse und das Lesepublikum in der Donaumonarchie zur Zeit Franz Josefs (1850–1914). In: Norbert Bachleitner, Andrea Seidler (Hgg.): Zur Medialisierung gesellschaftlicher Kommunikation in Österreich und Ungarn. Studien zur Presse im 18. und 19. Jahrhundert. Wien 2007, S. 177–234, hier: S. 178.
Die ersten Zeitungen in Ungarn standen mit dem Wiener Zeitungswesen in unmittelbarer Verbindung und waren deutschsprachig. Durch diese kulturellen Beziehungen und durch die zahlreichen österreichischen Mitarbeiter der deutschungarischen Zeitungen und Zeitschriften wurden »bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts alle neuen geistigen Strömungen des deutschen Geisteslebens, besonders der Literatur, nach Ungarn verpflanzt«.3Piroska Szemző: Német írók és pesti kiadóik a 19. században [Deutsche und österreichische Schriftsteller und ihre Pester Verleger im 19. Jahrhundert] 1812–1878. Budapest 1931. Zit. nach: Heinrich Réz: Deutsche Zeitungen und Zeitschriften in Ungarn von Beginn bis 1918. München 1935, S. 3. Sie galten als Wegbereiter und Vorbilder, aus denen sich neue heimische Blätter entwickeln konnten. Über ein halbes Jahrhundert waren diese Presseorgane die einzigen Mittler des westlichen Geisteslebens.
Die Temesvarer Zeitung wirkte seit ihrer Gründung in einer multikulturellen Gesellschaft, diese Heterogenität der Bevölkerung und kulturelle Vielfalt spiegelten sich auch in ihrem Kulturteil wider, in dem sich literarische Texte, Essays, Berichte, Kommentare und kritische Besprechungen befanden. Während ihres Bestehens von 1852 bis 1949 durchlief die Zeitung auf dem Staatsgebiet der ehemaligen Österreichisch-Ungarischen Monarchie und ihrer Nachfolgestaaten eine abwechslungsreiche Geschichte. In der Region Banat konnte sie sich, vergleichbar etwa mit dem Pester Lloyd oder der Wiener Neuen Freien Presse, als die große, angesehene liberale Zeitung behaupten.4Alexander Krischan: Die »Temesvarer Zeitung« als Banater Geschichtsquelle (1852–1949). München 1969, S. 9.
Die vorliegende Studie fokussiert auf die von Adolf Sternberg geleitete Periode (1871–1882). Besonders interessant ist diese Zeit, da Sternberg als Chefredakteur den Akzent auf das Feuilleton legte, womit er dem Blatt einen wichtigen Impuls gab, zudem beabsichtigte er, das Niveau mit Leitartikeln, Essays und Theaterkritiken zu heben, worauf er auch in der Zeitung selbst mehrmals explizit und programmatisch hinwies: »Dem belletristischen und unterhaltenden Teil unseres Blattes haben wir insoferne einen erhöhten Werth für unsere Leser zu geben versucht, als wir die trockene, banausische Behandlungsweise des Stoffes, wie dieselbe in den meisten Journalen üblich ist, bei Seite lassend, einen frischern Ton anschlugen.«5An unsere Leser. In: Temesvarer Zeitung. 21. Jg., Nr. 296, 25.12.1872, S. 1.
Die Erhöhung des Lokalanteils in der untersuchten Periode markiert eindeutig die Zäsur zwischen der Ära Silberstein (bis Mai 1871) und Sternberg (von Juli 1871): Rubriken wie Temesvarer Plaudereien, Temesvarer Geschichten und Temesvarer Genrebilder wurden erst von Sternberg eingeführt und regelmäßig mit Artikeln versorgt. Die Konzentration auf das Lokale war also ein wichtiger Orientierungspunkt der Zeitung in der Ära Sternberg, so hieß es in einer 1872 an die Leser gerichteten Ankündigung:
»Daß wir bei aller und jeder Gelegenheit für das spezielle Interesse dieser Gegend überhaupt, sowie auch ganz besonders dieser Stadt eintreten […] bedarf wohl keiner weiteren Erwähnung.«6Ebenda.
Die gesellschaftsgeschichtlichen Verhältnisse der Kulturregion Banat
Aus strategischen Gründen wurde die Modernisierung der Region Banat bereits Ende des 18. Jahrhunderts durchgeführt. So konnten die Kolonisten durch das verbesserte Straßensystem ihre Überschüsse zum Verkauf in die Städte bringen, Weizen und Mais wurden aber auch auf dem Begakanal zwischen Temeswar und Großbetschkerek (sr. Велики Бечкерек, heute Зрењанин, ung. Nagybecskerek, rum. Becicherecul Mare) transportiert. Durch diese Maßnahmen und durch die von den Kolonisten eingeführte Dreifelderwirtschaft entwickelte sich das Banat im 19. Jahrhundert zu einer Kornkammer Mitteleuropas,7Vgl. Mariana Hausleitner: Die Donauschwaben 1868–1948. Ihre Rolle im rumänischen und serbischen Banat. Stuttgart 2014, S. 26. was auch in der Temesvarer Zeitung während der untersuchten Periode mehrmals hervorgehoben wurde.
