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Franz Hodjak | Rezensionen

„Was zurückkommt, kommt verwandelt / wieder“

Franz Hodjak: Alles wurde privatisiert, selbst die Funklöcher und die Schatten in Platons Höhle. Gedichte. Dresden: SchumacherGebler 2022. 120 S.

Ders.: Gedenkminute für verschollene Sprachen. Gedichte. Leipzig: Leipziger Literaturverlag 2022. 140 S.

Ders.: Hin und nicht zurück. Gedichte. Berlin: Verlag Vorwerk 8 2022. 120 S.

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Von Réka Jakabházi

 

Die Liebhaber guter Poesie hatten es 2022 gut: Franz Hodjak hat seine Leserschaft innerhalb eines Jahres gleich mit vier hervorragenden Gedichtbänden bereichert: Alles wurde privatisiert, selbst die Funklöcher und die Schatten in Platons Höhle (im Verlag SchumacherGebler veröffentlicht), Gedenkminute für verschollene Sprachen (Leipziger Literaturverlag) Hin und nicht zurück (VerlagVorwerk 8) und Was nie wieder kommt (Verlag Stadtlicher Presse; vgl. Spiegelungen 2.22). Im Folgenden werden die ersten drei Bände besprochen.

Die Gedichte beschäftigen sich mit wichtigen Themen des Lebens: Vergänglichkeit und Abschied, Hoffnung und Illusionen, Freiheit und Trauer, Träumen und Glück. Und mit den großen -Losigkeiten, die in den Werken von Franz Hodjak einen zentralen Platz einnehmen: Denn Identität, Heimat, Illusionen, Freiheit lassen sich in der poetischen Welt Hodjaks stets in ihrer Abwesenheit definieren und nicht eingezwängt in die engen Grenzen der Sprache und der Gedanken. Es sind Themen und Motive, die bereits aus den früheren lyrischen und prosaischen Texten bekannt sind, jedoch durch den ständig wechselnden, die Zusammenhänge und Hinfälligkeiten der Welt schonungslos aufdeckenden Röntgen-Blick Hodjaks immer wieder aufs Neue überraschen; und der Ton passt sich einer veränderten Welt, einer neuen Dynamik an. Deshalb wirken die Texte immer frisch, echt und authentisch, sie zwingen nachzudenken, innezuhalten und sich selbst zu reflektieren.

Im Band Alles wurde privatisiert, selbst die Funklöcher und die Schatten in Platons Höhle werden Alltagsthemen in lakonisch-präziser, zugleich sprachkünstlerisch anspruchsvoller Sprache geschildert, die aber weit über den Alltag hinaus gehen: Es werden dabei Rückblicke auf die Vergangenheit geboten, während Fragen zu Freiheit, Heimatlosigkeit, Glück, Sehnsucht und dem Nicht-Ankommen-Wollen mitschwingen.

Den Auftakt des Bandes bildet das Gedicht Am Ende, das bereits in den ersten Zeilen auf eines der Hauptthemen des Bandes – die Vergänglichkeit – verweist: „Am Ende der Träume / bleibt ein Häuflein Asche“ (S. 5). Die Tatsache, dass das schon im Titel auf das Ende hindeutende Gedicht als Auftakt des Bandes gewählt wurde, spricht für das bereits aus der früheren Lyrik bekannte ironische Spiel und das bewusst gewählte, gegen jedwelche Ordnung und Norm verstoßende Verhalten des Dichters, das im Gedicht Apfelbaum auch poetisch reflektiert wird: „Den üblichen Weg in umgekehrter / Richtung gehen, sehen, ob eine andere / Reihenfolge der Dinge den Blick / auf die Dinge verändert“ (S. 42).

Zwei weitere, stark persönlich anklingende Gedichte, So als ob und Das Klopfen des Spechts, greifen Motive und Formensprache auf, die an das im Jahr 1983 im Band flieder im ohr erschienene Gedicht autobiographie erinnern. Spannend ist dabei zu sehen, wie sich der damals 39-jährige und heute 78-jährige Hodjak den Spiegel vorhalten. Damals hieß es: „geboren wurde ich / bei verdunkelung und ausgangsverbot“ und „engere kontakte unterhalte ich / zur aufklärung, zu meerlandschaften, zu den verlorenen illusionen“ (autobiographie, 1983, S. 68); jetzt heißt es: „Ich wuchs auf / im Namen des Friedens, des Umbaus / und der Verbote“ (So als ob) und „Ich mochte / Flusslandschaften […] / Enge Freundschaft / pflege ich noch heute zu Hölderlin, // Trakl und Celan“ (Das Klopfen des Spechts, S. 93).