Die Stadtentwicklung im Banat erreichte durch den um 1870 einsetzenden Urbanisierungsprozess, der mit einem starken Bevölkerungswachstum einherging, eine neue Qualität. Durch die Abwanderung eines Teils der Landbevölkerung in Industriezentren wuchs die Einwohnerzahl der Städte. So gab es im Banat 1870, nach der ersten ungarischen Volkszählung, 1.335.800 Einwohner, von denen 1.028.263 im Zivilgebiet und 307.537 in der Militärgrenze lebten. Von 1850 bis 1910 verzeichnete die Region ein Bevölkerungswachstum von 42,7 Prozent, davon entfielen laut Josef Wolf 26,7 Prozent auf den Zeitraum von 1880 bis 1910.8Josef Wolf: Zur Genese der historischen Kulturlandschaft Banat. Ansiedlung, Siedlungsgestaltung und Landschaftswandel im Banat vom frühen 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts. In: Walter Engel (Hg.): Kulturraum Banat. Deutsche Kultur in einer europäischen Vielvölkerregion. Essen 2007, S. 13–71, hier: S. 49. Dank dieser Veränderung in der Bevölkerungsstruktur und der bedeutenden Rolle Temeswars als Hauptort des Handelsverkehrs nach Siebenbürgen wurde die Stadt im 19. Jahrhundert zu einer bedeutenden Wirtschafts- und Handelsstadt des Habsburgerreiches.
Eine der Zäsuren in der Banater Geschichte bildete 1867 die Entstehung der Doppelmonarchie, also der Übergang der Region von der kaiserlich österreichischen zur ungarischen Verwaltung. Die Mehrheit der städtischen Bevölkerung war deutschsprachig, was bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts unverändert blieb. Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung der Bevölkerungsstruktur Temeswars zwischen 1854 und 1910,9Hans-Heinrich Rieser: Temeswar. Geographische Beschreibung der Banater Hauptstadt. Sigmaringen 1992, S. 86. deren Quelle die Erhebungen zu amtlichen ungarischen Volkszählungen bildeten.10Bei den Volkszählungen wurde in den Ländern der ungarischen Krone ab 1880 die Muttersprache als Einstufungskriterium für die nationale/ethnische Zugehörigkeit verwendet. Siehe dazu: Országos Magyar Kir. Statisztikai Hivatal [Ungarisches Königliches Statistisches Landesamt]: A magyar korona országaiban az 1881. év elején végrehajtott népszámlálás főbb eredményei megyék és községek szerint részletezve [Die wichtigsten Ergebnisse der Anfang 1881 in den Ländern der ungarischen Krone durchgeführten Volkszählung, nach Komitaten und Gemeinden geordnet]. Bd. 2. Budapest 1882, S. 286–292; Gábor Rózsa: A hivatalos magyar népszámlálások és más nagy népesség-összeírások, 1870–2016 – I. rész [Die offiziellen ungarischen Volkszählungen und andere große Bevölkerungserhebungen, 1870–2016 – I. Teil] (1870–1949). In: Statisztikai Szemle 95 (2017) H. 11–12, S. 1159–1180.
Jahr |
Gesamtbevölkerung |
Deutsche |
Ungarn |
Rumänen |
Serben |
1854 |
20.560 |
8.775 – 42,7 % |
2.346 – 11,4 % |
3.807 – 18,5 % |
1.770 – 8,6 % |
1880 |
33.694 |
19.071 – 56,6 % |
7.780 – 23,1 % |
3.403 – 10,1 % |
1.752 – 5,2 % |
1890 |
39.884 |
22.301 – 56,0 % |
10.657 – 26,7 % |
3.613 – 9,1 % |
1.545 – 3,9 % |
1900 |
53.033 |
25.673 – 51,7 % |
17.864 – 36,0 % |
3.440 – 6,9 % |
1.423 – 2,9 % |
1910 |
72.555 |
31.644 – 43,9 % |
28.552 – 40,5 % |
7.566 – 9,7 % |
3.482 – 4,1 % |
Bei der Analyse der Angaben wird deutlich, dass die Rumänen zwischen 1854 und 1880 an die zweite Stelle gelangten und die Ungarn zwischen 1880 und 1910 nach den Deutschen die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe bildeten. Es ist wichtig hervorzuheben, dass Temeswar – trotz steigendem Anteil der ungarisch(sprachig)en Bevölkerung – auch nach 1867 einen fortwährenden und wahrnehmbaren Einfluss der deutschen Kultur zeigte.
Nach dem österreichisch–ungarischen Ausgleich von 1867 wurde schrittweise auch die ungarische Amtssprache eingeführt und der Druck der ungarischen Regierung, die Banater Bevölkerung zu magyarisieren, verstärkte sich trotz des Nationalitätengesetzes von 1868. Die Kinder der meisten Banater Schwaben besuchten ungarische Volksschulen und sprachen daher nur den deutschen Dialekt.11Vgl. Hausleitner Die Donauschwaben 1868–1948, S. 12. Die südungarischen Deutschen maßen der Bildung ihrer Kinder große Bedeutung bei, in den deutschen Schulen der Gemeinden wurden die magyarische Sprache und das patriotische Bewusstsein gepflegt, die deutschen Bewohner der Region brachten ihre Kinder auf die Gymnasien von Temeswar, Szegedin (ung. Szeged) und Arad, wo sie die ungarische Sprache sehr gut erlernten.12Erzherzog Rudolf (Hg.): Die österreichische-ungarische Monarchie in Wort und Bild. Ungarn (2). Wien 1891, S. 566.
Als Folge dieser Maßnahmen begann das gesellschaftliche Leben Temeswars einen zunehmend prägnanten ungarischen Charakter aufzuweisen, auch die Leiter des Komitats, der Gerichtshof, die Mittelschulen und Erziehungsanstalten, die ungarische und deutschsprachige Presse, aber auch die patriotische Bürgerschaft und ein Teil der katholischen Geistlichkeit trugen zur Verbreitung des nationalen Geistes bei.13Ebenda, S. 524.
Der Modernisierungsschub erreichte auch Temeswar: Neue Viertel wurden geplant, die Straßen gepflastert, die elektrische Straßenbahn und Straßenbeleuchtung eingeführt. Temeswar war die erste Stadt Ungarns, die 1857 bereits über eine Gasbeleuchtung verfügte und 1884 schon zur elektrischen Straßenbeleuchtung überging.14Ebenda, S. 523.
Die Pläne für den Bau des Theaters wurden im Jahr 1871 vom Wiener Architektenbüro Fellner und Helmer, das auf Theatergebäude spezialisiert war, angefertigt und hatten damit eine wienerische Prägung. Die Bauarbeiten wurden noch im selben Jahr begonnen und 1875 beendet, wie darüber und über das Repertoire des Theaters im Spiegel der Temesvarer Zeitung berichtet wurde, worauf im Folgenden noch näher eingegangen wird.
Neben den Deutschen bildeten die Juden die wichtigste Gruppe des Stadtbürgertums, auch sie trugen als Bevölkerungsgruppe stark zur Modernisierung und Entwicklung der Stadt, aber auch der Presse bei. Sie arbeiteten als Schneider, Schuster und in anderen Handwerken, auch die Zulieferer für die ersten Manufakturen im Banat, die militärische Güter produzierten, waren Juden. Nach den Angaben von Ladislau Gyémánt15Ladislau Gyémánt: Evreii din Transilvania [Die Juden in Siebenbürgen]. Cluj-Napoca, 2004, S. 47. stieg der Anteil der Juden an der Bevölkerung des Banats bis 1847 auf 18,8 Prozent an, ging aber 1869 auf 16,2 Prozent zurück. In Temeswar sah es ähnlich aus, trotz der zahlenmäßigen Zunahme sank ihr Anteil durch die Zuwanderung vieler anderer Bevölkerungsgruppen von 12,4 Prozent im Jahre 1869 auf 9,8 Prozent im Jahre 1910.16Vgl. Hausleitner Die Donauschwaben 1868–1948, S. 38. Mit Blick auf die sprachliche Zusammensetzung der Temeswarer jüdischen Einwohnerschaft kann festgestellt werden, dass um 1900 ungefähr 40 Prozent deutsch- und etwa 60 Prozent ungarischsprachig waren.17Magyar Kir. Központi Statisztikai Hivatal: A magyar szent korona országainak 1900. évi népszámlálása. 3. rész: A népesség részletes leírása [Ungarisches Königliches Statistisches Zentralamt: Die Volkszählung in den Ländern der ungarischen Krone im Jahr 1900. 3. Teil: Detailliierte Beschreibung der Bevölkerung]. Budapest 1907, S. 355, S. 359. Péter Varga merkt zudem an, dass um die Jahrhundertwende die Sprache der Synagogen – zumindest der aschkenasischen – deutsch war.18Péter Varga: Jüdisch-deutsche Kultur im Banat bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert. In: Wynfrid Kriegleder, Andrea Seidler, Jozef Tancer (Hgg.): Deutsche Sprache und Kultur im Banat. Studien zur Geschichte, Presse, Literatur und Theater, sprachlichen Verhältnissen, Wissenschafts-, Kultur- und Buchgeschichte, Kulturkontakten und Identitäten. Bremen 2015, S. 19–26, hier: S. 23.