Zu den Illusionen (als weiteres wichtiges Thema des Bandes), die entweder verloren gegangen (Aufbruch) oder – wie auch die Geburt, der Tod oder die Ankunft – zu früh gekommen sind (Knospen), von denen man immer wieder Abschied nehmen muss (Abschiede), gesellt sich die Hoffnung. Es ist jedoch eine Hoffnung, die auf „verzweigten Wegen“ fließt (Blankoscheck, S. 69), die für jeden etwas anderes heißt („Das / erinnert an Jahre, als wir in geteilten / Hoffnungen lebten“ – wie es im Gedicht Verschwinden steht, S. 56), die es aber erlaubt, dass die Illusionen weiterleben „zwischen Nirgendwo / und Immer“ (Wünsche streichen, S. 62).

Die Gedichte von Franz Hodjak zeichnen sich durch eine besondere Vorliebe für Grenzbereiche, Zwischenräume aus, seien es Friedhöfe, Türen, Brücken oder Bahnhöfe. Die heterotopische Positionierung des lyrischen Ichs zeigt sich bereits in den früheren Gedichten des Bandes Die Faszination eines Tages, den es nicht gibt (2008). In diesem aktuellen Band kommt auch ein anderer chronotopischer Wohnraum ins Spiel – das Rad: „Nun wohne ich in einem Rad, das sich nicht mehr / zurückdrehen lässt“ (Nachtrag, S. 109).

Hodjaks routinierte dichterische Virtuosität zeigt sich auch in der Vielfalt der Gedichtformen. Die reimlose, strophisch gegliederte Form ist ebenso präsent wie das Prosagedicht (Morgenlitanei), die strenge Architektur des Sonetts (Politische Ostern) oder das liedhafte und formal Geschlossene des Tischgebets, dessen Aufbau und Klangwelt an Anemone Latzinas Widerliche Erkenntnis erinnert. Die Form der Gedichte ist der gedanklichen Dynamik genau eingepasst: Das häufig auftretende Enjambement dient als formale Umsetzung der existentiellen Erfahrung des Dazwischenseins.

Die Sprache des Lyrikbandes ist lakonisch-nüchtern, oft ironisch und ohne verklärendes Pathos – und in ihrer Bildhaftigkeit und Direktheit zugleich hoch poetisch. Die Texte sind in ihrer Aussage und Sprache mehrschichtig, nuancenreich und verlangen immer wieder ein erneutes Lesen und eine Erweiterung und Überprüfung der gewonnenen Einsichten.

Nicht nur der facettenreiche Gebrauch der Sprache beziehungsweise das Spiel mit ihr, deren Hodjak sich gerne bedient, überraschen den Leser immer wieder aufs Neue; die Reflexion über die Sprache selbst spielt eine große Rolle – ein Thema, das im zweiten hier besprochenen Lyrikband, Gedenkminute für verschollene Sprachen, zum Hauptthema wird. Die Sammlung reflektiert Wörter, ihren Ge- und Missbrauch, ihre Unzuverlässigkeit, kurz, den defizitären Charakter von Sprache und sprachlicher Äußerung, der Sprache, die zugleich die einzige Möglichkeit des Menschen ist, seine Welt mit anderen zu teilen.