Auch auf dem Gebiet des Banater Zeitungswesens waren Juden produktiv und erfolgreich. So gab David Wachtel (1807–1872) zwischen 1843 und 1848 beispielsweise das Temesvarer Wochenblatt für nützliche Unterhaltung und heimatliche Interessen heraus. Das wichtigste bürgerliche Presseorgan des Banats, die Temesvarer Zeitung, wurde von jüdischen Redakteuren wie Adolf (Ötvös) Silberstein und Adolf Sternberg geleitet, und zahlreiche Juden und Deutsche veröffentlichten Beiträge zu den verschiedensten Themen aus Politik, Kultur und Wirtschaft. Der ungarische Patriotismus machte sich aber auch im Pressewesen bemerkbar, sowohl in ungarischen als auch in deutschen Zeitungen lassen sich ähnliche Prozesse wahrnehmen: So wurde zum Beispielwährend der untersuchten Periode in der Temesvarer Zeitung die ungarische Literatur konsequent propagiert, und auch im Programm der Redakteure jüdischer Herkunft kam die patriotische Haltung immer zum Vorschein. In diesem Sinne schickten die beiden Redakteure, die im Zeitraum von 1870 bis 1882 das Blatt leiteten, aus Anlass des 40-jährigen Jubiläums der Temesvarer Zeitung einen Gratulationsbrief, in dem sie das damalige Temeswar in Erinnerung riefen. Adolf (Ötvös) Silberstein, der 1891 als Redakteur des Pester Lloyd arbeitete, lobte den gebildeten Geist der Stadt:
Die Zeit vom Frühjahr 1870 bis zum Lenzen von 1871, welche ich dort verbrachte, wird meinem Gedächtnisse, welches Ihr Andenken bis heute so treu bewahrte, wohl kaum mehr entschwinden. Ich war damals nach zehnjähriger Studien- und Wanderzeit aus Deutschland wieder heimgekehrt. Die erste Gelegenheit, meine Kräfte dem Vaterland zu widmen, bot mir Temesvar. Ich war freudig überrascht durch den gebildeten Geist, der mich in der so ferne gelegenen Stadt empfing. Ich fand eine Begeisterung für die schönen Künste, ein Theaterleben, Sinn für Literatur, polirte Umgangsformen, welche den Namen Klein-Wien vollständig rechtfertigten.19In: Temesvarer Zeitung. 40 Jg., Nr. 1, 1.1.1891, S. 3.
Silberstein erinnerte sich an das multiethnische Temeswar, das um 1870 sprachlich-kulturell noch eher deutsch geprägt gewesen war, und bekannte sich gleichzeitig und eindeutig zur ungarischen Nation als politische Gemeinschaft:
Im Jahre 1870 war Temesvar noch vollständig deutsch, denn selbst die serbische und rumänische Intelligenz war stolz auf ihre deutsche Bildung. In Temesvar lernte ich alle Nationalitäten unseres Vaterlandes schätzen und hochhalten und wenn mir ein Fehler im Leben erspart wurde, so ist es derjenige des Chauvinismus, jenes Gemisches von Fanatismus und Heuchelei, welche beide mir in die Seele zuwider sind. Daß ich bei dieser Achtung für alle wie immer sprechenden guten Söhne unseres Vaterlandes, doch nur eine wahre, unerschütterliche Liebe, diejenige zur staatsbildenden und staatserhaltenden ungarischen Nation kannte, das bewies ich auch unter Euch, indem ich schon in der damaligen Zeit für die Verbreitung von ungarischem Wort und ungarischer Schrift in Temesvar agitirte.20Ebenda, Hervorhebung im Original.
Adolf Sternberg, der 1891 als Mitredakteur des Budapester Tagblatts arbeitete, formulierte seine Gedanken etwas bescheidener, aber die patriotische Haltung fehlte hier auch nicht:
Durch vier Jahrzehnte hat die Temesvarer Zeitung wacker gekämpft für das allgemeine Wohl; sie hat Bildung und Aufklärung verbreitet in ihrem Kreise und ist stets für alle menschlichen und patriotischen Ideale eingestanden.21Ebenda, S. 4, Hervorhebung im Original.