Den Band eröffnen die Zeilen: „Als erstes, wenn ich am Morgen / erwache, ist, Wörter zu suchen, welche / die Wolken vertreiben. Wenn alle Stricke // reißen, auf die Sprache ist immer / Verlass“ (Apfelblüte, S. 5). Und die letzten Zeilen des Buches lauten: „Unsere Worte suchen / Brücken, die von einem / Ende des Glücks / zum anderen führen“ (An der Donau, S. 111). In diesen sprachphilosophischen und -reflexiven Rahmen eingebettet und mit immerwährendem Blick darauf, behandelt Franz Hodjak Themen wie Erinnerung, Vertrauen und Verlust, Tod und Ewigkeit, Liebe und die Macht des Zufalls („nichts / kommt pünktlicher als der Zufall“ – Efeu, S. 10). Die Sprache beziehungsweise die Wörter dienen als Tür zu anderen Menschen, Perspektiven, Welten („Und ich suche nach Worten, die eine / Tür öffnen, wenn eine / andere zufällt“ – heißt es im Gedicht Alltag, S. 14), aber auch als eines der effizientesten Instrumente zur Beeinflussung, sogar Manipulation („Die Wirklichkeit / verändert die Sprache, nur die Dichter / ändern mit der Sprache / die Wirklichkeit“ – Kalenderblatt, S. 24). Ironischer Sarkasmus schwingt stets mit, mit Verweis auf die Vergangenheit. Durch den Hinweis auf die Zeiten, in denen die Zensur das Literaturleben bestimmte, oder die Erinnerung an die Diktatur wie etwa im Gedicht Atemzüge schwingt das Herkunftsland Rumänien auch des Öfteren in den Texten mit. Es lassen sich auch direkte Verweise auf Orte der Vergangenheit im Titel (Kerzer Abtei) oder Untertitel (Verfallener Bauernhof. Siebenbürgen) der Gedichte finden. In diesen Erinnerungen an die Vergangenheit tritt die Sprache in der Rolle des Retters auf: „Was die Sprache uns gab, / half uns über die Runden“ (Abendsonne, S. 32).

Die Stimmung dieses Bandes ist düsterer und trauriger, melancholisch-ernst, und die aus den früheren Sammlungen bekannte Ironie mündet in Enttäuschung und Resignation. Das Glück wird in diesen Gedichten stets in seiner Vergänglichkeit definiert, und auch Freiheit, Abschied, Tod und Ewigkeit sind sich ergänzende Bestandteile eines Lebens, das sich nur im mehrfach erwähnten Hodjakschen Dazwischen wohlfühlt. Andere Texte entwickeln sich aus Erinnerungsmomenten oder aus einem Impuls, ausgelöst durch Worte, Musik (Bartók, Mahler, Schostakowitsch, aber auch Louis Armstrong, Frank Sinatra, Tina Turner) oder Gefühle.

Der dritte Gedichtband, der hier besprochen wird, Hin und nicht zurück, greift bereits im Titel das typisch Hodjaksche Thema des Unterwegsseins ohne Ankommen (beziehungsweise ohne Wiederkehr) auf – ein Thema, das stets mit der Flucht und Freiheit (im/ins Leben, Denken und Dichten) in Zusammenhang gebracht wird. Diese Freiheit trägt eine „unerträglich / schwere / Bürde“ (S. 14), und dabei erweisen sich Dichtung und Sprache erneut als identitätsstiftend: „wer bei sich ankommen will, / muss durch viele Bücher wandern“ (S. 17). Die Freiheit des Nichtankommens tritt im Gedicht Oben, bei den Huzulen zutage, wo es heißt: „Kommt man an, versäumt man / vieles“ (S. 66).

Viele Gedichte setzen sich mit dem Phänomen Zeit – Vergänglichkeit – Erinnerung auseinander. Die Metapher der Uhr ist dabei ein häufig auftretendes Motiv, zum Beispiel in Zug um Zug, wo die Uhren „wie Zeitbomben ticken“ (S. 77), oder in Trommeln, wo „die Uhren haben / versagt“ (S. 21), und durch die Aufzählung der Turmuhren, Weltuhren und Bahnhofsuhren wird die Perspektive sowohl in Richtung der (rumänien)deutschen kollektiven (Turmuhren) als auch der subjektiven (Bahnshofsuhren) und globalen (Weltuhren) Fluchtgeschichte gerückt. Mit der Problematik der Zeit und der Vergänglichkeit eng in Verbindung gebracht erscheint wiederholt das Motiv der Erinnerung. In mehreren Gedichten leuchten Bilder aus der Kindheit auf, „als man / am Lagerfeuer den Fischern zuhörte und / das Glück darin bestand, dass man es nicht / brauchte“ (S. 20). Dass die Erinnerung an die Kindheit eng mit dem Reflektieren über Tod und Angst verknüpft wird, zeigen uns Gedichte wie Junger Wald, Vorbei ist nicht vorbei, Buchstaben oder Offenes Land. Diese vergangene Zeit wird jedoch keineswegs nostalgisch betrachtet, da die gesellschaftspolitischen Umstände auch nicht aus den Augen verloren werden: „Das / Recht war die wichtigste Frage, das Unrecht die / Antwort“ und „Das Schweigen war groß, seine Botschaften / hörten wir wohl, allein es fehlte der Mut“ (Botschaften, S. 44) – Zeilen, die erneut eindeutig auf die Diktatur und die Zensur im sozialistischen Rumänien bezogen sind.