Temeswar und das Banat in der Temesvarer Zeitung
Plaudereien, Genrebilder und Bagatellen in der Temesvarer Zeitung
Die Redaktion unter Adolf Sternberg strebte danach, im Feuilleton stets ein hohes Niveau aufrechtzuerhalten, wozu selbstverständlich die politische Stabilität und auch eine gewisse Kontinuität in der Tätigkeit eines einzigen Redakteurs beitrugen. Sternberg betonte in seiner Zeit als Chefredakteur wiederholt, dass die Zeitung ein besonderes Augenmerk auf das Banat und die Stadt habe. Scherzend und in frischem Ton wolle er auf Übelstände und Fälle von Missbrauch hinweisen und die Aufmerksamkeit der maßgebenden Personen und Kreise auf Dinge lenken, die sich ihnen sonst vielleicht entzogen hätten, teilte der Redakteur den Lesern seine Ziele mit. Der lokale Aspekt kam im Feuilleton in verschiedenen Formen vor: Temesvarer Plaudereien, Temesvarer Genrebilder, Temesvarer Bagatellen, Temesvarer Raritäten, Temesvarer Nächte, Temesvarer Bilder und Geschichten. In den Temesvarer Nächten, die Sternberg regelmäßig selbst verfasste, lockte er die Leser mit einer Fortsetzungsstruktur, wie sie im Falle von Fortsetzungsromanen schon bekannt war. Nach einer spannenden Situation, die am Ende jeder Folge angerissen wurde, blieb die Geschichte offen und wurde erst in der nächsten Folge aufgelöst.
Der Großteil dieser Texte waren Plaudereien, in denen der Feuilletonist einmal im Monat über die wichtigsten Ereignisse der Stadt und der Region berichtete. Die große Themenvielfalt des Lokalteils macht eine einheitliche Behandlung des Stoffes unmöglich, allerdings ist das ebenfalls ein charakteristisches Merkmal der Plauderei als Gattung. Die Themen variieren von Ehe- und Liebesgeschichten über Astrologie bis zum Theater, zu verschiedenen Reiseskizzen oder Anekdoten. In diesen Texten werden vor allem spannende Geschichten erzählt, während die Darstellung komplexer Charaktere oder die Veranschaulichung ihrer inneren Entwicklung kein Gattungsmerkmal ist. In der Plauderei berührte der Feuilletonist ein Thema nur oberflächlich und meistens ironisch; eine ernste und ausführliche Beschäftigung mit einem Stoff war nicht gewünscht. Daher spielte die Digression, die bewusste Abschweifung von einem Thema zum anderen, eine wichtige Rolle in dieser Gattung.22Kai Kauffmann: »Narren der modernen Kultur». Zur Entwicklung der Wochenplauderei im Wiener Feuilleton 1848–1890. In: Klaus Amann, Hubert Lengauer, Karl Wagner (Hgg.): Literarisches Leben in Österreich. Wien 2000, S. 343–359, hier: S. 351. Dennoch zeichnete sich in diesen Artikeln ein Thema aus, mit dem sich der Feuilletonist mehrmals beschäftigte: der Status der Stadt.
Literatur und Literaturvermittlung
Im späten 19. Jahrhundert, in der Zeit des expandierenden Zeitungs- und Zeitschriftenmarkts, erlebten die kurzen epischen Gattungen wie die Novelle und das sogenannte Kulturbild ihre Blütezeit. In den Zeitungen suchte man nach immer neuen, unterhaltsamen Lektüren, »deren Umfang den Dimensionen des Periodikums entsprach, nach Erzählungen also, die geschlossen in eine Nummer aufgenommen werden konnten oder sich auf nur wenige Fortsetzungen verteilten«.23Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1870–1900. Von der Reichsgründung bis zur Jahrhundertwende. München 1998, S. 162. Neben den Fortsetzungsromanen erschienen in den wichtigsten österreichischen und ungarischen Zeitungen immer wieder Novellen, Erzählungen, Skizzen und Kulturbilder von Autoren, die zu den vielgelesenen, populären Schriftstellern jener Zeit gehörten. Die Tendenz der Literaturvermittlung von West nach Ost (Wien – Budapest – Temeswar) ist eindeutig auch im Feuilletonteil der Temesvarer Zeitung (Neue Freie Presse/Presse – Pester Lloyd/Neues Pester Journal – Temesvarer Zeitung) zu erkennen.