In diesem Band mehren sich die Fragen; in auffallend vielen Gedichten werden Fragen gestellt beziehungsweise über das Fragenstellen nachgedacht: In Kleine Parkgeschichte kommt man zum Beispiel nach zahlreichen, nicht zu beantwortenden Fragen zu einer existentiellen Erkenntnis, was wiederum Fragen aufwirft. Philosophische Fragestellungen, die das Auf-dem-Weg-sein reflektieren, finden sich auch im Gedicht Tempo, das mit den resignierten Zeilen endet: „Meist bin ich zu spät gekommen / oder zu früh gegangen“ (S. 101).

Der Konjunktiv ist nach wie vor Lieblingsmodus dieser Texte; dies kann man bereits in den nach der Auswanderung entstandenen Gedichten erkennen, in denen nicht nur dieser Modus angewandt, sondern auch darüber philosophisch reflektiert wird (selbst ein Gedichtband trägt den Titel Ankunft Konjunktiv – Suhrkamp Verlag, 1997). Auch im aktuellen Band finden wir zahlreiche Konjunktivsätze (wie etwa im Gedicht Suiten von Telemann: „das Gedächtnis / ist unbewohnt wie ein Niemandsland, // und hin und wieder würde man etwas / ändern, wenn man nur wüsste, was“ – S. 105), und auch die philosophische Reflexion auf den Konjunktiv-Modus des Lebens ist präsent: „wer / auf der Flucht ist, lebt / im Konjunktiv“ (Ohne Problem, S. 10) oder „Die Wege, die man nicht // gegangen ist, sind die Konjunktive des Lebens“ (Kopfschütteln, S. 95).

Franz Hodjak liebt das Spiel – und er treibt genüsslich das Spiel mit der Sprache, in der die Wörter oft ihrer ursprünglichen Bedeutung entblößt erscheinen und überraschend neue Sinnzusammenhänge ergeben. Dies ist eine bekannte Technik, derer Hodjak sich oft und gerne bedient. Die zahlreichen humorvollen Passagen und die Sprachwitze, etwa „Wer mit seinem Latein / am Ende ist, dem bleibt // nichts anderes übrig, als eben / wieder Deutsch zu lernen“ (Tempo, S. 101), stehen als Beweis dafür. Die Sprache, dieser allerliebste Spielraum des Sprachakrobaten Franz Hodjak, ist in ihrer komplexen Polyphonie eine ständig wechselnde Heimat: „Gern wohnte ich / in Häusern, die nie leer wurden, zog / eine Sprache aus, zog eine andere ein, die einzige / Hausordnung, auf die Verlass war“ (Vergleiche, S. 102).

Insgesamt sind die drei Gedichtbände von Franz Hodjak eine herausragende Sammlung von lyrischen Texten, die sich durch eine prägnante, ausdrucksstarke Sprache und eine ansprechende Fokussierung auf das Wesentliche auszeichnen und die Leser auf eine sehr persönliche Art und Weise berühren. „Was zurückkommt, kommt verwandelt / wieder“ steht im Gedicht Blankoscheck im Gedichtband Alles wurde privatisiert, selbst die Funklöcher und die Schatten in Platons Höhle (S. 69), und nichts könnte das Sich-ständig-erneuern-können Hodjaks und seine künstlerische Feinfühligkeit präziser ausdrücken, wie er in seinem unverkennbaren Ton und mit Rückgriff auf die aus den früheren Bänden bekannten Themen den aktuellen Zeitgeist widerspiegeln kann – wie dies im Band Gedenkminute für verschollene Sprachen (S. 14) formuliert wird: „was ich sehe, betrachte ich jeden Tag / mit anderen Augen“. Franz Hodjak bleibt sich in seinen neuen Gedichten treu: Konsequent kritisch, schonungslos, aufdeckend, gegenüber sich selbst und der Welt radikal ehrlich und mit viel sarkastischem und ironischem Humor weiß er seine Leserschaft mitzureißen und zum Nachdenken anzuregen.

Hervorzuheben ist auch die ästhetisch sehr anspruchsvolle graphische Gestaltung der Gedichtbände, die durch die Illustrationen von Astrid Hodjak (für den Band Hin und nicht zurück) und Steffi Heiduck (Alles wurde privatisiert, selbst die Funklöcher und die Schatten in Platons Höhle) anregend bereichert werden.

 

Erschienen in: Spiegelungen. Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Heft 1 (2023), Jg. 18, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 227–231.