Die Temesvarer Zeitung musste sich in einem vielsprachigen Umfeld und einer undifferenzierten Presselandschaft behaupten. Die Trennung zwischen Qualitätszeitungen und populären Zeitungen fand im Banat wegen der kleinen Anzahl von Tageszeitungen noch nicht statt, dementsprechend sind die von Norbert Bachleitner festgestellten »feinen Unterschiede der Literatur«24Norbert Bachleitner: Politik und Unterhaltung. Literatur in der Wiener und Pester Tagespresse des Jahres 1855. In: Norbert Bachleitner, Andrea Seidler (Hgg.): Zur Medialisierung gesellschaftlicher Kommunikation in Österreich und Ungarn. Studien zur Presse im 18. und 19. Jahrhundert. Wien 2007, S. 133–176, hier: S. 137. nicht dem einen oder anderen Zeitungstyp zuzuschreiben. Dem literarischen Textkorpus der Temesvarer Zeitung ist eher die Tendenz zu einer »Versöhnung« der von Bachleitner postulierten Gegensätze zwischen Qualitätspresse und populärer Zeitung zu entnehmen: Diese Bestrebung nach einem Mittelweg manifestiert sich in den Bereichen des Autorstatus (anerkannte Autoren versus unbekannte oder als »populär« eingestufte Autoren), des Genres (Novellen und kleine Prosaformen versus Romane), der Herkunft der Werke (fremdsprachige Literatur versus einheimische Werke), des Stils und der Thematik (Introspektion, Reflexion, »Poesie« versus Realismus, Abenteuer und Sensationen) sowie des Integrationsgrades in den Kontext der Zeitung (»Gastspiel« in der Zeitung vor oder nach der Veröffentlichung als Buch versus enge Verklammerung mit dem Zeitungskontext).25Ebenda, S. 138. So werden in der Temesvarer Zeitung Werke von kanonisierten Autoren wie zum Beispiel Theodor Storm, Theodor Fontane, Émile Zola, János Arany und anderen neben den Werken von populären Schriftstellern wie beispielsweise Eugenie Marlitt, Leopold Sacher-Masoch, E. M. Vacano, Peter Rosegger, Ede Kvassay, Lajos Bakody bis hin zu solchen Autoren veröffentlicht, die heute gar nicht mehr nachweisbar sind, wie zum Beispiel Friedrich Coßmann. Ebenso brachte die Zeitung Novellen, Erzählungen und Kunstmärchen (zum Beispiel von Theodor Storm, Émile Zola, Mór Jókai) neben Fortsetzungsromanen von Eugenie Marlitt, Hermine Frankenstein, Theodor Küster und anderen. Im Hinblick auf die Herkunft der Werke war die Differenzierung zwischen fremdsprachiger Literatur und einheimischen Werken auch nicht signifikant, allerdings war eine eindeutige Dominanz der ausländischen Literatur festzustellen, wobei Autoren aus dem Banat gar nicht zu Wort kamen.
Demzufolge war bei der Selektion der Literatur im Feuilleton nicht unbedingt das Prestige eines kanonisierten Autors, einer anerkannten Gattung und einer weltliterarischen Bedeutung entscheidend: Vielmehr waren die Spannung erregenden Konflikte, das Sensationelle und Merkwürdige beziehungsweise der lokale Bezug diejenigen Faktoren, die bei der Aufnahme in den Feuilletonteil der Zeitung ausschlaggebend waren.
Im Feuilleton tauchten neben den bekannten Repräsentanten der literarischen Romantik (wie zum Beispiel Victor Hugo) auch Vertreter der zeitgenössischen literarischen Tendenzen des Realismus und Naturalismus auf. Die am häufigsten publizierten Autoren stammten aus dem österreichisch-ungarischen Kulturraum; Leopold von Sacher-Masoch (1836–1895), der als Hauptvertreter des Kulturbilds und der Ghettogeschichte im letzten Drittel des Jahrhunderts bekannt wurde, erwies sich als populärster Autor dieser Gruppe. Unter den österreichischen Schriftstellerinnen nahm Ada Christen (1839–1901) eine herausragende Stellung ein; sie erschien in der Temesvarer Zeitung am häufigsten, ihr Schaffen wurde durch Rezensionen und kürzere Nachrichten auch in einen gesellschaftlich akzeptierten Bezugsrahmen gestellt.
Die Vermittlung der ungarischen Literatur in der Temesvarer Zeitung erfolgte durch die Veröffentlichung literarischer Texte vor allem der zeitgenössischen Literatur, publiziert wurden außerdem Rezensionen und kritische Abhandlungen beziehungsweise kürzere Nachrichten aus dem ungarischen literarischen Leben. Man bemerkt das Bestreben der Redakteure Silberstein und Sternberg nach einer eingehenden Darstellung der Entwicklungstendenzen in der neueren ungarischen Literatur beziehungsweise der repräsentativen Autoren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Temesvarer Zeitung befasste sich in fünf Ausgaben mit der Problematik der ungarischen Literatur, das heißt mit Fragen der Produktion und Rezeption, der Publikumssoziologie sowie mit den neuen Richtungen und wichtigen Autoren der Zeit.
In der untersuchten Periode wurden von Mór Jókai vor allem kürzere Texte veröffentlicht, Romane hingegen gar nicht abgedruckt. Der Grund dafür soll darin gelegen haben, dass ein Provinzblatt wie die Temesvarer Zeitung sich die Exklusivität oder die Erstpublikation nicht erlauben konnte beziehungsweise die epischen Kurzformen dem Zeitungsformat und den Erwartungen des Lesepublikums, das auf Neuigkeiten aus war, besser entsprachen.
Das Temeswarer Theaterleben
Die kritische Auseinandersetzung mit dem Temeswarer Theaterleben bildete einen ständigen Themenkreis der Temesvarer Zeitung. Die journalistischen Textsorten, die dem Theaterleben der Banater Hauptstadt gewidmet waren, bewegten sich auf einer breiten Skala: Im Feuilleton gab es Stellungnahmen zu verschiedenen wichtigen Theaterfragen, zudem kleinere Analysen und Besprechungen, Kurznachrichten, die unter den Tagesneuigkeiten veröffentlicht wurden, sowie Programmankündigungen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollzog sich ein wichtiger Paradigmenwechsel im Entwicklungsprozess des deutschsprachigen Theaters: Während Ende des 18. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Theater in Temeswar nur im Zusammenhang mit dem lokalen Kunst- und Kulturdiskurs thematisiert wurde, wirkte es seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als »Multiplikator nationaler und ethnischer Identität«.26Horst Fassel: Deutsche Theaterlandschaften in Siebenbürgen und im Banat. In: ders. (Hg.): Bühnen-Welten vom 18.–20. Jahrhundert. Deutsches Theater in den Provinzen des heutigen Rumänien. Cluj-Napoca 2007, S. 11–29, hier: S. 16. Dies hing auch damit zusammen, dass die Theaterkultur jener Zeit von der Parallelität der deutschen, ungarischen und rumänischen Theatertruppen geprägt war. In diesem Kontext entsponnen sich auch Diskussionen um die Frage nach dem Status der deutschen Sprache in Temeswar, die selbstverständlich mit der Identität der deutschsprachigen Bevölkerung im Banat eng zusammenhing.
Das dominierende und in der Tagespresse eingehend diskutierte theatergeschichtliche Ereignis in der untersuchten Periode war die Eröffnung des Franz-Joseph-Theaters, das die sprachliche Vielfalt der Stadt und der Region in den Vordergrund rückte. Schon um die Sprache der Eröffnungsaufführung im Jahre 1875 gab es Kontroversen zwischen der deutschsprachigen Temesvarer Zeitung und den ungarischsprachigen Temesi Lapok [Temeser Blätter]. Die Temesi Lapok plädierten für eine Magyarisierung des Temeswarer Theaters, die Temesvarer Zeitung hingegen forderte eher ein Nebeneinander des deutschen und des ungarischen Theaters, wobei sie die Kritiken am deutschen Theater für berechtigt hielt:
In zwei Nummern beschäftigt sich die »Tem. Lap.« bereits mit der Frage der Magyarisierung des hiesigen Theaters und machte uns gestern den Vorwurf, daß wir seine erste diesbezügliche Enunziation »todtgeschwiegen« haben. […] Aufrichtig gestanden, wir würden das deutsche Theater, in der Qualität wenigstens, wie uns dasselbe hier seit mehreren Jahren erboten wird, sehr leicht wissen können, da es nicht die ewigen Werke der Kunst sind, die uns hier geboten werden, sondern zumeist Gaben sehr zweifelhaften Werthes, von denen weder das Gemüth noch das Kunstgefühl des Zuschauers befriedigt wird.27Zur Theaterfrage. In: Temesvarer Zeitung, 24. Jg., Nr. 188, 18.8.1875, S. 2.
Sowohl für als auch gegen die Umgestaltung des deutschen Theaters in ein ungarisches sprachen mehrere Gesichtspunkte, von denen hier nur die literaturgeschichtlichen, künstlerischen und ökonomischen erwähnt werden sollen:
Wir würden also ein ungarisches Theater, welches uns Typen aus dem nationalen Leben, die älteren Meisterwerke der ungarischen dramatischen Literatur, sowie die neuern Arbeiten eines Berczik, Dóczi u. vorführt, auch als einen Gewinn in künstlerischer Beziehung betrachten. […] Eine solche Umgestaltung der Theaterverhältnisse dürfte, unserer Ansicht nach, nur mit der vollen Gewissheit des Erfolges unternommen werden, da ein etwaiges Mißglücken die nationale Kunst in unserer Stadt, auf lange Zeit empfindlich schädigen müsse.28Ebenda.
Das neue Theater wurde am 22. November 1875 mit dem ungarischen Stück Nőuralom [Frauenherrschaft] von Eduard Szigligeti eröffnet. Die erste deutsche Vorstellung, die Oper Robert der Teufel, fand dann am 25. November statt, vorher wurde ein Festprolog gesprochen, und es fand außerdem ein Festmarsch statt.
Die Errichtung des neuen Theaters hielt Sternberg, wie aus einer Plauderei vom 19. September 1875 hervorgeht, für einen Akt des Patriotismus, die Berufung der berühmten Wiener Architekten hingegen empfand er als eine Garantie für das europäische Prestige des neuen Theatergebäudes:
Es ist keine Übertreibung, wenn wir behaupten, dass dieser Tag epochemachend in dem sozialen und nationalen Leben unserer Stadt sein wird und daß faktisch die Blicke des Landes an demselben auf uns gerichtet sein werden, die wir an diesem Abende ein Fest begehen, das mehr als lokale Bedeutung hat und uns Gelegenheit bietet, die Anschuldigung zahlreicher Gegner zu widerlegen, welche noch immer nicht müde werden, Temesvar als eine Stadt zu bezeichnen, die an patriotischer Gesinnung hinter den andern Städten des Vaterlandes zurücksteht.29Adolf Sternberg: Temesvarer Plaudereien. In: Temesvarer Zeitung, 24. Jg., Nr. 214, 19.9.1875, S. 1.
Die enthusiastischen Äußerungen zur Eröffnung des neuen Theaters warfen aber auch zwei gravierende Probleme auf: einerseits die Problematik der Sprache, andererseits die des künstlerischen Niveaus der Aufführungen. Eine Neuigkeit in der Argumentation der von Sternberg signierten Plauderei war sein Ausgangspunkt, laut dem er die Frage der Sprache mit jener der Qualität verknüpfte und als zwei Aspekte derselben Problematik betrachtete. Sternberg machte die Existenz und das gesellschaftliche Prestige eines deutschen Theaters in Temeswar im Grunde genommen von dem künstlerischen Niveau der Aufführungen abhängig:
Speziell die heurige Saison dürfte für das Temesvarer Theater in mancher Beziehung entscheidend werden. […] Ja, wir wollen es nur gerade heraussagen, es sind auch Stimmen laut geworden, welche das Aufhören eines deutschen Theaters in unserer Stadt und die Verleihung desselben an eine ungarische Gesellschaft verlangen. All das muß ein Sporn für die Direktion sein, die äußersten Kräfte anzuspannen, um zu zeigen, daß sie thatsächlich Bedeutendes zu leisten willens und auch fähig ist.30Ebenda.
Sehr interessant ist bei Sternbergs Standpunkt auch seine Überzeugung, dass die Problematik der künstlerischen Qualität nicht nur eine ästhetische Frage sei, sondern auch eine wirtschaftliche, da die Existenz des deutschsprachigen Theaters in Temeswar direkt von der Qualität der Aufführungen abhänge:
Wir stehen also heute thatsächlich an derjenigen Grenzlinie, wo der schlechte Geschmack sich selbst ad absurdum geführt hat und eine Rückkehr zur wahren und edlen Kunst, die wie alles Erhabene zugleich die höchste Einfachheit ist, sogar ein Gebot der materiellen Nothwendigkeit zu werden anfängt.31Ebenda.
Um die Existenz des Theaters zu sichern, seien laut Sternberg eine gut zusammengestellte Theatergesellschaft, ein ganz neues Repertoire, auf dem nicht nur Possen und andere Unterhaltungsstücke wiederzufinden seien, eine wirksame Kommunikation mit dem Publikum und nicht zuletzt eine »intelligente« Theaterleitung nötig.
Zusammenfassung
Die Temesvarer Zeitung übernahm die Vermittlerrolle zwischen den nebeneinander existierenden Kulturen, indem sie zwischen Temeswar und Wien sowie Budapest regelmäßig vermittelte.
Die Temesvarer Zeitung als wichtigstes bürgerliches Presseorgan Temeswars übernahm bewusst und konsequent die Vermittlerrolle zwischen den nebeneinander existierenden Kulturen, indem sie zwischen Temeswar und den als Zentren verstandenen Städten (Wien und Budapest) regelmäßig vermittelte. Durch die Thematisierung der verschiedenen Aspekte der Urbanisierung und Modernisierung (Institutionen der Kultur in der Stadt, Theater, Frauenfrage etc.), die Hinwendung zu gesamteuropäischen Themen und zu neuen journalistischen Textsorten erwies sich die Temesvarer Zeitung als eine für die aktuellen Tendenzen des gesellschaftlich-kulturellen Lebens offene Zeitung.
Die von der Tätigkeit Sternbergs gekennzeichnete Periode von 1871 bis 1882 lässt sich als eine eigenständige Epoche der Zeitung charakterisieren, wobei neben dem Bestreben nach einem vielfältigen, niveauvollen Feuilletonteil die Aufwertung des Lokalen, das heißt, die eindeutige Stärkung des lokalen Bezugs auffallend ist.
Eszter János
Eszter János, Dr. phil., studierte Germanistik an der Christlichen Universität Partium in Großwardein (rum. Oradea, ung. Nagyvárad), promovierte an der Katholischen Péter-Pázmány-Universität Budapest mit einer Studie über die Kultur- und Literaturvermittlung der Temesvarer Zeitung in der Periode zwischen 1871 und 1882. Zurzeit lehrt sie als Oberassistentin an der Christlichen Universität Partium in Großwardein.
Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 2 (2023), Jg. 18, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 208–219 .